Bayerns wohl älteste Kellnerin:Die Kathi vom Goldenen Tal

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Mitarbeiterin des Jahrhunderts: Kathi Kink an ihrem Arbeitsplatz. Das Jahr ihrer Einstellung: 1939. (Foto: Johannes Simon)
  • Kathi Kink, 91, ist die wohl älteste Kellnerin Bayerns: Seit 75 Jahren arbeitet sie im Gasthaus von Naring.
  • Mit 16 wurde sie von den Nazis als Aushilfe hinbeordert - und fand den Weiler schrecklich öde.
  • Doch sie blieb hängen und sagt heute: "Das Wirtshaus ist mein Leben".

Von Anne Kostrzewa

Kathi Kinks Blick wandert immer wieder durch das Wirtshaus, während sie aus ihrem Leben erzählt. Sie schaut zur Tür, zum Tresen. Und fragt am Nachbartisch, ob es denn schmecke. Dann lächelt sie verschmitzt und setzt ihre Geschichte fort, nur um im nächsten Moment ein bekanntes Gesicht zu entdecken und auf einen kurzen Plausch zu verschwinden. Die 91-Jährige ist Kellnerin im Gasthaus zum Goldenen Tal in Naring bei Weyarn. Seit 75 Jahren.

"Ich mach des, so lang ich kann", sagt die Seniorin bestimmt und streicht ihre Dirndlschürze glatt. Fünfzig Stück habe sie davon im Schrank. Alle Bedienungen im Goldenen Tal tragen Dirndl, bei ihren täglichen Einsätzen brauche sie eben viele davon, sagt Kathi Kink. Jeden Morgen hilft die 91-Jährige beim Kartoffelschälen, immer montags macht sie die Wäsche, eine Ladung Tischtücher nach der anderen, das dauere oft bis in den Abend. "Dass mir das nicht zu viel wird, das wundert mich selbst manchmal", sagt sie lachend. Sie könne einfach nicht anders. Das Wirtshaus sei ihr Leben.

"Viel zu langweilig war es"

Nach Naring kommt Kathi Kink im Jahr 1939. Ein Jahr zuvor haben die Nationalsozialisten das Pflichtjahr eingeführt, alle jungen unverheirateten Frauen unter 25 Jahren müssen zwölf Monate in der Landwirtschaft oder bei einer kinderreichen Familie aushelfen. In Naring, bei der Wirtsfamilie Huber im Goldenen Tal, hat die damals 16-Jährige beides: Die Familie besitzt ein Stück Land am Ortsrand des 100-Seelen-Dörfchens und hat vor Kurzem eine alte Gaststätte mit Fremdenzimmern übernommen. Weil die Wirtin den ganzen Tag im Betrieb mit anpacken muss, wird Kink zur Ziehmutter für die beiden Wirtstöchter.

Es ist ein Fulltime-Job: Sie wärmt ihnen morgens Milch auf, spielt mit ihnen, strickt Söckchen, wiegt die Kinder in den Schlaf. Dazu macht sie die Betten der Gäste. Wenn die Mädchen im Bett sind, hilft Kink im Lokal, meist bis spät in die Nacht. Zehn Mark habe sie dafür pro Monat bekommen, ein symbolischer Betrag. Doch Kathi Kink schafft es trotzdem, davon jeden Monat etwas beiseite zu legen. Ihr Ziel: nur wieder weg aus Naring. "Ich komme aus Prien am Chiemsee, da war viel mehr los", erinnert sie sich. "Hier auf dem Dorf hat es mir überhaupt nicht gefallen. Viel zu langweilig war es."

Dass Kathi Kink nach ihrem Pflichtjahr trotzdem bleibt, verdanke sie Irmgard, der dritten Tochter der Wirtsfamilie Huber. Kaum hat die alte Dame das gesagt, springt sie auf: Sie wolle mal sehen, ob Irmgard gerade da ist.

Als die Wirtsfamilie Huber kurz nach Kriegsbeginn ihr drittes Kind, Irmgard, erwartet, sitzt Kathi Kink schon auf gepackten Koffern, bereit, dem kleinen Naring im Goldenen Tal den Rücken zu kehren. Doch der Wirt bittet sie, zu bleiben. ",Mit drei Kindern kannst du uns doch nicht im Stich lassen', hat er zu mir gesagt." Also bleibt sie. Einem Pflichtjahr folgen 74 freiwillige Jahre. Bislang.

Als Baby Irmgard vier Wochen alt ist, nimmt die Wirtin ihre Arbeit wieder auf und Kathi Kink ist tagsüber allein für drei Kinder zuständig, zwei weitere kommen in den Folgejahren noch dazu. "Sie war unsere Ziehmutter", sagt Irmgard Huber rückblickend, nachdem Kink sie an den Tisch geholt hat. Auch Huber trägt ein gediegenes Dirndl und bedient. Das 400 Jahre alte Gasthaus ist noch immer in Familienbesitz. Ganz nah rückt Irmgard Huber heran an "Tante Kathi", wie die ganze Huber-Familie die alte Dame liebevoll nennt.

Mehr als drei bis vier Stunden Schlaf habe Tante Kathi damals nie bekommen, erinnert sich Huber. Dennoch habe Kink für sie und ihre Geschwister immer "alles gegeben". "Meine schönsten Kindheitserinnerungen sind jene, wie die Kathi mit uns am Flussufer Burgen gebaut hat. Mit so viel Geduld." Dass Kathi Kink bis heute so fit sei, freue sie sehr, sagt Irmgard Huber. Sie glaubt: "Wenn die Kathi mal nichts zu tun hat, wird sie krank."

Milch mit Honig gegen Krankheiten

Richtig krank sei sie ihr ganzes Leben nicht geworden, erwidert Kink. Jahrzehnte lang habe sie jeden Morgen einen halben Liter Milch mit Honig getrunken, vielleicht sei das ihr Geheimnis, überlegt sie. Andererseits: Seit bei ihr eine Eiweiß-Unverträglichkeit festgestellt wurde, trinke sie kaum noch Milch, sei aber immer noch gesund munter. "Ich habe einfach sehr großes Glück im Leben. Das ist es wohl."

Vielleicht ist es aber auch einfach die Lust am Kellnern, die Kathi Kink gesund hält: "Wenn's da mal zwickt oder dort, dann arbeite ich trotzdem. Dann spürt man's nicht." Nach einer Blinddarm-Operation sei sie direkt wieder ins Tagesgeschäft eingestiegen. "Ich kann einfach nicht still sitzen", sagt sie nur schulterzuckend und lächelt, fast verlegen. Noch nicht mal einen Mittagsschlaf gönne sie sich. Einmal habe sie auf der Straße mit den Kindern herumgeblödelt und sei dabei gestürzt. Obwohl ihr Knie immer dicker anschwoll, zog sie sich ihr Dirndl an und ging bedienen.

Bei allen Reisen hat sie Heimweh nach ihren Gästen

Als die Verletzung zu eitern begann, drängten die Kinder ihre Tante Kathi, doch endlich zum Arzt zu gehen. Der schickte sie gleich weiter ins Krankenhaus, Knie-OP. Anschließend musste Kink noch in die Reha-Klinik, länger sei sie seither selten weg gewesen aus Naring. "Alle Pfleger waren ganz begeistert, wie schnell ich wieder laufen konnte", erinnert sie sich. Sie habe eben schnell wieder bedienen wollen. Dass sie einst so dringend weg wollte aus Naring - ach, meint sie, das sei doch längst vergessen. "Ich bin so verwachsen mit diesem Haus. Hier gehöre ich hin."

In die Ferne zieht es Kathi Kink dennoch immer wieder. In Singapur sei sie schon gewesen, in der Dominikanischen Republik, auf Teneriffa und Malta, in Frankreich. Sie könne das gar nicht alles aufzählen. Heuer habe sie es nur in die Lüneburger Heide geschafft. "Aber das hole ich nach." Im nächsten Jahr, sagt sie, solle es wieder weiter weg gehen. Wohin, das weiß sie noch nicht. Eines sei aber sicher: Wie auf jeder Reise werde sie auch diesmal Heimweh bekommen. Nach Naring im Goldenen Tal. Nach der Wirtsfamilie Huber. Und nach ihren Gästen.

© SZ vom 27.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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