Fall Ursula Herrmann:"Was wär', wenn ich doch was wüsste?"

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Ein Spaten, ein Loch und das Geständnis eines Toten: Die Staatsanwaltschaft müht sich im Ursula Herrmann-Prozess um ein schlüssiges Bild.

Hans Holzhaider

Drei Monate dauert dieser Prozess nun schon, 16 Verhandlungstage sind absolviert, und noch gibt es keine Zeugenaussage, kein Dokument, das wirklich als Beweis dafür taugen würde, dass der Angeklagte Werner M. der Mann ist, der am 15. September 1981 die zehnjährige Ursula Herrmann auf dem Uferweg zwischen Eching und Schondorf am Ammersee von ihrem Fahrrad riss und sie in eine im Wald vergrabene Kiste sperrte, wo das Mädchen vermutlich nur kurze Zeit später an Sauerstoffmangel erstickte.

Spurensuche im Landgericht Augsburgs: Ein originalgetreuer Nachbau der Kiste, in der Ursula Herrmann erstickte, und das Fahrrad des Kindes (Foto: Foto: dpa)

Werner M. hat bisher entschieden bestritten, irgendetwas mit der Entführung und dem Tod Ursula Herrmanns zu tun zu haben. Die Staatsanwaltschaft, im Gerichtssaal vertreten durch Oberstaatsanwältin Brigitta Baur, hofft, dass die vielen kleinen Puzzleteile, von denen keines für sich alleine wirklichen Beweiswert hat, zusammengelegt doch noch ein überzeugendes Bild von der Schuld Werner M.s ergeben.

Eines der wichtigsten dieser Puzzleteile ist die Aussage des Klaus Pfaffinger. Er hat in einer Vernehmung am 25. Februar 1982 gestanden, er habe im Auftrag von Werner M. ein Loch im Wald gegraben, und er habe wenige Tage später sogar gesehen, dass in diesem Loch eine Holzkiste versenkt gewesen sei. Wie es zu diesem "Geständnis" kam, und was davon zu halten ist, das ist freilich eine lange und ziemlich verwirrende Geschichte.

Sie beginnt am 6. Oktober, also zwei Tage nachdem Ursula Herrmann tot aufgefunden wurde. An diesem Tag ging bei der Polizei ein Hinweis eines Hausbesitzers aus Windach ein, einem Dorf an der alten Bundesstraße 12, gut fünf Kilometer vom Ammersee entfernt. Er habe gesehen, teilte der Mann mit, dass sein Mieter Klaus Pfaffinger am Morgen des 15. September das Haus verlassen und abends gegen halb neun zurückgekommen sei, jeweils mit einem am Moped befestigten Spaten.

Ein Spaten - das war verdächtig; der Täter oder ein Helfer hatte ja ein zwei Meter tiefes Loch im Wald gegraben. Pfaffinger wurde kurz befragt, er hatte kein Alibi für die Tatzeit, aber es gab auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass er etwas mit der Sache zu tun hatte.

Erst im Januar 1982, nachdem der jetzige Angeklagte Werner M. zum ersten Mal festgenommen und verhört worden war, erinnerte man sich wieder an Pfaffinger. Es gab Hinweise darauf, dass er mit Werner M. bekannt war; Zeugen sagten nun aus, sie hätten Pfaffinger nicht nur einmal, sonder vier- oder fünfmal mit einem Spaten am Moped gesehen.

In der Kiste, in der Ursula Herrmann tot aufgefunden wurde, gab es ein Stück eines blau-weiß gestreiften Bettlakens. In einer Halle bei dem Anwesen, wo Pfaffinger wohnte, fand sich ein ganz ähnliches Stück Stoff in einer alten Badewanne. Im Keller von Pfaffingers Wohnung lagen stapelweise alte Bild-Zeitungen - die Erpresserbriefe waren aus ausgeschnittenen Buchstaben der Bild-Zeitung zusammengesetzt.

Für Kriminalhauptkommissar Joachim Solon, den Leiter der Sonderkommission Ursula Herrmann, war das Anlass genug, eine Hausdurchsuchung bei Klaus Pfaffinger zu beantragen. Sie fand am 25. Februar 1982 statt, am gleichen Tag wurde Pfaffinger zum ersten Mal vernommen, und gleich zu Beginn der Vernehmung wurde eines der Probleme des Zeugen Pfaffinger offenkundig: "Er war sehr nervös und zitterte stark", heißt es im Protokoll. "Er sagte: ,Geben Sie mir ein Glas Bier, dann ist das Zittern vorbei." Pfaffinger hatte ganz offensichtlich ein Alkoholproblem.

Krumme Dinger

In der ersten Vernehmung ging es vor allem um die Person Pfaffingers und um verschiedene krumme Dinger, die er unabhängig von der Entführung Ursula Herrmanns in der Vergangenheit gedreht hatte. Er war damals 37 Jahre alt, Kfz-Mechaniker von Beruf, zuletzt hatte er als Beleuchter beim Fernsehen gearbeitet, jetzt war er arbeitslos.

Er gab zu, dass er einige Male einen Gebrauchtwagen mit ungedeckten Schecks bezahlt hatte, einer der betrogenen Verkäufer war Werner M. Von einem blau-weißen Bettlaken wisse er nichts, sagte Pfaffinger, die angeblichen Fahrten mit dem Spaten erklärte er damit, dass er den Spaten zu seiner Schwiegermutter gebracht habe, die im Garten umgraben wollte.

Damit wollten sich die Vernehmungsbeamten, die Kommissare Joachim Solon und Wolfgang Tomulla, nicht zufriedengeben. Gegen Mittag des zweiten Tages wurde die Vernehmung unterbrochen, um "ein eindringliches Gespräch mit Herrn Pfaffinger zu führen".

Nach kurzer Zeit, heißt es im Protokoll weiter, "bekam Pfaffinger feuchte Augen, druckste herum und gab schließlich spontan zu, dass er sehr wohl mit dem Spaten im August und September 1981 mehrere Male von Windach nach Utting gefahren sei". Er habe diesen Spaten jeweils zu Werner M. gebracht, der ihn schon mehrere Monate zuvor darum gebeten habe.

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:Mordfall Ursula Herrmann

1981 wurde die zehnjährige Ursula Herrmann auf dem Heimweg vom Turnunterricht in Eching am Ammersee entführt. 19 Tage später fand die Polizei ihre Leiche in einer im Waldboden eingelassenen Holzkiste.

Von dieser Stelle an wird das Protokoll wieder in wörtlicher Rede weitergeführt, so, als ob weiter nichts gewesen wäre. Tatsächlich aber hatte Klaus Pfaffinger während dieses "eindringlichen Gesprächs" noch viel mehr erzählt. Der Kommissar a.D. Solon erinnert sich heute noch sehr gut: "Ich ging raus zum Telefonieren, Tomulla holte Kaffee." Pfaffinger blieb mit der Protokollführerin Karin A. einige Minuten allein.

"Er hat so umanandgedruckst", sagt Karin A., die später die Ehefrau des Kommissars Solon wurde. "Er sagte: ,Was wär', wenn ich doch was wüsste?" Dann kamen die beiden Beamten wieder ins Vernehmungszimmer, und nun erzählte Pfaffinger, nach einigem Drängen, eine ziemlich lange Geschichte. Er habe in der Zeit vom 5. bis zum 9. September 1981 an einer von Werner M. angegebenen Stelle im Wald zwischen Schondorf und Eching ein Loch gegraben, "etwa so tief, wie ich groß bin".

M. habe ihm die Stelle aufgezeichnet, die Skizze aber dann sofort vernichtet. Das Loch sollte viereckig sein, wurde aber mehr rund. Am Sonntag habe er nicht gegraben, wegen der vielen Spaziergänger.

Er habe beim Graben einen grünen Parka, Arbeitshose und schwarze Gummistiefel getragen. Unter der Moosschicht sei mit Steinen durchsetzter Lehmboden gekommen. Den Erdaushub habe er im Wald verteilt. Am 12. September sei er nochmal an die Stelle gegangen und habe gesehen, dass eine Holzkiste mit einem hellen Deckel in das Loch eingelassen war. M. habe ihm für die Arbeit 1000 Mark und einen Farbfernseher versprochen, weder das eine noch das andere habe er bekommen.

Von 13.00 Uhr bis 16.30 Uhr habe Pfaffinger "trotz eindringlicher Ermahnungen" diese Aussage aufrechterhalten, heißt es im Vernehmungsprotokoll. Die Protokollführerin erinnert sich: "Er hat es beim Leben seiner Mutter geschworen, dass es so war." Solon und Tomulla unterbrachen die Vernehmung und fuhren mit Pfaffinger zum Ammersee: Er sollte die Stelle zeigen, wo er das Loch gegraben hatte. Aber er fand die Stelle nicht. Oder wollte er sie nicht finden?

"Er hatte Täterwissen"

Der Ex-Kommissar Solon ist 27 Jahre später als Zeuge vor Gericht immer noch sicher, dass Pfaffingers Geständnis echt war. Die Angaben über die Form des Lochs, die Bodenbeschaffenheit, die Tatsache, dass der obere Rand der Kiste etwa zehn Zentimeter tief im Boden war - das entsprach alles den Tatsachen. "Da hatte er wirklich Täterwissen", sagt Solon heute.

Damals aber machte Pfaffinger noch am gleichen Tag einen Rückzieher. Nach dem Ortstermin erklärte er, er habe alles nur erfunden. "Ich weiß auch nicht, warum ich M. beschuldigt habe", sagte er. "Das Einzige, was stimmt, ist, dass ich ihm einen Spaten überbracht habe." Ein halbes Jahr und zehn Vernehmungen später widerrief er auch das.

Insgesamt 14-mal wurde Pfaffinger vernommen, ohne Ergebnis. "Zum Schluss", sagt der Ex-Kommissar Joachim Solon, "war's so, dass wir nicht wussten, ob er das Loch gegraben hat oder nicht." Am 29. Juni 1992 starb Klaus Pfaffinger. Seine ehemalige Ehefrau, inzwischen 79 Jahre alt, wurde im Januar 2008 noch einmal von der Polizei vernommen. Sie sagte: "Der Klaus war ein fauler Kerl. So etwas hätte er nie gemacht."

© SZ vom 29.05.2009/aho - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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