CSU und Europäische Union:Gegen die heilige Trias

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CSU-Politiker schmieden ein provokantes Projekt: Mit Südböhmen und Oberösterreich wollen sie eine neue EU-Region bilden - und so an Staatsregierung, Landtag und Partei vorbeiarbeiten.

Max Hägler

Es klingt harmlos, oder höchstens bürokratisch, was derzeit in Niederbayern aufgebaut wird - ist aber doch von einiger Sprengkraft für Bayern und die CSU. Vor allem niederbayerische CSU-Politiker schmieden derzeit an einer "EVTZ", einem "Europäischen Verbund für territoriale Zusammenarbeit". Die ländlichen Regionen Niederbayern, Südböhmen und Oberösterreich sollen sich bis zum Jahr 2013 zusammentun, um gemeinsam gegen die starken Metropolen Prag, München, Nürnberg und Wien zu bestehen - und auch gegen ihre eigenen Landesregierungen.

Eigenwillig Pläne: Die bayerische CSU möchte eine neue EU-Region bilden - zusammen mit Südböhmen und Oberösterreich. (Foto: Foto: dpa)

Der Passauer Kreistag hat Landrat Franz Meyer (CSU) mit nur einer Gegenstimme ermächtigt, in entsprechende Verhandlungen einzutreten. Freyung-Grafenau und Rottal-Inn werden wohl folgen. Gemeinsam mit Partnern aus Tschechien und Oberösterreich hat Meyer auf dem Dreisesselberg jüngst den Planungsstart ausgerufen. Und auch der Passauer Oberbürgermeister Jürgen Dupper (SPD) hält das Projekt für eine "ganz spannende Sache".

Natürlich geht es dabei ums künftige EU-Fördergeld, das mit grenzüberschreitender Zusammenarbeit leichter zu bekommen ist als mit nationalstaatlichen Projekten. Aber es geht im Fall Niederbayern eben auch um die Flucht vor der Regentschaft in München. Denn allzu sehr bremst die dortige Regierungsapparatur und deren Unkenntnis vom Hinterland die Entwicklung. "Wir haben derzeit zentralistische Planungen", sagt der niederbayerische CSU-Europaabgeordnete Manfred Weber, der das Projekt vorantreibt.

"Wir wollen nicht mehr, dass alle Förderprogramme in München geschrieben werden, sondern vermehrt auch hier vor Ort." Eine Haltung, die auch Passaus OB Dupper teilt. Nicht zuletzt bei der Zuteilung der Gelder aus dem Konjunkturprogramm II habe man gemerkt, dass ein direkter Bezug zwischen den Kommunen und dem Geldgeber wünschenswert sei, sagt Dupper. Im jüngsten Fall zahlte der Bund - und der Freistaat und seine Bezirksregierungen verteilten.

Konkurrenz vor allem zum Bezirk und zum Land

Auch im Falle von EU-Förderungen wollen die Niederbayern, dass das Geld aus Brüssel künftig direkt an sie fließt. Ohne München. Deswegen gehe man mit der Metropolregion Donau-Moldau "den nächsten Schritt", sagt Weber. Der Verbund sei kein Verein von Gleichgesinnten mehr, "sondern ein echtes Rechtssubjekt, aufbauend auf einer entsprechenden EU-Verordnung".

Vor allem dieser Punkt unterscheidet Europaregionen - drei gibt es bereits in Europa - von den zahllosen bestehenden "Euregios". Fördergelder, Mitarbeiter, Verträge - die Verwaltungszentrale der künftigen Europaregion wird allein entscheiden können, ohne Mitsprache und Ministerialbürokraten aus Prag, Wien oder eben aus München. Sie wird eine eigene Gebietskörperschaft, tritt in Konkurrenz vor allem zum Bezirk und zum Land.

Ein verwegener Plan für einen CSU-Politiker. Bislang war für jeden Christsozialen München - mit der gottgegebenen Trias Staatsregierung, Landtag und Parteizentrale - der Nabel der Welt. Brüssel und die EU gelten zumindest in der Parteikommunikation dagegen als böse Krake, was der laufende CSU-Wahlkampf wieder einmal bestätigte.

Eine bodenständige und zutiefst europäische Rebellion

Was einst CSU-Slogan für einen starken Freistaat war und gegen die Bundesregierung gerichtet - "Wir wollen ein Europa der Regionen" - denkt der überzeugte Europäer Weber nun zu Ende. Langsam aber sicher wächst auf diesem Wege eine leise, bodenständige, bayerische und doch zutiefst europäische Rebellion heran, die vor allem in der selbstzufrieden-stolzen Staatsregierung in München den Bremsklotz der eigenen Entwicklung sieht. Weber will mehr Eigenständigkeit, mehr Verantwortung und mehr Aufmerksamkeit für seine Region und ist sich sicher: "Da kann nur Europa helfen und nicht die zwischengelagerten Ebenen wie Bund und Land."

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Das Pikante an dem Durchmarsch von Niederbayern nach Brüssel und zurück ist nicht zuletzt die Stellung Webers. Er hat sich einst gegen Widerstände als Chef in der Jungen Union durchgesetzt. Mittlerweile ist er zum Bezirkschef der niederbayerischen CSU aufgestiegen, mit 99,5 Prozent wurde er jüngst wiedergewählt. Seine Worte und seine Wünsche haben Gewicht, daheim und in Brüssel. Beim laufenden EU-Wahlkampf machte sich EU-Parlamentschef Hans-Gert Pöttering (CDU) auf den Weg in Webers ferne Heimat. Und auch EU-Generaldirektor Dirk Ahner, der Herr über jährlich 50 Milliarden Euro EU-Regionalförderung, besuchte mit Kommissionskollegen vor wenigen Wochen auf Einladung Webers Niederbayern.

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Dort bekam Ahner im Kleinen zu sehen, was Weber im Großen vorschwebt, grenzüberschreitend. Sieben niederbayerische Gemeinden haben in den vergangenen Jahren in einem Modellprojekt bereits ausprobiert, was entstehen kann, wenn man selbst entscheidet und nicht die ferne Zentralregierung. XperRegio hieß das Modell. Drei Millionen Euro überwies Brüssel - zur freien Verfügung.

"Wie wollen Bürokraten solche Typen finden?"

Herausgekommen sind 170 Projekte, 400 Arbeitsplätze und Menschen, die etwas vorwärts gebracht haben. "Wir wollten die Menschen mit den glänzenden Augen finden und deren Ideen stärken", sagt Regionalmanager Franz Dullinger. Reinhard Wimmer und Wolfram Aicher aus Wurmannsquick etwa bekamen einen Förderbescheid für ihre Idee "Say it Louda", das "Exilrottaler" zur Rückkehr in ihre Heimat bewegen will. Der Zweimannbetrieb von Schreinermeister Werner Rüdel aus Eggenfelden bekam Unterstützung bei der Patentierung seines neuen Dübelsystems "Drehfix".

"Wie wollen Bürokraten in München solche teils sensiblen Typen finden", fragt sich Dullinger. Noch dazu gehe es oft um geringen Förderbedarf, um kleinteilige Arbeit, um Zuhören. Davor würden Ministerien und Beamte zurückschrecken.

Die XperRegio-Gemeinden in Niederbayern machten es anders, kümmerten sich selbst um ihre Leute, ohne Bezirksregierung, ohne Ministerialbürokratie. Drei Jahre lang wurde eingereicht, gewertet und laufend Mittel vergeben, bis Ende 2007. Was daraus geworden ist, überzeugte offensichtlich den EU-Generaldirektor Ahner. Sein klares Fazit: "Ich bin sehr beeindruckt von dem, was sich in der Region am Rande des westlichen Europas an positiver Entwicklung abspielen kann, wenn begeisterte Unternehmer mit Mut zur Innovation am Werk sind."

Jetzt die Skeptiker überzeugen

So ähnlich soll es laufen, wenn ab 2013 - dem Start der neuen EU-Förderperiode - die Europaregion Donau-Moldau aktiv wird. Doch noch gibt es Hürden, die wiederum in München zu verorten sind: Die Tschechen und Oberösterreicher akzeptieren den offiziellen Vertreter Niederbayerns nicht. "Die Bezirksregierung wird nur bedingt anerkannt, weil sie nur Verwaltungsableger der Landesregierung ist und nicht von den Menschen gewählt ist", sagt Weber.

Weber weiß, dass seine Idee, die die Grenzen des Freistaats sprengt, manchem Unbehagen bereiten wird. "Jetzt geht es darum, auch in München und Bayern für diese neue Idee zu werben und die Skeptiker zu überzeugen", sagte Weber letzthin - wohl mit Blick auf die drohenden Widerstände in der Landeshauptstadt. Dabei fällt zumindest die erste Reaktion der Staatsregierung überraschend versöhnlich aus. "Eine solche Metropolregion fördert den Europagedanken und stärkt gerade die Grenzgebiete", sagt Bayerns Europaministerin Emilia Müller (CSU) sueddeutsche.de. Allerdings müsse "auf jeden Fall" gewährleistet sein, dass die Mittelvergabe ohne Reibungsverluste funktioniere.

Darauf wiederum ist auch Manfred Weber bedacht, wenn auch unter umgekehrten Vorzeichen: "Wenn die Partner der Europaregion nicht in München, sondern in Brüssel sind, profitieren alle davon - und wir verzichten auf einiges an Bürokratie", sagt der CSU-Abgeordnete. So hatten die das in München wohl nicht gemeint mit den Reibungsverlusten.

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