Mit Windeskraft:Die mit dem Drachen tanzen

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Kitesurfer suchen den schnellsten Weg übers Wasser. Nun entdeckt auch die Handelsschifffahrt die Kraft des Windes wieder und will diese nutzen.

Sabine Reuter

Die bis zu zwölf Meter hohen und bis zu zwanzig Meter weiten Sprünge sind spektakulär, die Namen der akrobatischen Übungen hoch über der Wasseroberfläche klingen wie aus einer anderen Welt: Freestyler 360er, Fakie, Switch, Grab, Boneless oder Twist. Kitesurfen ist der derzeit wohl faszinierendste Solo-Wassersport - die Surfer flitzen auf einem Mini-Board stehend übers Wasser und lassen sich von Schirmen oder Drachen ziehen.

"Das Gefühl ist einfach überwältigend", schwärmt beispielsweise Richie, Rechtsanwalt aus Innsbruck, "man beherrscht den Drachen, der 25 Meter weit weg an der Leine liegt, an dem du praktisch schwerelos hängst und fliegst." In den vergangenen zehn Jahren hat das Kitesurfen eine stürmische Entwicklung erlebt; weltweit soll es schon 200.000 Begeisterte geben, die mit dem Drachen tanzen, in Deutschland rechnet man mit 10.000 Anhängern.

150 Jahre später

Dabei ist die Idee, Gegenstände und Personen durch einen Drachen vorwärts zu bewegen, nicht neu. Dem Engländer George Pocock gelang es bereits 1826, eine Kutsche von einem Flugdrachen ziehen zu lassen und so bis zu 20 Kilometer pro Stunde zu erreichen. Aber trotz des Aufsehens, das Pocock weltweit erregte, wurde erst Ende der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts wieder mit Drachen experimentiert; Grund waren neue Materialien für Steuerleinen und Schirme wie Kevlar und Karbon, die größeren Kräften standhalten. 1978 erreichte Ian Day mit einem von einem Flexifoil-Drachen angetriebenem Katamaran auf dem Wasser mehr als 40 km/h.

In den achtziger Jahren dann gab es mehr oder weniger erfolgreiche Versuche, sich in Kanus, auf Schlittschuhen, auf Wasser- und Alpinski und mit anderen Sportgeräten von einem Kite ziehen zu lassen. Aber erst 1990 gelang dem Neuseeländer Peter Lynn der Durchbruch.

Für ein Drachenfest wurde Lynn, der sich bis dahin hauptsächlich mit von Drachen gezogenen Booten beschäftigte, gebeten, ein Vehikel mitzubringen, mit dem man sich auch auf dem Festland fortbewegen konnte. Kurzerhand tauschte er die Kufen seines Trimarans gegen Räder aus und erfand so das Kite-Buggy-Fahren. In Küstenregionen mit starken Winden werden heute mit Kite-Buggys Spitzengeschwindigkeiten von 90 km/h erreicht und Rennen ausgetragen.

Ganzkörper-Einsatz

Was auf festem Boden funktionierte, wurde bald auch auf dem Wasser ausprobiert. Der Schweizer Andreas Kuhn ließ sich bereits Mitte der achtziger Jahre von einem Paraglider ziehen und landete mit seinen hohen Sprüngen prompt im Fernsehen. Als Windsurfer auf Hawaii 1996 zunächst auf Wasserski und Surf- und Wakeboards mit spektakulären Sprüngen am Drachen Aufsehen erregten, war der Siegeszug des Kitesurfens nicht mehr zu bremsen. Heute liegt der Geschwindigkeitsrekord bei 77,49 km/h.

Was die Gebrüder Wright für die Entwicklung des Fliegens bedeuten, sind die französischen Brüder Dominique und Bruno Legaignoux fürs Kitesurfen. Nach vielen Experimenten ließen sie sich 1984 das Drachensystem Wipika (Wind Powered Inflatable Kite Aircraft) patentieren: ein Drachen, der dank seiner aufblasbaren Luftkammern auch aus dem Wasser leicht zu starten ist. Heute orientieren sich alle Schlauchschirmhersteller an diesem Patent.

Das Brett ist etwa 130 bis 150 Zentimeter lang und wiegt rund drei Kilo. "Die Ausrüstung ist leicht und macht mobil", schwärmt der 19-jährige Münchner Profifahrer Silvester Ruckdäschel, "der Drachen, das Trapez und der Neoprenanzug passen in einen Rucksack, das Brett wird untern Arm geklemmt." Und Zeuge dafür, dass Kitesurfen auch in fortgeschrittenem Alter noch Spaß macht, ist Anwalt Richie: "Man setzt den ganzen Körper ein, ohne einen Teil extrem zu belasten."

Heftige Diskussionen um den Risikosport

Trotzdem gehört Kitesurfen zu den Extremsportarten. Als in den neunziger Jahren mehrere Unfälle zu beklagen waren und vor fünf Jahren die Deutsche Silke Gorldt an der Ostsee tödlich verunglückte, gab es heftige Diskussionen um den Risikosport. Inzwischen wurden die Sicherheitssysteme deutlich verbessert: Ein Schnellverschluss am Trapez kann in kritischen Situationen mit einem Handgriff gelöst werden; Helm und verstärkte Schwimmweste schützen beim Aufprall aufs Wasser.

Längst wird aber auch darüber nachgedacht, die Kraft des Drachen in der weltweiten Handelsschifffahrt zu nutzen. So will die Bremer Beluga Gruppe im Sommer den 160 Meter langen Frachter Beluga SkySails in Dienst stellen (die SZ berichtete). SkySails-Chef Stephan Wrage: "Der Drachen kann den Schiffsdiesel nicht ersetzen; der Wind ist ein Hilfsantrieb und soll den Treibstoffverbrauch reduzieren."

Im Idealfall aber könnten für einen 160-Meter-Frachter die Treibstoffkosten um bis zu 50 Prozent gesenkt werden. Bei Preisen von 500 und mehr Dollar pro Tonne Marinediesel könnten die Anschaffungskosten von rund zwei Millionen Euro für einen großen Zugdrachen im Nordatlantik schnell wieder eingefahren werden.

© SZ vom 30.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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