Zukunft:Ameisen sind die besseren Autofahrer

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Stauforscher Michael Schreckenberg über eine Zukunft ohne Stau.

Innovate!: Wird unsere mobile Zukunft im Mega-Stau enden? Schreckenberg: Bestimmt nicht. Schon heute stagniert der Pkw-Verkehr in Deutschland. Und bei einem prognostizierten Bevölkerungsschwund von 80 auf 50 Millionen Menschen bis zum Jahr 2050 kommen wir mit unserem Straßennetz locker über die Runden. In ferner Zukunft werden deutlich weniger Autos unterwegs sein.

Geordneter Verkehrsfluss, wie man ihn sich auf der Straße wünscht - bei Ameisen von Natur aus programmiert. (Foto: Foto: AP)

Innovate!: Aber in den nächsten zehn, zwanzig Jahren müssen wir uns auf Stop-and-Go einstellen? Schreckenberg: Das Problem ist ja nicht der Stau an sich, sondern sein ungewisser Ausgang. Der Mensch will wissen, wann er sein Ziel erreicht. Staus sind eigentlich etwas ganz Natürliches. Nehmen wir nur mal gegenläufige Ameisenstraßen an einer Engstelle. Im Unterschied zum Menschen stellen Ameisen einen geordneten Verkehrsfluss her, indem sie sich gegenseitig pulkweise durchlassen, sie drängeln nicht, es gibt keine Zusammenstöße. Die Tiere arbeiten nach einem gewissen "Computerprogramm" den Stau ab und sparen enorm viel Zeit. Das ist bei der Spezies der Autofahrer leider nicht so.

Innovate!: Zur Feldforschung fahren Sie gezielt in Staus hinein. Welche Erkenntnis ist dabei Ihre prägnanteste? Schreckenberg: Das egoistische Verhalten der Autofahrer. Autofahrer versuchen in jeder Situation mit Millimeterarbeit ihren Vorsprung zu verteidigen. Jede Lücke wird sofort geschlossen. So kann kein Reißverschlusssystem funktionieren, so stockt jeder Verkehrsstrom. Wenn sich nur zehn Prozent der Fahrer kleinkariert verhalten, führt das zu einer Verzögerung für alle von vielen Minuten. Verkehr ist ja etwas Eindimensionales. Ein einzelner Trödler oder Drängler kann das ganze System lahm legen, das heißt kilometerlange Staus verursachen.

Innovate!: Stauvermeidung setzt also einen Lernprozess beim Autofahrer voraus? Schreckenberg: Ja. Deshalb versuchen wir durch Experimente Gesetzmäßigkeiten im Fahrverhalten herauszufiltern - um diese dann zu beeinflussen. Dabei arbeiten wir mit dem Bonner Spieltheoretiker und Nobelpreisträger Reinhard Selten zusammen. Denn Autofahren ist nichts anderes als das Spiel "Wer ist am schnellsten am Ziel?" Interessant ist dabei die Minderheitengruppe, denn sie gewinnt das Spiel. Allerdings versucht jeder Autofahrer zu dieser Gruppe zu gehören und entwickelt entsprechende Strategien.

Innovate!: Welche Verhaltensmuster gibt es denn? Schreckenberg: Die meisten Pendler, 44 Prozent, gehören der Gruppe der "Direkten" an, sie reagieren sensibel auf Verkehrsprognosen sowie Veränderungen der Verkehrslage und ändern sofort die Route. Die "Taktierer", 14 Prozent, fahren meist genau dahin, wo der Stau gemeldet wurde. Sie glauben, dass die Stauwarnung so viele abschreckt, dass die Strecke wieder frei ist, wenn sie ankommen. Die Konservativen, 42 Prozent, scheren sich nicht um Verkehrsinformationen und fahren, wie es ihnen beliebt.

Innovate!: Und welcher Stau-Typ ist am erfolgreichsten? Schreckenberg: Der Stoiker ist am erfolgreichsten. Er gehört mit 1,5 Prozent zu einer Untergruppe der Konservativen. Der Stoiker nimmt immer die gleiche Route. Allerdings funktioniert sein Prinzip nicht mehr, wenn auf einmal alle Stoiker werden.

Innovate!: Man könnte ja auch einfach mal den Bus nehmen. Schreckenberg: In Deutschland einen Autofahrer dazu zu bewegen, auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen, ist sehr schwer. Dazu ist der Leidensdruck anscheinend noch nicht hoch genug. Viele Verkehrsprojekte sind ja im Sande verlaufen, weil man den Faktor Mensch außer Acht gelassen hat. Wir konzentrieren uns daher auf die räumliche und zeitliche Verlagerung der Fahrt. Denn zu mindestens 50 Prozent gehen Staus auf Überlastung eines Straßenabschnitts zurück. Und dagegen kann man etwas machen. Das fängt beim Überholverbot für Lkws oder Baustellenarbeiten außerhalb der Rushhour an. Ideal wäre ein kooperatives System, schließlich teilen sich alle Verkehrsteilnehmer eine Straße.

Innovate!: Die Autofahrer sollen also bewusster fahren? Schreckenberg: Ja. Wir können uns eben nicht mehr jederzeit ins Auto setzen, losfahren und denken, wir kommen glatt ans Ziel. Das Paradoxe: Im Stau verlieren wir genau die Freiheit, die wir eigentlich gewinnen wollten.

Innovate!: Wie wollen Sie denn die Gesamtheit der Autofahrer zur cleveren Straßennutzung bewegen? Schreckenberg: Natürlich kann man Menschen, die wie ich dreißig Jahre lang Auto fahren, schwer umerziehen. Doch unser Pilotprojekt mit verlässlicher Stauprognose wird schon sehr gut angenommen. Und in Zukunft wollen wir so genannte "Post trip"-Informationen anbieten. Da soll der Autofahrer checken können, ob er auf der Alternativroute auch im Stau gestanden hätte. Und das führt zur Verhaltensänderung, weil man sich dann über die eigene Dummheit ärgert. Aber prinzipiell setzen wir auf die kooperativeren Autofahrer der Zukunft.

Innovate!: Inwiefern? Schreckenberg: Unsere Idee einer Internet-Streckenbörse funktioniert ja nur mit einer entsprechend großen und disziplinierten Teilnehmerzahl. Da sollen die Autofahrer ihre geplanten Reisen mit Routenwunsch eingeben. Wir errechnen daraus das Verkehrsaufkommen. Dann können die Autofahrer vielleicht umdisponieren, müssen sich aber wieder austragen". Durch diese Interaktion wird jeder Autofahrer zum Verkehrsmanager.

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