Autos, die das Herz bewegten:Ein Freund, ein guter Freund

Lesezeit: 4 min

Fiat 500, oder: Mehr Auto muss eigentlich gar nicht sein.

Tobias Opitz

Es gibt immer wieder Diskussionen zwischen Eltern und ihren Kindern, die eigentlich gar nicht geführt werden müssten. Einfach deshalb, weil das Ergebnis schon von Anfang an klar ist. Was die Eltern dann aber nicht merken und getrieben von Verantwortung und Sorge auf ihrem Standpunkt beharren. Dann, so wissen es Kinder schon in jungen Jahren, muss mit Taktik und vor allem Geduld gearbeitet werden - irgendwann verläuft die Aufregung im Sande und es kommt so, wie man es zu Beginn schon wusste.

Ein Freund, ein guter Freund: Fiat 500L (Foto: Foto: Gudrun Muschalla)

Es war Ende der sechziger Jahre, ich war 14, da gab es eine solche und in meinen Augen völlig überflüssige Diskussion zwischen meiner Mutter und mir. Was ich nicht verstand - wollte ich doch wirklich nicht mehr, als dass sie bei jeder Heimkehr oben an der Straße aus ihrem Fiat 500 aussteigt, die Einfahrt entlang zu Fuß geht und mich das Auto allein vors Haus rangieren lässt. Nach wenigen Tagen des Zögerns gab sie schließlich nach - und ich endlich Gas.

35, vielleicht 40 Meter pure Freiheit. Und am Ende der Einfahrt angekommen, immer wieder und damit immer gekonnter die schnelle Wende auf Gras mit dem Handbrems-Trick. Dass bei einer solchen Gelegenheit die hintere Stoßstange an dem Baum vor dem Haus hängen blieb, ist eigentlich einer Erwähnung nicht wert.

Eine smarte Idee

Die Erfolgsgeschichte dieser automobilen Legende begann im Juli 1957 - vorgestellt unter dem Namen Fiat Nuova 500 und legitimer Nachfolger des Fiat Topolino, der bereits 1936 der staunenden Öffentlichkeit gezeigt wurde und Italien mit einem Schlag mobil machte. Giovanni Agnelli, "Il Senatore", persönlich war es, der 1933 den Auftrag zur Entwicklung eines Kleinwagens gegeben hatte, die im Hause Fiat bis heute gepflegt wird - in unseren Tagen mit dem Panda. Noch immer möchte man voller Respekt sagen: eine smarte Idee.

Fiat 500L
:Der kleine Luxus

Der Fiat 500L ist eine Luxus-Variante, die von 1968 an steigende Bedürfnisse befriedigen sollte und sich deshalb bei der ersten Begegnung mit Chrombügeln an den Stoßstangen, Zierleisten und bereits halbwegs erwachsenen 18 PS vorstellte.

Als der Topolino 1955 eingestellt wurde, sollte es zwei Jahre dauern, bis der neue 500er kam - im Heck ein luftgekühlter Reihenmotor mit zwei Zylindern, in dieser ersten Generation mit 13 PS und immerhin 85 km/h schnell. Er traf auf Klassenkameraden wie die BMW Isetta, das Glas Goggomobil oder den Lloyd Leukoplastbomber. Italien und der Rest der Welt staunte über dieses winzige Auto, das alles hatte, was der Mensch brauchte. Ein Auto, das ständig unternehmungslustig zu fragen schien: "Wo soll's denn hingehen?"

Unter der Haube arbeitet ein luftgekühlter Reihenmotor mit zwei Zylindern. (Foto: Foto: Gudrun Muschalla)

Und noch immer ein Auto ist, das die Herzen bewegt. Denn rollt man heute mit einem 500er durch die Stadt, gibt es niemanden, der sich nicht nach dem knuffigen Gefährt umschaut, und keinen, der nicht lächelt oder winkt. Was kein Wunder ist, denn der kleine Italiener verströmt auf nur 2,97 Meter Länge mehr Charme als manche aufgeregt-neuzeitliche Karosse und stellt sie problemlos in den Schatten.

Idealer Kommunikator

Und er ist ein Kommunikator - Erinnerungen werden selbst bei kürzesten Stops ungefragt durch die kleine Seitenscheibe gereicht; will man es den Kontakt suchenden Passanten leichter machen, öffnet man mit einem schnellen Handgriff das kleine Faltdach aus Stoff. Dann müssen sich die anderen nicht ganz so weit bücken - schließlich misst der Fiat 500 nur 1,32 Meter in der Höhe.

Meine Zeitreise, fast 40 Jahre nach den leidigen Diskussionen an der elterlichen Einfahrt, machte ein Fiat 500L möglich - eine Luxus-Variante, die 1968 steigende Bedürfnisse befriedigen sollte und sich deshalb bei der ersten Begegnung mir mit Chrombügeln an den Stoßstangen, Zierleisten und bereits halbwegs erwachsenen 18 PS vorstellte.

Allein schon das Starten des kleinen Motörchens ist ein Erlebnis - das Zündschloss prangt mitten auf dem, was man heute Armaturenbrett nennt und dessen beruhigende Schlichtheit durch nichts weiter als drei winzige Kippschalter und den Tacho gestört wird. Zwischen den Sitzen dann der Hebel für den verborgenen Seilzug, der den Anlasser und damit den Motor zur Arbeit aufruft.

Und kaum läuft der Zweizylinder, läuft auch das Kopfkino. Hatte es doch Anfang der Siebziger der Fahrer eines mächtigen M.A.N.-Lasters an einer Tankstelle gewagt, beim Blick in den Motorraum unseres Fiat 500 festzustellen, dass "das da so groß ist wie mein Scheibenwischermotor".

Ich weiß - er meinte es nett, aber empörend war es dennoch. Und irgendwie nagt es noch heute an mir - vor allem, weil die zwei Zylinder auf meiner kleinen Ausfahrt ins Alpenvorland noch immer unermüdlich und durchaus selbstbewusst wirklich jede Strecke, überraschenderweise auch jeden Berg stemmen.

Es lebe "la doppietta"!

Gut 100 km/h sind mit etwas Anlauf drin - und beim Runterschalten dann macht sich die Erfahrung aus der lange vergangenen Zeit bezahlt, als ich endlich einen Führerschein hatte und meine Eltern mir ihren Fiat 500 überließen.

Denn ohne "la doppietta" - dieses wunderbare Spiel zwischen Kupplung und Gaspedal - und Fingerspitzengefühl, um den Getriebezähnen das Sich-Finden leichter zu machen, geht gar nichts. Oder im schlimmsten Falle alles sofort kaputt.

Wer heute meint, in weniger als der Golf-Klasse nicht zurecht zu kommen, der irrt. Auf den Vordersitzen, deren Lehnen bis knapp unter die Schulterblätter reichen, haben auch meine 1,85 Meter tatsächlich bequem Platz; und weil der Sitz sich nicht weit nach hinten schieben lässt - wohin auch? -, liegt das spindeldürre Lenkrad genau richtig zur Hand.

Immerhin hatte es meine Mutter geschafft, in den Sommerferien mit mir, meiner Schwester, unserem Schäferhund und dem Gepäck für sechs Wochen vom Niederrhein an den Ammersee und wieder zurück zu fahren. Wie sie das gemacht hat, gehört zu den Familienrätseln - es beweist aber, dass dieses kleine Auto tatsächlich ein ganz großes war.

Und so ist auch eine kleine Zeichnung, die lange in meinem allerersten eigenen Auto klebte, im Wortsinne nur ein Witz. Zu sehen war ein Hotelgast bei der Ankunft neben seinem Fiat 500, und der vorlaute Page fragt: "Wollen Sie den mit aufs Zimmer nehmen?" Ganz ehrlich: Als ich vor wenigen Tagen den ausgeliehenen 500L wieder abgeben musste, hätte ich es am liebsten getan.

© SZ vom 9. 9. 2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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