Wissen:Verzögerung beim Chipball

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Tor oder nicht Tor? Ein Chip im Ball soll Klarheit bringen. Doch noch ist offen, wann die Technik in der Lage ist, ein Spiel zu entscheiden.

Von Olaf Przybilla

Sie hatten sich das alles so beschaulich eingerichtet, im Fraunhofer-Institut zu Erlangen. Vierzig Forscher arbeiten da an einem Chip im Ball, der Tore wie das in Wembley anno 1966 unmöglich machen soll. Die Erlanger tüfteln bereits seit vier Jahren daran - man wollte sich Zeit lassen mit der Entwicklung, schließlich ist so ein elektronisches Wembley-Verhinderungs-System eine komplexere Sache, als sich der Laie das gemeinhin vorstellen möchte.

Die Schiedsrichter-Affäre hat gezeigt, dass (bewusstes) Irren menschlich ist. Ein kleiner Chip im Ball soll daher künftig das Spiel entscheiden. (Foto: Foto: dpa)

Die längste Zeit hat das auch vorzüglich geklappt, mit der Ruhe für die Wissenschaft. Galt doch das System den meisten Fans und Fachleuten als sinnloser Fußball-Firlefanz aus der Technokratenecke. Doch die Zeit, in der sie in Erlangen ihren Ballchip anpreisen mussten wie andere Leute Sauerbier, ist endgültig vorbei. Der Grund heißt Robert Hoyzer.

Seit der Mann Spiele verschoben hat, reden nun alle von den elektronischen Hilfsmittelchen, die ganz schnell notwendig seien, um den Schiedsrichtern unter die Arme zu greifen - und sie besser kontrollieren zu können. Debattiert wird zuvorderst der Videobeweis, den allerdings der Fifa-Präsident Joseph Blatter fürchtet wie wenig anderes.

Erheiterung und Entsetzen

Solange er Chef sei, hat er jüngst zu Protokoll gegeben, werde es definitiv den Pfiff nach Maßgabe von Fernsehbildern nicht geben. Und dann hat Blatter noch jenen Satz gesagt, der seither die Forscher in Erlangen rotieren lässt: "Wir", teilte er dem Sportinformationsdienst mit, "diskutieren alleine die Torlinien-Technologie: Ein Chip im Ball und eine verdrahtete Torlinie, um zu entscheiden, ob Tor oder nicht."

Es ist binnen weniger Wochen das zweite von Agenturen verbreitete Wort Blatters, das im Erlanger Fraunhofer-Institut für einen Zustand zwischen Erheiterung und Entsetzen sorgt. Schlimmer noch war der im Januar nachzulesende angebliche Blatter-Satz, nach dem bereits am 27.Februar in Cardiff beim Ligapokalfinale ein Ball mit Chip zum Einsatz komme.

Angeblich stamme dieser Ball von adidas - was insofern als Merkwürdigkeit hätte auffallen können, als das englische Cupfinale nicht mit einem Spielobjekt aus dem fränkischen Herzogenaurach ausgetragen wird.

Test durch den SV Tennenlohe

Richtig daran ist lediglich, dass sie bei der Fifa-Sitzung des International Board am 26. Februar in Cardiff nicht nur über passives Abseits reden wollen. Sondern auch über einen Zukunftsball, der künftig in der Tat von adidas stammen könnte und dann mit einem Chip aus Erlangen ausgestattet wäre.

Für dieses System bräuchte man freilich keineswegs eine "verdrahtete Torlinie". Dafür aber bis zu zehn vor allem an den Flutlichtmasten der Stadien installierte Empfangsantennen. Und winzige Sender in Ball und Schienbeinschonern, die bis zu 2000mal in der Sekunde Signale an einen Zentralrechner senden - der wiederum den Referee per Armbanduhr wissen lässt, ob der Ball die Linie tatsächlich in vollem Umfang überschritten hat.

So etwas ist komplizierter als ein ballsensibler Elektrodraht von Pfosten zu Pfosten. Und deswegen sind sie in Erlagen auch nach vier Jahren noch nicht so weit, das System Ende Februar bereits einsetzen zu können. Im Gegenteil: Nach all den Falschmeldungen der letzten Tage weigern sich die Fraunhofer-Forscher nun gar, überhaupt einen Termin für den Ersteinsatz zu benennen.

"Nicht unser Problem"

Momentan bauen sie ihre Apparatur wieder einmal im Nürnberger Frankenstadion auf. Wann dort allerdings auch ein Spiel des 1. FCN mit dem Ballchip ausgetragen wird, steht in den Sternen. "In den kommenden Monaten", so heißt es nun, werden überhaupt erst erwachsene Kicker an den Ball mit Chip gelassen. Schließlich versuchten sich daran bisher bei öffentlichen Vorführungen lediglich die Nachwuchskicker des SV Tennenlohe: Neunjährige, die den Ball deutlich weniger beanspruchen als die bis zu 180 Stundenkilometer, auf die etwa ein Michael Tarnat den Chip im Spielgerät beschleunigen würde.

Trotz der plötzlichen Nachfrage wollen sie sich in Erlangen nicht hetzen lassen. Dass nun, der Causa Hoyzer wegen, plötzlich alle ganz schnell einen Chipball wollen, sei "ja nicht unser Problem", sagt einer der System-Entwickler. Und die Cairos AG, die den Erlanger Wunderball für zehn Millionen Euro in Auftrag gegeben hat, will diesen erst dann präsentieren, wenn alles "hundertprozentig funktioniert".

Ob das bis zur WM 2006 sein wird, will man nicht mit Gewissheit sagen - schließlich müssten dann auch die zwölf Stadien mit dem 250000 Euro teuren System ausgestattet sein. Für Cairos ist dies auch nicht die primäre Frage: Sie wollen mit dem Chip vor allem die Bundesliga-Datenbank der ARD füttern - mit Informationen über Laufwege von Spielern und Spielgerät. Das Aus für Wembleytore ist da eher ein Abfallprodukt. Ein medienwirksames allerdings.

© SZ vom 16.2.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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