Abschied:Der Kernspalter

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Kann man einen Reaktor lieben? In gewisser Weise schon, sagt Reinhold Scheuring. Er war 20 Jahre lang Chef von Grafenrheinfeld. Erst ging sein Atommeiler in den Ruhestand, am Sonntag folgt er

Interview von Sebastian Beck

Reinhold Scheuring (links) und sein Nachfolger Bernd Kaiser, der sich in Grafenrheinfeld nicht mehr um Stromerzeugung, sondern ausschließlich um den Rückbau kümmern muss. (Foto: Nicolas Armer/dpa)

Es ist sein ganz persönlicher Atomausstieg: Reinhold Scheuring leitet seit 1998 das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld. Am Sonntag geht er in Rente. Der Abschied von seinen Mitarbeitern und seinem geliebten Reaktor fällt ihm schwer.

SZ: Sie haben kürzlich gesagt, Sie wollen sich den Rückbau des Kraftwerks nicht antun. Was ist so schlimm daran?

Scheuring: Na ja, das kommt so vielleicht ein bisschen falsch rüber, auch gegenüber den Mitarbeitern, die hier bleiben. Der Rückbau ist ja auch eine anspruchsvolle Aufgabe. Ich war hier 37 Jahre am Standort und davon 20 Jahre Kraftwerksleiter. Ich habe immer darauf geachtet, dass die Anlage gut in Schuss gehalten worden ist. Wenn dann die politische Entscheidung zum Ausstieg kommt, dann tut es schon weh. Ich bin jetzt 61, wenn die Anlage weitergelaufen wäre, dann wäre ich aber auch mit 63 in den vorgezogenen Ruhestand gegangen.

Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, wie lange hätte das Kraftwerk weiterlaufen sollen?

Die schwarz-gelbe Bundesregierung wurde 2009 von den Bundesbürgern mit der Aussage gewählt, dass es mit ihr eine Laufzeitverlängerung gibt. Nach dem recht eindeutigen Wahlsieg war erst ein Jahr lang Schweigen im Walde, anschließend kam die Aussage, dass die neueren Anlagen wie Grafenrheinfeld 14 Jahre länger laufen könnten, als von Rot-Grün geplant war. Wir haben uns technisch darauf vorbereitet und 2010 die Turbinenleittechnik neu eingebaut, die Reaktorregelung wurde auf digitale Leittechnik umgerüstet, der Primärkreislauf wurde chemisch gereinigt mit Blick auf einen Betrieb bis 2028.

Wie lange hätte man Grafenrheinfeld rein technisch noch betreiben können?

Die entscheidende Komponente ist der Reaktordruckbehälter, alles andere kann ausgetauscht werden. Da ist man immer von einer Lebensdauer von mindestens 40 Jahren ausgegangen. Seit Mitte der Achtzigerjahre hat man aber auf Low-Leakage-Beladungen umgestellt, das heißt, der Neutronenfluss für den Metallmantel wurde reduziert mit der Konsequenz, dass 60 Jahre Laufzeit auch möglich gewesen wären.

Wenn man Sie so reden hört, merkt man, dass Sie eine emotionale Beziehung zu Ihrem Kraftwerk haben.

Ich denke, das ist auch nachvollziehbar, wenn man 37 Jahre mit der Anlage lebt und arbeitet und technische Neuerungen einbringt. Das ist wie die Beziehung eines Autofahrers zu seinem langjährig gepflegten Auto, nur stärker.

Was gefällt Ihnen denn am besten an Ihrem Kraftwerk?

Die Mannschaft.

Also nicht die Technik?

Die natürlich auch. Ich halte Atomenergie nach wie vor für verantwortbar, wie wir sie in Deutschland betreiben - von der Kultur und der Technik her. Ich habe im Laufe der Jahre viele Kernkraftwerke gesehen. Ich kann sagen, dass die deutschen Anlagen von der Auslegung her unschlagbar sind.

Wenn Sie sehen, was alles auf den Schrott kommt. Worum ist es besonders schade?

Wir haben ja ganz neue Teile eingebaut. Der Generator ist gerade zehn Jahre alt.

Ihre Kollegen hätten in Fukushima vor dem Tsunami wahrscheinlich genauso wie Sie argumentiert: super Anlage, da kann nichts passieren!

Nicht von den Auswirkungen, aber von den eigentlichen Ursachen sind Fukushima und Tschernobyl vergleichbar. Die Japaner haben einen verantwortungslosen Umgang mit der Technik gezeigt. Es ist nicht so, dass wir in Deutschland das sogenannte Restrisiko danach neu bewerten mussten, wie es Kanzlerin Angela Merkel gesagt hatte. Die Japaner haben trotz des Wissens, dass Flutwellen häufiger vorkommen können, ihre Notstromdiesel im Keller nicht besser gegen Hochwasser geschützt. Das war der Punkt, ganz einfach.

Sie sind wahrscheinlich naturgemäß kein Anhänger der Energiewende.

So wie mir das angedichtet wurde, ist es nicht. Es kommt darauf an, was man unter Energiewende versteht. Schon vor Fukushima wurde die Entscheidung getroffen, dass die Kernenergie eine Brückentechnologie in ein neues Energiezeitalter sein soll. Das unterstütze ich. Aber bitte behutsam und mit Bedacht! Wir aber handeln möglichst schnell und überstürzt. In Bayern haben wir bis zu zwei Drittel der Stromerzeugung mit Kernenergie gedeckt, auch jetzt sind es immer noch 50 Prozent. Die Frage ist, wie wir diese 50 Prozent ersetzen wollen, wenn wir Ende des Jahres mit Gundremmingen B wieder einen Block mit 1345 Megawatt vom Netz nehmen.

Die Brücke ins neue Energiezeitalter hätte länger sein sollen.

Ja. So war es auch zunächst geplant.

Wird die Atomenergie in Deutschland irgendwann einmal ein Comeback feiern?

Selbst wenn ich dafür jetzt gesteinigt werde, sage ich: Momentan sieht es vielleicht nicht danach aus. Aber man muss sehen, was die Forschung in dem Bereich noch Neues bringen wird, beispielsweise kleinere Anlagen. Wenn es einmal einen längeren Blackout geben sollte mit entsprechend verheerenden Folgen, dann wird es schnell zu einem Umdenken kommen. In Deutschland ist die Kernenergie nicht an der Technik gescheitert, sondern an der fehlenden Akzeptanz. Darauf kommt es an.

Sehen Sie das Kraftwerk von zu Hause aus?

Ich wohne 29 Kilometer weit entfernt in den Haßbergen.

Werden Sie um Grafenrheinfeld künftig einen Bogen machen?

Ich werde auch weiterhin in beratender Funktion tätig sein. Bei Preussen Elektra gibt es ein international besetztes Nuclear-Safety-Council, dem ich angehören werde.

Haben Sie Solarzellen auf dem Dach?

Gegen Rendite ist generell nichts einzuwenden. Nur, wenn auch Hartz-IV-Empfänger diese Rendite über den Strompreis bezahlen müssen, dann sage ich: Da mache ich nicht mit. Deswegen habe ich keine Solarzellen und werde auch keine haben.

© SZ vom 28.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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