Motocross:Aufhören, solange es noch geht

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Busty Wolters, einer der besten Freestyle-Motocross-Fahrer, steigt aus dem Geschäft aus - auch, weil ein Freund nach einem Sturz starb.

T. Becker

Als der Weltmeister mit sechzig Sachen aus acht, neun Meter Höhe stumpf auf den Boden knallt, dauert es nur Sekunden, bis sie da sind: die Jungs mit den schwarzen Sichtschutzmatten. Die First Aid. St. John Ambulance wird erst später gebraucht. Zuerst muss Mat Rebeaud, der Schweizer Titelverteidiger, aus dem Blickfeld der 17.000 Zuschauer befördert werden. Nach ein paar Minuten ist es geschafft: Er kann gehen, immerhin.

Das Finale der Red Bull X-Fighters, einer Eventserie der weltbesten Freestyle-Motorradfahrer. Zwölf Mann, ein Parcours mit riesigen Hügeln und Rampen, 90 Sekunden Zeit für den möglichst spektakulären Kampf gegen die Schwerkraft. Die Sprünge heißen Kiss of Death, Tsunami, Dead Body oder Cliffhanger und sind oft nur in der Zeitlupe nachzuvollziehen.

Seit acht Jahren zeigen die Fahrer ihre Akrobatik-Show an unterschiedlichsten Locations: im Sambadrom von Rio, vor 43.000 Fans in der Arena von MexikoCity, in einem Wuppertaler Steinbruch, vor einem mittelalterlichen britischen Schloss, in der Stierkampfarena von Madrid oder einer texanischen Rodeo-Arena. Diesmal fliegen und springen sie vor der Kulisse des stillgelegten Londoner Elektrizitätswerks Battersea Park. Die markanten Türme des Backsteinbaus waren Schauplatz von Filmen wie "Full Metal Jacket", "Dark Knight" oder "Help" und zierten das Cover einer Pink-Floyd-Platte. Zum Auftakt der Show fliegen die Fahrer durch eins der kaputten Fenster - ein Hüpfer im Vergleich zu dem, was noch kommt.

Ein Profi wechselt die Seiten

Einer, der kürzlich noch im Scheinwerferlicht stand, hat seinen Platz nun hinter der Bühne: Busty Wolters, Spitzname Airwastl. Ein echter Berliner: Auf den rechten Arm hat er sich Gold-Else, Fernsehturm und ein paar Spreewellen tätowieren lassen. Der Vater fuhr Motocross-Rennen, mit fünf bekam Busty sein erstes BMX-Rad, mit zehn teilte er sich mit dem Bruder eine Motocross-Maschine, fuhr Rennen. "Freestyle gab's noch nicht", erzählt Wolters, "aber ich bin immer schon gern gesprungen, hab rumgespielt, Faxen gemacht. Als ich die ersten Tricks aus Amerika sah, hab ich gedacht: Probier ich auch mal." Heute verdient er Geld damit. Sechs Jahre war Wolters Freestyle-Profi, lebte für Backflip Superman und andere Tricks. War ein X-Fighter. Das ist vorbei. Jetzt steht er im Fahrerlager und interviewt die Kollegen. Was war passiert?

Eigentlich nichts - und doch viel. "Ich bin gerade 32 geworden", sagt Wolters, "bin müde vom ständigen Sich-Pushen. Man kann sich einfach nicht ausruhen. Die Tricks sind so hart und schwierig geworden. Ich möchte das Tempo, was da vorgelegt wird, nicht mehr mitgehen." Sätze, die so gar nicht zum Hau-drauf-Image der Freestyler passen.

Und dann war da noch die Geschichte mit Jeremy Lusk, einem Freund von Wolters. Der Kalifornier, X-Games-Sieger 2008, galt als einer der besten der Szene. Er starb im Februar, nach einem Sturz. Der erste Todesfall. "Ein Schock für alle, ein Weckruf", erzählt Wolters, "wir wissen alle, worauf wir uns einlassen, was im schlimmsten Fall passieren kann. Es gab ja schon Querschnittslähmungen." Lusk starb nach einem Heart Attack Backflip: "Den machen nicht so viele Fahrer", sagt Wolters, "aber es war einer seiner Spezialsprünge." Lusk war ein deftiger, massiver Typ, Spitzname Pitbull, weil er immer wieder aufgestanden ist. "Jeder dachte: Na gut, den tragen sie jetzt runter, gleich steht er noch mal auf, morgen kommt er aus dem Krankenhaus", sagt Wolters. Aber diesmal war es nicht so: Drei Tage nach dem Sturz starb Jeremy Lusk.

"Man war es ja gewohnt, dass die Jungs nach zwei, drei Monaten wieder zusammenwachsen", erzählt Wolters, "aber jetzt ist es nicht nur Gerede, jetzt ist es passiert. Das hat alle nachdenklich werden lassen, ließ manche umdenken: vielleicht nicht immer Augen zu und durch." Einige seien einen Monat lang erst mal nicht gefahren. Aufgehört habe aber keiner, "und einige fahren schon wieder so harte Tricks..."

Das Unglück fährt mit

Cameron Sinclair zum Beispiel: Beim Event in Madrid landete er nach einem doppelten Rückwärtssalto auf dem Gesicht: Schulterbruch, Schädelverletzungen, ein paar Tage künstliches Koma. "Jetzt wussten alle: Man kann wirklich sterben. Alle waren ganz schön besorgt, viele gingen nicht zur After Party", erzählt Wolters. Er glaubt, dass die Kollegen seitdem "noch mehr auf die Sicherheit achten".

Doch gegen manches sei man nicht gefeit. Mat Rebeaud stürzte wegen eines Plattfußes: ein Nagel im Vorderrad. Wolters hat auch diesen Sturz gesehen: "Er ist mit dem Kinn auf den Lenker geknallt, der Helm ist gebrochen." Rebeaud musste genäht werden. Das Unglück fährt eben ständig mit. "Wenn man permanent darüber nachdenkt, kann man es gleich bleibenlassen", so Wolters, "man denkt ja auch nicht, wenn man ins Auto steigt, dass man jederzeit von einem Lkw abgeräumt werden könnte."

Wolters hat Sportjournalismus studiert, nebenher als freier Journalist gearbeitet und wird mit seinem Freestyle-Team noch ein paar Shows fahren - allerdings weit weg vom X-Fighters-Niveau. Er sagt: "Ich will nicht so enden, dass ich fahre, bis es nicht mehr geht." Auch so kann eine X-Fighter-Karriere enden. Schön.

© SZ vom 07.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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