Der Absturz von Flug TWA 800:Lange Leitung

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Erst jetzt, zwölf Jahre nach dem Absturz eines TWA-Jets, sorgen US-Behörden für rettende Technik.

Andreas Spaeth

So bitter es klingen mag: Manchmal haben Katastrophen auch ihr Gutes - selbst dann, wenn es bis dahin lange dauert. So zog jetzt, zwölf Jahre nach dem Absturz eines mit 230 Menschen besetzten TWA-Jets vor der Küste von Long Island, der Chef der US-Verkehrssicherheitsbehörde NTSB, Mark Rosenker, erleichtert einen Schlussstrich unter jahrelange Arbeit: "Wir glauben, dass die neue Regelung Leben retten wird."

Das Ende von Flug TWA 800: der Absturz zwölf Kilometer vor der Küste von Long Island. (Foto: Foto: dpa)

Eine bis dahin unvorhersehbare Katastrophe

Denn seit 2002 gehörte die Forderung nach mehr Schutz vor Explosionen von Flugzeugtanks zu einer der höchsten Prioritäten der NTSB, die der US-Luftfahrtbehörde FAA aber nur Vorschläge für neue Bestimmungen geben kann. Die FAA zögerte - vor allem wegen der erwarteten hohen Kosten für die wirtschaftlich ohnehin gebeutelte Luftfahrtbranche. Jetzt steht fest: Insgesamt 2730 seit 1991 von Airbus und Boeing gebaute Verkehrsflugzeuge, die in den USA registriert sind, müssen in den kommenden neun Jahren mit neuen Schutzgas-Systemen in den Tanks ausgerüstet werden; zudem müssen alle neuen Flugzeuge von 2010 an ab Werk derart ausgestattet sein.

"Wir können die Vergangenheit nicht ändern, aber wir können die Zukunft für Tausende Flugreisende sicherer machen", lobte US-Verkehrsministerin Mary Peters. Die Angehörigen der 230 Menschen, die an Bord des TWA-Fluges starben, sehen das kritischer. "Es ist lächerlich, dass es so lange dauerte, eine Maßnahme gegen ein Problem in Kraft zu setzen, das 30 Jahre bekannt ist", klagte Matt Ziemkiewicz, dessen Schwester damals starb, in der New York Times.

Die Katastrophe, die Auslöser für die neue Vorschrift ist, geschah am 17. Juli 1996. Eine Boeing 747-131 der US-Fluggesellschaft Trans World Airlines startete unter der Flugnummer TW 800 in New York-JFK mit Ziel Paris-Charles de Gaulle - 13 Minuten nach dem Start kam es zu einer gewaltigen Explosion. Die Frontpartie des 1971 gebauten Jumbojets riss kurz vor den Tragflächen ab, die Trümmer stürzten zwölf Kilometer vor der Küste von Long Island ins Meer. Das Inferno geschah ohne jede Vorwarnung, was die sofort aufkommenden Spekulationen über eine mögliche Bombe an Bord oder einen Raketenbeschuss noch bestärkte. Um Gewissheit zu erlangen, musste das Wrack möglichst vollständig geborgen und analysiert werden; rund 100 Millionen Dollar investierten Regierung, FBI und NTSB in die aufwendigste Unfalluntersuchung in der Geschichte der zivilen Luftfahrt. In einer Halle auf Long Island wurden die Trümmer gesammelt, sortiert und rekonstruiert.

Der Absturz von Flug TWA 800
:Lange Leitung

Erst jetzt, zwölf Jahre nach dem Absturz eines TWA-Jets, sorgen US-Behörden für rettende Technik.

Andreas Spaeth

Besonderes Interesse galt von Anfang an dem mannshohen sogenannten Center Wing Tank unter der Kabine, der zwischen den Tragflächen lag. Er war zurzeit des Unglücks fast leer - nicht einmal 400 Liter Kerosin schwappten durch den riesigen Tank, der für knapp 50.000 Liter Treibstoff ausgelegt war. Vor dem Start in New York war mehrere Stunden lang die Klimaanlage gelaufen, die direkt unter dem Tank liegt; dadurch, so fand Boeing in umfangreichen Versuchen heraus, erreichte die Temperatur im Tank zur Absturzzeit 60 Grad Celsius - durch die geringe Betankung hatte sich bereits aus Kerosindämpfen und Luft ein explosives Gemisch gebildet, das durch die Hitze noch gefährlicher wurde. Schnell war also klar, dass der Tank explodiert war, aber niemand wusste, wodurch. Nach vierjähriger Untersuchung verkündete die NTSB im August 2000 als vermutliche Ursache die Explosion des Mitteltanks durch einen Kurzschluss in schadhaften Kabeln; Beweise fanden sich nie.

Die NTSB forderte bereits damals, dass der Entflammbarkeit dringend durch konstruktive Änderungen begegnet werden müsse. Anfangs schlug die Behörde kurzfristige Lösungen vor, um etwa das Entstehen von gefährlichen Dämpfen einzudämmen. Weitere Vorschläge betrafen längerfristige und teurere Maßnahmen wie das Einleiten nichtbrennbaren Stickstoffs in leere Tanks. Genau das ist jetzt zur Vorschrift geworden, was pro Flugzeug bis zu 311.000 Dollar kostet; die Gesamtkosten der Initiative werden auf eine Milliarde Dollar geschätzt. Dieses Schutzgas-System nutzt kleine Ventilatoren, die Luft durch eine Membran pumpen und Sauerstoff von Stickstoff trennen. Der Sauerstoff, der Explosionen begünstigt, wird abgeleitet, während Stickstoff als explosionshemmendes Schutzgas freies Tankvolumen füllt.

Die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) wird die neuen US-Vorschriften nicht unmittelbar übernehmen. Zwar müssen auch in Europa von 2010 an alle neuen Flugzeuge entsprechend ausgerüstet sein, doch glaubt man in Köln nicht, dass die Nachrüstung existierender Jets "in allen Fällen eine angemessene Linderungsmaßnahme" gegen die Explosionsgefahr sei. Im Oktober will die EASA entscheiden.

© SZ vom 26.07.2008/gf - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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