Wissenschaft: Skandal um Fälschungen:Der Madoff der Medizin

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Er galt als Koryphäe der Schmerzmedizin. Doch jetzt hat sich herausgestellt, dass der bekannte US-Anästhesist Scott Reuben so redlich war wie der Finanzakrobat Bernie Madoff mit seinem Schneeballsystem: Der Wissenschaftler hat über 13 Jahre hinweg Studien schlicht erfunden.

Hanno Charisius

Der Amerikaner Scott Reuben galt als Koryphäe der Schmerzmedizin, 70 Fachartikel hat er publiziert. Noch vor kurzem hätten ihn viele Kollegen als einen der Einflussreichsten ihres Fachs genannt. Jetzt hat sich gezeigt, dass Reuben die Ergebnisse von mindestens 21 seiner Studien frei erfunden hat.

(Foto: Foto: ddp)

Seit Anfang der 1990er Jahre hatte sich Reuben am Baystate Medical Center in Springfield im US-Bundesstaat Massachusetts einen Namen als Experte für die Behandlung von Schmerzen nach Operationen gemacht. Seine Empfehlungen wurden in vielen Krankenhäusern weltweit umgesetzt.

"Wir sprechen hier von Millionen Patienten, deren postoperatives Schmerzmanagement auf den Studien von Reuben basierte", sagt Steven Shafer, Chefredakteur des Fachjournals Anesthesia & Analgesia, in dem Reuben viele seiner offenbar gefälschten Artikel veröffentlicht hat. Noch im Sommer 2007 hatte ein Editorial der Zeitschrift Reuben wegen seiner "sorgfältig geplanten" und "akribisch dokumentierten" Studien gefeiert. Bis zum vergangenen Mai hatte Reuben diesen tadellosen Ruf.

Dann wurden Gutachter seines Arbeitgebers bei einer Routineuntersuchung stutzig. Eine Untersuchung kam ins Rollen, die soeben darin gipfelte, dass 21 Fachartikel mit Reuben als Autor zurückgezogen wurden. Der älteste davon stammt aus dem Jahr 1996.

Das Wissenschaftsmagazin Scientific American bezeichnete den renommierten Mediziner daraufhin als "Madoff der Medizin". "Ein passender Vergleich", sagt der Anästhesist Volker Wenzel von der Medizinischen Universität Innsbruck. Auch Reuben sei ein "raffinierter Trickser" gewesen, der niemandem Einblick in seine Daten gewährte - ganz so wie der mutmaßliche Milliardenbetrüger von der Wall Street, Bernard Madoff.

Betrug mit " gewerblichen Zügen"

"Wissenschaft basiert auf Vertrauen", sagt Wenzel. "Wenn Daten von einem geschickten Fälscher plausibel manipuliert werden, ist eine Entdeckung sehr unwahrscheinlich." Dass Patienten durch den Betrug zu Schaden gekommen sind, hält Wenzel für unwahrscheinlich.

Doch Reuben hat vermutlich nicht einfach nur gefälscht. Sein Betrug habe " gewerbliche Züge" angenommen, sagt Wenzel. Tatsache ist: Reuben hat jahrelang Geld vom Pharmakonzern Pfizer bekommen. In den jetzt zurückgezogenen Studien seien "interessanterweise" neue Schmerzmedikamente des Herstellers mit günstigen Effekten beschrieben worden, sagt Wenzel.

Wegen dieses Vertrauensbruchs sei es angemessen, wenn Reuben nun von der Wissenschaftsszene verstoßen werde, zürnt Edmund Neugebauer, Chirurgie- Professor an der Universität Witten/Herdecke. Er ist Mitherausgeber der Leitlinien der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Schmerztherapie, in die auch Machwerke des amerikanischen Anästhesisten eingeflossen sind.

"Die Fälschungen haben jedoch keinen Einfluss auf die bestehenden Handlungsempfehlungen", sagt Neugebauer. Die Passagen, in denen Arbeiten von Reuben zitiert werden, würden nun einfach aus dem Text entfernt, "sie sind ohne Bedeutung für die heutige Behandlungspraxis".

Glücklicherweise waren die Arbeiten Reubens "noch nicht in der flächendeckenden Routinebehandlung angekommen" sagt Bernhard Zwißler, Direktor der Klinik für Anästhesiologie der Universität München. In der Medizin dauere es immer eine Weile, bis sich neue Behandlungsansätze durchsetzen. "Rückblickend betrachtet hat das manchmal auch etwas Gutes."

© SZ vom 23.03.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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