Zoll und Kfz-Steuer:58 Millionen Fragezeichen

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Ab 1. Juli treibt der Zoll die Kfz-Steuer ein. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. 440 Stellen sind noch unbesetzt. (Foto: dpa)

Von Mitte 2014 an soll der Zoll die Kfz-Steuer eintreiben. Doch die Umstellung hakt. Den Fahrzeughaltern drohen weite Wege und lange Wartezeiten.

Von Steve Przybilla

Wie bei Amazon sieht es im Hauptzollamt Münster noch nicht aus. Die Zahl der Pappkartons, die sich im Erdgeschoss stapeln, bewegt sich eher auf Packstation-Niveau. Hartmut Reinsch, 54, hat aber schon eine komplette Wand hinter seinem Schreibtisch aufgetürmt - und das ist erst der Anfang. "Der Lkw bringt gleich die nächste Lieferung", ruft ein Kollege durch die Tür. Die sehnlichst erwartete Ware: Akten von 4,6 Millionen Fahrzeugen, die allein im Einzugsgebiet des Hauptzollamts Münster zugelassen sind. So oder ähnlich läuft es derzeit in vielen Amtsstuben der Republik. Der Zoll als Bundesbehörde treibt nun die Kfz-Steuer ein, für die bisher die Landesfinanzämter zuständig waren. Der Beschluss dazu ist schon fünf Jahre alt. Bis spätestens 30. Juni 2014 soll er, nach Bundesländern gestaffelt, umgesetzt werden.

Ob es auch wirklich so kommt, ist eine andere Frage. "Wir wurden ziemlich ins kalte Wasser geworfen", sagt Reinsch, der seit Oktober 2013 beim Zoll arbeitet. Vorher war er bei einer Auffanggesellschaft der Bahn beschäftigt, nachdem seine alte Stelle (Fahrkartenautomaten entleeren) gestrichen worden war. Nach einem viertägigen Crashkurs in Kfz-Steuerrecht türmen sich nun die ersten Bescheide auf Reinschs Schreibtisch. "Ich nehme die Herausforderung gerne an", sagt der Beamte. Bis wirklich Routine eingekehrt sei, gehe die Arbeit aber langsam voran.

440 Stellen sind noch immer unbesetzt

Münster ist überall. Dabei geht es um die viertgrößte Einnahmequelle der Zollverwaltung. Um die Aufgabe zu bewältigen, sollte der Zoll 1771 neue Mitarbeiter einstellen. Schon das ist knapp kalkuliert und dient vor allem der Kostenersparnis. Zum Vergleich: Bei den Landesfinanzämtern waren 2200 Beamte für dieselbe Tätigkeit zuständig. Rekrutieren wollte der Bund die neuen Arbeitskräfte vor allem aus Kreiswehrersatzämtern, die im Zuge der Bundeswehrreform wegfallen.

Doch die gut gemeinte Idee ging nicht auf. Weil die Bundeswehrreform langsamer vorangeht als gedacht, mussten zusätzliche Mitarbeiter von der Deutschen Bahn und der Telekom-Tochter Vivento angeworben werden. Bei Vivento sind Mitarbeiter der ehemaligen Staatsunternehmen Post und Telekom als Leiharbeiter beschäftigt. Und selbst das reicht nicht. "Derzeit gibt es noch einen ungedeckten Bedarf von insgesamt rund 440 Stellen", räumt das Bundesfinanzministerium auf Nachfrage der Süddeutschen Zeitung ein.

Warum Personal einarbeiten, um es dann zu ersetzen?

Was das konkret bedeutet, kann man in Münster beobachten, wo nur 77 der vorgesehenen 85 Stellen besetzt sind. Die jüngste Pressemitteilung des Hauptzollamts lässt nichts Gutes erahnen: "Trotz sorgfältiger Vorbereitung müssen (. . .) Bürger mit Verzögerungen bei der Bearbeitung ihrer Kraftfahrzeugsteuer rechnen." Wie groß die Verspätung sein wird, könne man noch nicht abschätzen - auch, weil bisher nur die Papierakten angekommen sind. Die digitalen Datensätze sollen in den nächsten Tagen folgen - sofern keine Computerpanne dazwischenfunkt.

Ute Wester hat in Münster gerade erst ihren Job angetreten. Auf zwei Jahre ist der Vertrag der Vivento-Mitarbeiterin befristet. "Immerhin etwas", sagt die 50-Jährige, "aber natürlich hoffe ich, dass er verlängert wird." Dafür kämpft auch die Deutsche Zoll- und Finanzgewerkschaft (BDZ), deren Vorsitzender Dieter Dewes klare Worte an die Bundesregierung richtet: "Wenn das Verteidigungsministerium keine Leute liefern kann, müssen wir die engagierten Vivento-Mitarbeiter übernehmen." Warum, fragt er, solle man Personal erst einarbeiten, um es dann doch wieder zu ersetzen?

Das zuständige Finanzministerium drückt sich vor einer klaren Antwort. "Vorrangig ist, ausreichend Mitarbeiter aus den Personalüberhängen anderer Ressorts zu gewinnen", erklärt ein Sprecher. Erst dann könne man über unbefristete Verträge der Vivento-Mitarbeiter reden. Beim Zoll ist man über die Hinhaltetaktik verärgert. "Der Service wird leiden", prophezeit Frank Buckenhofer, Vorsitzender der Bezirksgruppe Zoll bei der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Selbst die 1771 angepeilten Stellen seien "lächerlich wenig".

Für Autofahrer bedeutet die Umstellung, dass sie längere Anfahrtswege in Kauf nehmen müssen - vor allem auf dem Land. "Das Netz der Finanzverwaltung war deutlich größer als unseres", sagt Buckenhofer und nennt ein Beispiel: "Wenn ich 80 Kilometer zum Zoll fahren muss, um eine Steuerermäßigung zu beantragen, ist die Ersparnis wieder dahin." Betroffen sind vor allem Schwerbehinderte oder Landwirte, die Dokumente bei der Behörde vorlegen müssen. Klar ist aber auch: Die Mehrzahl der Verfahren läuft automatisch.

Auf den Zoll wartet jede Menge Arbeit

Auch an anderen Stellen herrscht Ungewissheit. Wie viele Steuerzahler werden überhaupt persönlich vorbeikommen? Wie kann das knappe Personal die enormen Aktenberge von 58 Millionen Fahrzeugen bewältigen? Dürfen säumige Kfz-Halter künftig mit personalbedingter Milde rechnen? Selbst erfahrene Zöllner zucken da die Schultern. Genau wie bei der Frage nach dem eigens für die neue Aufgabe programmierten Computersystem. Ob es funktioniert, war zumindest in Münster bis Redaktionsschluss noch unklar, weil die Datensätze erst zur Umstellung am 6. März eintreffen sollten - denkbar knapp kalkuliert.

Sicher ist vor allem eins: Auf den Zoll wartet jede Menge Arbeit. Nach Plänen von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) soll die Kfz-Steuer künftig gestaffelt berechnet werden, je nach Ökobilanz des Autos. Dass die zuständige Behörde die Steuer schnell eintreibt, liegt daher im ureigenen Interesse des Staates. Denn es geht um viel Geld, sehr viel Geld: 8,5 Milliarden Euro kommen jedes Jahr an Kfz-Steuer zusammen.

© SZ vom 08.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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