Billigauto von VW:Guter Freund, Treue Schlange, Grüner Drachen

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So könnte ein Billigwagen von VW aussehen. (Foto: N/A)

Ein Mittelklasseauto für weniger als 7000 Euro? VW könnte das Wunder mit chinesischer Hilfe wahr werden lassen. Bis zur Serienreife hat Volkswagen allerdings noch einige Aufgaben zu lösen - und sich an schwülstige Firmenbezeichnungen zu gewöhnen.

Von Georg Kacher

Vor rund eineinhalb Jahren hat Martin Winterkorn das Projekt Budget Car höchstpersönlich angestoßen. "Wir schauen uns die Möglichkeit an", sagte der VW-Chef im Rahmen der Detroit Auto Show 2012. "Aber die ersten Zahlenspiele stimmen uns zuversichtlich, denn der globale Budget-Markt umfasst heute etwa acht Millionen Personenwagen und somit 13 Prozent des Gesamtvolumens. Bis 2018 dürfte der Anteil auf zehn Millionen Fahrzeuge anwachsen. Wir arbeiten derzeit intensiv daran, wie Volkswagen auch in diesem Wachstumssegment aktiv sein kann", so Winterkorn.

Verantwortlich für das Thema Spar-Auto ist der frühere Opel-Vorstandsvorsitzende Hans Demant. Der gelernte Techniker weiß natürlich, dass Budget Cars in Europa nur eine Nebenrolle spielen. In Indien, China und Russland kann man mit Autos zum kleinen Preis dagegen möglicherweise das große Geld verdienen. "Wir konzentrieren uns in China nicht nur auf den Speckgürtel im Osten", erklärt der Experte. "Mobilitätsbedarf besteht auch im Westen, wo die Durchschnittslöhne noch deutlich niedriger sind. In China liegt das Volumen im Budget-Segment aktuell bei zirka 20 Prozent, das sind rund 3,8 Millionen Autos."

"Wir können alles - außer billig"

Die erfolgreichsten Protagonisten der Billig-Liga heißen Maruti Alto, Chevrolet Celta, Perodua Myvi, Proton Saga, Lada Kalina, Ford Figo, Fiat Palio und Dacia Sandero. Auch der VW Jetta mischt mit im Geschäft um Heller und Cent, doch der entsprechende Teilesatz auf Golf-II-Basis stammt aus dem Jahr 1984 und ist nicht mehr geeignet, in die Marke einzuzahlen. Im Gegenteil: Eigentlich müsste sich ein Volumenhersteller mit Premium-Ambitionen längst von solchen technischen Altlasten entledigt haben. Doch genau hier liegt das Problem, denn wenn es um Neuentwicklungen geht, legt das Ingenieur-getriebene Unternehmen die Messlatte bewusst besonders hoch. "Wir können alles - außer billig", ist eine oft kolportierte Maxime, die so gar nicht zum Budget Car passt, das bekanntlich mit dem Rotstift konstruiert wird. "Man muss das Thema regional betrachten", relativiert Hans Demant. "Wer Weltmarkt-Ansprüche setzt, läuft Gefahr, die Kaufkraft der Zielgruppe zu überfordern. Regional heißt unterschiedliche Autos für unterschiedliche Märkte. Ein einziges Modell ist zu wenig - um Erfolg zu haben, braucht man für jeden Kernmarkt ein eigenes Modell."

Aktuell untersucht VW vier verschiedene Regionen, die von der neuen Marke bedient werden könnten. Priorität hat China, wo die Wahl bereits konkret auf ein Fahrzeug der Golf-Klasse gefallen ist. In einem zweiten Schritt wollen Demant und sein Team Indien mit einem Kleinstauto im A00-Format des Up beglücken. Nummer drei auf der Liste ist entweder Brasilien mit einem Angebot in der Polo-Klasse oder Russland mit einem Fahrzeug, das größenmäßig zwischen Jetta und Passat rangiert. Bottom up heißt die Devise: Es geht darum, eine Plattform so abzuwandeln, dass ein Fahrzeug der nächsthöheren Klasse entsteht - zum Beispiel ein Polo aus Elementen des Up. Das spart Kosten und hält den Preis niedrig. Im Idealfall sind 85 Prozent der Kunden Erstkäufer, die sich sonst keinen Neuwagen leisten könnten.

Produktion könnte schon 2017 anlaufen

VW hat das Thema Budget Car zwar noch nicht endgültig entschieden, doch die Vorlage gilt inzwischen als genehmigungsfähig und soll binnen sechs Monaten die Gremien passieren. Wenn in der Folge keine Probleme auftauchen, könnte die Produktion in China Ende 2017 oder Anfang 2018 anlaufen. Nach geltendem Wirtschaftsrecht funktioniert das allerdings nur mit einem chinesischen Partner, und den gilt es erst noch zu finden.

Die Wolfsburger sind zwar bereit, ihr Know-how in dieses Projekt einzubringen, viel Geld investieren will man jedoch nicht. Das Werk soll auf der grünen Wiese entstehen, die geringe Fertigungstiefe verschiebt einen großen Teil des Investitionsvolumens auf die Schultern der Zulieferer, den Motor und das Getriebe steuert im Idealfall der chinesische Partner bei, der im Gegenzug zu etwa einem Drittel am Joint Venture beteiligt wird. Irgendwann, so die heimliche Hoffnung, ist eine Lokalisierung von 100 Prozent zu schaffen. Von VW kommen die vom Controlling entfeinerten Grundelemente der Fahrzeugarchitektur, die trotzdem ein Mindestmaß an Sicherheit und Dynamik garantieren.

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Auch die Systemführerschaft für das Design will man nicht aus der Hand geben. "In der Budget-Car-Klasse gelten andere Prioritäten", erläutert Demant. "Einerseits muss das Auto zuverlässig, langlebig, einfach zu reparieren und günstig zu warten sein. Andererseits haben die Chinesen aber auch gewisse Ansprüche an Komfort, Anmutung und Ausstattung. Der Wagen muss vernünftig federn, mit den teilweise schlechten Straßen auch auf Dauer gut zurechtkommen, über Klimaautomatik und Bluetooth-Schnittstelle verfügen, mit vier Airbags, ABS und optionalem ESP sicherheitstechnisch auf der Höhe der Zeit sein."

Die neue Fabrik ist für eine Jahreskapazität von 200.000 Einheiten ausgelegt. Gesteigert wird in zwei Schritten auf die Kammlinie von 400.000 Fahrzeugen. VW plant vom Start weg drei eng miteinander vernetzte Karosserievarianten. Ein A+-Stufenheck macht den Anfang, ein Schrägheck wird folgen, ein viertüriger Crossover soll zeitnah nachgeschoben werden. Das Kürzel A+ steht für eine Zwischengröße, die etwas mehr Platz bietet als der aktuelle Jetta. Technisch gesehen handelt es sich hier um einen Ausflug in die Vergangenheit, denn während die Vorderachse vom Golf V stammt, ist die Hinterachse eine Leihgabe der letzten Polo-Generation. Zu Anfang wird es vermutlich nur eine einzige Motorisierung geben. Angedacht ist ein rund 110 PS starker Vierzylinder-Benziner mit 1,5 oder 1,6 Liter Hubraum. Alternativ zum Fünfganghandschalter will man eine Automatik mit fünf Stufen anbieten. Servolenkung, Zentralverriegelung und Klimaanlage gehören selbst im Budget Car zum Standard-Repertoire. Ein Normverbrauch von fünf bis sechs Liter gilt als nicht verhandelbare Vorgabe.

"Kostenbewusstes Denken zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Projekt. Schon in der Konzeptphase muss man äußerst diszipliniert vorgehen", sagt Demant. Nicht nur das Produkt hat preiswert zu sein - auch bei der Fertigung, beim Vertrieb und im Dialog mit den Zulieferern geht es darum, Geld zu sparen. Es müssten Kostenziele erreicht werden, die noch vor ein oder zwei Jahren als nicht machbar galten. Der ultimative Sparkurs ist das Werk von 70 bis 80 Spezialisten, die in Europa und China die Entwicklung und Produktion von Automobilen im Prinzip noch einmal neu erfinden. Statt Geld aus einem bereits fertigen Produkt herauszunehmen, vertraut VW auf einen Mix aus innovativen Ansätzen und fast vergessenen Methoden. Die niedrigen Löhne in China bedeuten zum Beispiel einen deutlich geringeren Automatisierungsgrad, das knappe Budget verbietet fast zwangsläufig hoch technisierte Prozesse wie Laserschweißen, die Schnittstelle zum chinesischen Partner birgt potenzielle Reibungsflächen. Wie will VW zum Beispiel gewährleisten, dass ein nicht selbst entwickelter Motor das Anforderungsprofil erfüllt? Wie bekommt man die Qualitätssicherung bei den Lieferanten in den Griff? Wie lässt sich eine mit der Materie kaum vertraute Mannschaft auf Linie bringen?

Chrom, Radio und Klimatisierung

Das Abenteuer Budget Car verkompliziert sich weiter durch die besonderen Anforderungen des chinesischen Marktes. Demant fasst zusammen: "Wir können kein bestehendes Modell direkt übernehmen, wir dürfen aber auch nicht in Minimalismus verfallen und ein Verzichtsauto realisieren. Die Kunden wollen auch Chrom im Auto, ein gutes Radio und Klimatisierung; dazu ein attraktives, gerne helles Interieur. Gleichzeitig muss das Budget Car Dinge können, die in Europa fast keine Rolle mehr spielen. Es braucht extra-lange Federwege um tiefe Schlaglöcher wegzustecken, dazu große Räder und schmale Reifen mit hohen Flanken sowie einen absolut robusten Motor." Klar, dass bei Preisen um 7000 Euro keine Super-Rendite zu erwarten ist. Doch selbst schmale Margen haben nur dann Bestand, wenn das Produkt über einen langen Zyklus von zweimal sechs Jahren inklusive Facelifts attraktiv bleibt. Ein einziger Absatzeinbruch würde die gesamte Kalkulation rot einfärben.

Schönes Leben, Guter Freund, Treue Schlange, Grüner Drachen. Das sind nur vier von vielen Vorschlägen, mit denen VW derzeit in China auf Namensuche für das Budget Car unterwegs ist. Bedeutungsschwangere Firmenbezeichnungen gelten zwischen Hongkong und Peking als wichtiger Schlüssel zum Erfolg. Die Deutschen schlagen mit dem Fantasienamen zwei Fliegen mit einer Klappe. Zum einen streben sie eine positiv besetzte und möglichst emotionale Positionierung an, zum anderen bleibt die wertvolle Kernmarke VW unbeschädigt für den Fall, dass sich das Budget Car als Liegenbleiber herausstellen sollte. Einen Export nach Europa schließt Hans Demant aus, freilich nicht ohne dabei verschmitzt zu lächeln. Natürlich steigt auch bei uns die Nachfrage nach noch günstigeren Fahrzeugen. Das gilt mittelfristig vermutlich nicht nur für Südeuropa. Falls sich VW eines Tages entschließen sollte, auf diesen Trend zu reagieren, wären die in China gesammelten Erfahrungen wohl von Vorteil.

© SZ vom 05.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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