Wissen:Doppelt klingt besser

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Vogelgesang lässt sich mit einem mathematischem Modell erklären.

Von Christian Guht

Ob Samba, Bossanova oder Tango: Heiße Rhythmen sind in Südamerika zu Hause. Es pulst und wirbelt um einiges vielschichtiger als in den vergleichsweise übersichtlichen Metren des kalten Europa. Die Tierwelt macht hier offenbar keine Ausnahme. Der in Südamerika beheimatete Töpfervogel (Furnarius rufus) gibt beim Singen einen Rhythmus vor, der seinen europäischen Artgenossen fremd ist. So kompliziert, dass selbst ausgebildete Schlagzeuger wohl aus dem Takt gerieten.

Die Komplexität des Töpfervogel-Gezwitschers entsteht im Duett, welches das Männchen zusammen mit dem Weibchen zum Besten gibt. Dabei legt das Männchen zunächst eine Sequenz aus sechs Tönen pro Sekunde vor, die sich aber bald im Tempo steigert. Das Weibchen antwortet in sich ständig ändernden Variationen. Dabei begleitet es den männlichen Gesang in bestimmten rhythmischen Verhältnissen: beispielsweise eins zu eins oder drei zu vier. Es beherrscht aber auch komplexe Zwei-zu-sieben- oder Drei-zu-zehn-Metren, wie Rodrigo Laje von der Universität Buenos Aires und sein amerikanischer Kollege Gabriel Mindlin herausfanden (Physical Review Letters, Bd. 91, S.258104, 2003).

Die Forscher kamen jedoch zu dem Schluss, dass die virtuose Jam-Session nicht einer besonderen musikalischen Gabe der Vögel zu danken sei, sondern lediglich physikalischen Schwingungsgesetzen folge. Der südamerikansiche Töpfervogel benutzt demnach seinen Stimmapparat nämlich nicht nur aktiv zum Singen, sondern auch als passiven Resonanzkörper des Partnergesangs. Vergleichbar mit einer Pendelkette, die angestoßen wird, übertragen sich die Schallvibrationen des Gesangs von einem Vogel zum andern und zurück.

Rhytmisches Frage-Antwort-Spiel

Bedingt durch die Anatomie der Vogelkehle entstehen hierbei nicht nur gerade Überlagerungen, sondern auch ungerade. Die so entstehenden Metren schaukeln sich im Frage-Antwort-Spiel zu einem immer komplizierteren poly-rhythmischen Duett auf. Den Rhythmus der Vögel konnten die Wissenschaftler mit einem Rechenmodell reproduzieren, das diese so genannte nicht lineare Oszillation exakt beschreibt.

Duettgesänge spielen generell eine wichtige soziale Rolle unter Vögeln. Zunächst pfeifen die Tiere einander balzend nach. Wurden die werbenden Liebeslieder schließlich erhört, dient das gemeinsame Singen später dem Paarzusammenhalt. Offenbar mit hoher Effektivität: Die meisten Vögel bleiben zeitlebens monogam.

"Dass die Paare ihre Stimmorgane beim Singen gegenseitig unter Vibration setzen, ist für Vogelkundler hingegen völlig neu", sagt Karl-Ludwig Schuchmann, Leiter der Sektion Ornithologie im Bonner Museum Alexander König. Bislang sei man überwiegend davon ausgegangen, dass jeder Partner seinen Part aktiv kreiere. Denkbar sei diese Methode durch die enorme Lautstärke, mit der die Töpfervögel sich gegenseitig besingen. "Wenn sich diese Erkenntnisse bestätigen lassen, wird man prüfen müssen, ob diese Technik auch bei anderen Vogelrassen verbreitet ist", so Schuchmann. Denkbar wäre es, schließlich ist vollendete kollektive Improvisation immer mehr als elaborierte instrumentale Fähigkeit.

© SZ vom 14. Januar 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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