Elektromobil für körperlich Behinderte:Ein Auto für die Freiheit

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Stacy Zoern und ihr behindertengerechtes Elektroauto: "Es wird mein Leben verändern". (Foto: Community Cars)

Stacy Zoern sitzt seit Jahren im Rollstuhl. Ein eigener Wagen war ihr Traum - doch es gab keinen passenden. So startete die Amerikanerin kurzerhand selbst eine Produktion für E-Autos. In diesen Tagen rollen die ersten Exemplare vom Band. Und ein neues Modell ist schon in Planung.

Von Kathrin Werner

Stacy Zoern hat ihr Leben ohne Freiheit perfekt organisiert. Morgens kommt ein Helfer vorbei und trägt sie aus dem Bett unter die Dusche. Sie kann ihre Zähne selbst putzen und sich das Haar aus dem Gesicht streichen. Wenn es im Nacken kitzelt, kann sie es aber nicht zum Zopf binden. Laufen kann sie nicht, und ihre Arme sind sehr schwach. Sie braucht Hilfe, um auf die Toilette zu gehen, auch das Essen wird von Pflegern für sie gekocht. Wenn sie ausgehen will, müssen Freunde sie und ihren Elektro-Rollstuhl ins Auto hieven.

Zoern leidet an einer Muskel- und Nervenkrankheit. "Ich bin sehr, sehr abhängig", sagt sie. So richtig abgefunden hat sie sich mit ihrer fehlenden Freiheit nie. Seit Jahren schon hätte die 33-Jährige gern ein Auto, das sie selbst steuern kann, doch es gab kein passendes für sie. Darum baut sie es jetzt selbst - für sich und für andere Behinderte. Zoern hat in ihrer Heimatstadt Austin in Texas eine Elektroauto-Firma gegründet. Ende dieses Monats laufen ihre ersten Miniwagen vom Band. Sie heißen Kenguru, sind weiß oder gelb und sehen ein wenig aus wie ein Smart. Ein Rollstuhl kann von hinten über eine Rampe hineinfahren. Behinderte auf der ganzen Welt wollen einen Kenguru haben. Zoern, gelernte Anwältin, ist jetzt Unternehmerin.

Ihr persönlicher amerikanischer Traum

Zoerns Geschichte ist typisch amerikanisch, sie erzählt vom amerikanischen Traum und amerikanischen Optimismus. Wenn etwas fehlt, muss man es erfinden! Wenn du unzufrieden bist, tu etwas dagegen! So denken die Amerikaner, seit ihre Vorfahren die neue Welt besiedelten. Und Zoerns Geschichte könnte, wenn mit den Kengurus alles läuft wie geplant, zu einer der noch seltenen Erfolgsgeschichten aus der Elektroauto-Branche werden.

Zoerns Geschichte begann vor drei Jahren. Sie googelt immer wieder nach Autos für Rollstuhlfahrer, sie hat sich das in den Kopf gesetzt. Und tatsächlich findet sie eine Firma. Die ist in Ungarn, weit weg von Texas, und gehört Istvan Kissaroslaki, auf der Webseite steht seine Telefonnummer. Zoern ruft ihn an, Kissaroslaki geht nicht ans Telefon. Zwei Wochen lang versucht sie es jeden Tag, bis sie ihn endlich erreicht. Die Finanzkrise ist damals auf dem Höhepunkt, in Osteuropa sieht es besonders düster aus. Kissaroslaki hat zwar eine EU-Bürgschaft, aber gerade seine kreditgebende Bank verloren. Er steht kurz vor der Pleite. Mindestens zwei Jahre würde es dauern, bis sie ihr Auto bekommt, wenn überhaupt jemals, sagt Kissaroslaki.

Zu klein, zu unbekannt in der Autobranche - und noch dazu ein E-Auto

Zoern mit ihrem amerikanischen Optimismus lässt sich davon nicht entmutigen. Die junge Anwältin ohne viel Geld und ohne großes Netzwerk fängt an, nach Investoren zu suchen. Drei Millionen Dollar fehlen der fremden Firma des fremden Herrn aus Ungarn. Zoern arbeitet sich in die Technik ein. Sie und Kissaroslaki telefonieren jeden Tag, er fliegt immer öfter nach Texas. "Wir haben uns auf Anhieb blendend verstanden", sagt der gebürtige Ungar, der in Deutschland aufgewachsen ist und einen deutschen Pass hat. Nach Monaten der Krise in Osteuropa und dem Hin und Her zwischen den Kontinenten zieht Kissaroslaki mit seiner Familie nach Texas.

Gemeinsam gründen er und Zoern eine neue Firma, Community Cars. Zoern investiert all ihr Privatvermögen, gibt ihren sicheren Job als Anwältin auf und wird Chefin, Kissaroslaki Vorstand für das Tagesgeschäft. "Es war ein gigantisches Risiko", sagt sie. "Aber ich bin noch jung, und ich wollte etwas Sinnvolles machen." Zoern hat sich die Suche nach dem Geld leicht vorgestellt im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. "Ich hatte keine Ahnung, auf was ich mich da eingelassen hatte." Doch Banken und Investmentfirmen winken ab. Zu klein, zu unbekannt in der Autobranche - und noch dazu ein E-Auto.

Auch die Regierung gibt keine Subventionen, obwohl die Kengurus öko sind. "Niemand wollte mit uns reden", sagt Zoern. Ihr erster Geldgeber, ein ehemaliger Börsenhändler aus New York, ist schließlich ein Nachbar, den Zoern überzeugt. Inzwischen hat er 550.000 Dollar in die Kengurus gesteckt. Immer mehr Investoren kommen hinzu, etwa Steen Rothenberger, Spross des Maschinenbau-Imperiums Rothenberger aus Kelkheim bei Frankfurt. Zoern sei inzwischen ein richtiger Profi im Umgang mit Investoren, sagt Kissaroslaki. "Stacy ist ein sehr liebenswerter Mensch, aber auch sehr hartnäckig."

Mittlerweile hat Zoern rund vier Millionen Dollar eingesammelt - genug, um die Produktion der Kengurus zu starten. 60 Stück will sie in diesem Jahr noch verkaufen. Nächstes Jahr sollen es 1000 werden. Sie sind nur für Fahrten in die nähere Umgebung gedacht, ihr Höchsttempo ist 45 Stundenkilometer. Die Elektromotoren reichen für gut 100 Kilometer Strecke, sie fahren fast geräuschlos und verbrauchen keinen Sprit, man kann sie in die normale Steckdose stecken. Zwischen 19.000 und 21.000 Dollar werden sie kosten, je nach Ausstattung. Die einzige Alternative für Rollstuhlfahrer war bislang, ein normales Auto zu kaufen und es umbauen zu lassen. 80.000 Dollar kostet das, sagt Zoern.

Sorgen über den Verkauf macht sie sich nicht. "Die Nachfrage ist gigantisch", sagt sie. Es gibt schon eine Warteliste, täglich kommen Mails von Interessenten. Der Markt sei riesig, weltweit gibt es 50 Millionen Rollstuhlfahrer. 5000 bis 10.000 Autos pro Jahr will Zoern einmal verkaufen, wenn alles gut läuft. Im noch immer stagnierenden Markt für Elektroautos wäre sie damit einer der größeren Anbieter - wenn auch mit einem Nischenprodukt.

Produktion in Deutschland geplant

Gerade suchen Zoern und Kissaroslaki nach einem Händler in Deutschland, der die Elektrowägelchen auch in Deutschland vertreibt. Und weil es zu teuer ist, die Autos aus Florida nach Europa zu transportieren, wollen die beiden auch in Europa produzieren. In den nächsten 24 Monaten wollen sie einen europäischen Fertigungspartner finden, am liebsten in Deutschland, sagt Kissaroslaki. "Made in Germany" sei eben ein Qualitätssiegel.

Viele Teile der Kengurus kommen aus Deutschland. Die Elektronik liefert die Firma Digalog aus Berlin. Die Elektromotoren baut Heinzmann, ein Mittelständler aus dem Schwarzwald. Weltweit habe er Motorenbauer getestet, vor allem in Asien, erzählt Kissaroslaki. Von den zehn Testmotoren, die er sich pro Anbieter hat schicken lassen, kamen außer bei den Deutschen selten zwei auf die gleiche Leistung. Das aber sei wichtig. "Sonst fährt man im Kreis", sagt er. Schließlich hat der Kenguru zwei Motoren, einen für jeden Hinterreifen.

Inzwischen arbeiten Zoern und Kissaroslaki an einem neuen Modell. Denn Zoerns Traum von mehr Freiheit ist noch nicht erfüllt. Die ersten Kengurus sind für Rollstuhlfahrer, die ihre Arme benutzen können. Das neue Modell soll größer werden, damit auch elektrische Rollstühle Platz haben, und es soll mit einem Joystick gelenkt werden für Menschen mit wenig Kraft. Für das neue Modell, das es von 2015 an geben soll, sammelt Zoern wieder Geld bei Privatinvestoren. "Ich kann es kaum erwarten", sagt sie. "Dann kann ich selbst zu meinem Lieblingsrestaurant fahren, ohne immer eine Bürde für meine Freunde zu sein. Ich kann spontan sein. Es wird mein Leben verändern."

© SZ vom 15.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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