Wissenschaft:Die formende Kraft der Läuse

Lesezeit: 1 min

Warum ist der Schnabel krumm? Das haben sich Ornitologen gefragt und sind zu einem erstaunlichen Ergebnis gekommen: Nicht nur das Futter bestimmt die Form des Vogelschnabels.

Von Marcus Anhäuser

Das Futter, das eine Vogelart frisst, hat im Laufe ihrer Evolution den Schnabel geformt. Das ist Lehrbuchstoff seit Generationen, und Darwins berühmte Finken sind das klassische Beispiel: dicke, klobige Schnäbel zum Knacken von Samen und kleinere, schlankere für den Insektenfang.

Auch bei anderen Vögeln erkennt man an der Form des Schnabels, was sie fressen: der lange, schmale für die Nektar saugenden Kolibris, die sich überkreuzenden Schnabelhälften der Zapfen pulenden Kreuzschnäbel, kräftige, hakenförmige Schnäbel für Greifvögel, elegante, lange Schnäbel für im Sand stochernde Wasserläufer.

Das Erklärungsmodell "Futter bestimmt die Form" ist bestechend - und doch nur ein Teil der Wahrheit, wie Dale Clayton und ein Forschungsteam von der amerikanischen University of Utah jetzt erstmals an Felsentauben zeigen konnten, der Wildform der in Deutschland bekannten Haustauben.

"Die Parasitenabwehr wurde als formender Faktor bisher weitgehend außer Acht gelassen", schreiben sie in der Online-Vorabausgabe der Proceedings of the Royal Society B (doi: 10.1098/rspb.2004.3036). Läuse, Milben und Flöhe spielen in der Evolution der Vögel eine so große Rolle, dass auch sie die Morphologie des Schnabels beeinflussten, so die These Dale Claytons.

Schnäbel sind nicht nur zum Fressen da

In mehreren Versuchsanordnungen demonstrieren die Forscher, welche Bedeutung die für Tauben typische überhängende Spitze der oberen Schnabelhälfte zukommt. Stutzten sie den Vogelzinken, verlausten die Tauben; denn das Zurückfeilen der Spitze beeinträchtigte die Tiere nicht nur beim Fressen.

Hochgeschwindigkeits-Videoaufnahmen offenbarten, wie diese überhängende Schnabelspitze und die untere Schnabelhälfte bis zu 31-mal in der Sekunde gegeneinander reiben, während die Feder durch den Schnabel gleitet. Mit verheerenden Folgen für die an den Federn sitzenden Läuse: abgerissene Beine, geplatzte Panzer, abgeschlagene Köpfe.

Ohne Haken am Taubenschnabel, blieb das Ungeziefer dagegen weitgehend verschont. Das hat fatale Folgen für den Vogel, denn verlaustes Gefieder reguliert die Temperatur schlechter und wird unansehnlich. Damit sinken auch die Chancen der Taube auf einen Paarungspartner.

Arten mit großen Schnabelüberhängen haben mehr mit Parasiten zu kämpfen als Arten mit kürzeren Schnabelüberhängen. Selbst innerhalb einer Vogelart haben Gruppen, die stärker verlaust sind, längere Schnabelspitzen als Artgenossen in weniger von Parasiten befallenen Populationen. Die Evolution des Vogelschnabels müsste nach Meinung der Forscher neu aufgerollt werden, denn Vögel haben Schnäbel nicht nur zum Fressen, sondern auch zum Lausen.

© SZ vom 26.4.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: