Italien:Das deutsche Modell

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Ein neues Wahlrecht soll Stabilität und Kontinuität für die italienische Republik bringen. Doch die Gräben, die das alte System zog, sind tief. Und wirklich eine perfekte Kopie des deutschen Wahlrechts bietet das neue Gesetz nicht. Die entscheidenden Elemente fehlen sogar.

Von Stefan Ulrich

Wie Südländer leben, aber wie Deutsche regiert werden, das ist der Wunsch vieler Italiener. Nein, die deutsche Küche, Kühle und ans Unheimliche grenzende Disziplin möchte man nicht übernehmen. Aber stabile Regierungen, konsensfähige Parteien, dem Gemeinwohl verpflichtete Politiker und eine effektive Verwaltung wären willkommen. All das haben die Deutschen - glauben die Italiener.

Nun könnte das Mittelmeerland tatsächlich deutscher werden. Die Medien sind diese Woche voller Abhandlungen über das Wahlsystem der Bundesrepublik, samt solcher Schmankerl wie Ausgleichsmandate und konstruktivem Misstrauensvotum.

Der Grund: Die größten Parteien - der regierende Partito Democratico, die populistische Fünf-Sterne-Bewegung und Silvio Berlusconis bürgerlich-konservative Forza Italia - haben sich weitgehend auf ein neues Wahlrecht geeinigt. Es soll dem modello tedesco folgen, indem es ein Verhältniswahlrecht und eine Fünf-Prozent-Klausel vorschreibt. Wird es, wonach es aussieht, Gesetz, könnte es im September vorgezogene Neuwahlen geben. Danach, so die Hoffnung, werde Italien leichter und besser regierbar. Wie Deutschland.

Lässt sich Stabilität so per Wahlgesetz importieren? Das ist unwahrscheinlich. Zum einen ändert sich eine politische Kultur nicht über Nacht, und in Italien verhindern giftiger ideologischer Zank und Palastintrigen oft Kompromisse in der Sache. Zum anderen ergeben Verhältniswahlrecht und Fünf-Prozent-Klausel allein noch kein "deutsches Modell". Hierzu gehören die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers, die Machtverteilung zwischen Bundestag und Bundesrat sowie das konstruktive Misstrauensvotum. Danach kann der Bundestag den Kanzler nur dann stürzen, wenn er zugleich einen neuen Kanzler wählt. All das wird in Italien voraussichtlich auch in Zukunft fehlen.

Ein neues Wahlrecht soll Stabilität bringen - dazu braucht es mehr

Hinzu kommt, dass die italienische Politik derzeit durch drei Blöcke geprägt wird, den Sozialdemokraten, den Konservativen und den ideologisch irrlichternden Fünf Sternen. Falls bei der Parlamentswahl keiner der großen drei eine Mehrheit der Abgeordneten gewinnt, müssten zwei von ihnen eine Koalition eingehen, wie es in Ländern mit Verhältniswahlrecht üblich ist. Die drei Blöcke sind sich jedoch so spinnefeind, dass eine gedeihliche Koalitionsregierung schwer vorstellbar ist.

Zudem machte Italien bereits seine Erfahrungen mit dem Verhältniswahlrecht. Es galt bis 1993 und führte dazu, dass stets dieselben Politiker derselben Parteien Regierungen bildeten, die Richtung Zentrum ausgerichtet waren. Sie stürzten in rascher Folge und entstanden neu. Da es nie zu einem echten Machtwechsel kam, bildete sich jener Filz, an dem die Erste Republik Anfang der 1990er-Jahre erstickte.

Damit sich das nicht wiederholt, führte Italien danach ein Mehrheitswahlrecht ein. Fortan sollten sich Rechte und Linke an der Macht abwechseln. Das neue System polarisierte das leicht erregbare Land jedoch dermaßen, dass es die Gesellschaft spaltete. Der Stellungskrieg zwischen dem Berlusconi-Lager auf der einen und der Linken auf der anderen Seite bescherte Italien zwei verlorene Jahrzehnte, woran auch ein weiterer Wahlsystemwechsel 2006 nichts änderte. An den Folgen der Blockade leidet das Land bis heute.

Nun soll es also wieder zurück zum klassischen Verhältniswahlrecht gehen. Ob es Italien diesmal Regierungsgeschick bringt? Wichtiger als das Wahlrecht wäre eine neue politische Kultur - mit mehr Gemeinsinn, Pragmatismus und Kompromissbereitschaft. Die Bürger könnten viel dazu beitragen, indem sie konsequent Politiker mit diesen Eigenschaften wählen und korrumpierte Kandidaten durchfallen lassen. Doch das ist womöglich zu deutsch gedacht.

© SZ vom 31.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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