Wissen:Alarmstufe Rot

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Haarefärben erhöht offenbar leicht das Risiko für Blasenkrebs.

Von Felicitas Witte

Nicht nur der italienische Präsident Silvio Berlusconi tut es: 35 Prozent der Frauen und zehn Prozent der Männer in den Industrieländern färben regelmäßig ihre Haare.

Simply Red: das Haupthaar von Phillips Idowu, seines Zeichens Dreispringer aus Großbritannien (Foto: Foto: Reuters)

Bei vielen von ihnen hat das auch unerwünschte Folgen. Sie reagieren allergisch auf die Färbemittel - die Kopfhaut juckt, wird rot und schuppt sich. Doch im Vergleich mit einer anderen Nebenwirkung ist das noch harmlos: Ärzte aus den USA warnen davor, dass die Chemikalien auch Blasenkrebs auslösen können.

Die Mediziner hatten über 450 Frauen mit Blasenkrebs und gut 650 Kontrollpersonen befragt. Das Resultat: Frauen, die regelmäßig permanente Haarfärbemittel benutzen, tragen ein 1,5- bis 2,3-fach erhöhtes Risiko, an Blasenkrebs zu erkranken - je nachdem, wie lange die Frauen solche Mittel bereits benutzten.

Die Studie gibt der Debatte um die gesundheitlichen Folgen des Haarefärbens neue Nahrung. Vor vier Jahren hatte sie schon einmal einen Höhepunkt erlangt, als Manuela Gago-Dominguez von der University of Southern California Daten von 900 Patienten mit Blasenkrebs und ebenso vielen Kontrollpersonen ausgewertet hatte.

30 von 10.000

Gago-Dominguez kam damals auf ein 2,1-fach erhöhtes Risiko für Frauen, die sich mindestens einmal im Monat mit permanenten Mitteln die Haare färbten. Nach 15 Jahren stieg das Risiko auf das 3,3-Fache. Und Friseure, die ihren Beruf länger als zehn Jahre ausübten, waren sogar 5-mal so häufig betroffen wie die Normalbevölkerung.

Nun gehört Blasenkrebs nicht zu den häufigsten Tumorerkrankungen: In Deutschland erkranken jedes Jahr etwa 30 von 100.000 Menschen. Wenn sich das Risiko durchs Haarefärben verdoppelt, heißt das demnach, dass zusätzlich 30 von 100.000 Personen mit künstlichem Schopf Blasenkrebs droht.

Dass chemische Mittel, die auf die Kopfhaut aufgetragen werden, ausgerechnet in der Blase Krebs erzeugen, lässt sich durchaus erklären. Wissenschaftler vermuten, dass die in der Farbcreme enthaltenen aromatischen Amine für die Entstehung der Tumore verantwortlich sind.

Die Amine werden beim Haarefärben über Kopfhaut oder Hände aufgenommen und verteilen sich im Körper. Richtig giftig werden sie erst in der Leber: Dort entstehen beim Abbau neben harmlosen Stoffwechselprodukten auch Krebs erregende Substanzen, die dann in die Blase gelangen.

Auch mal rot: Skispringer Martin Schmitt (Foto: Foto: AP)

Trotzdem zweifeln manche Experten die bisherigen Krebsstudien zum Haarefärben an. Andere mögliche Gründe für die Krankheit der Probanden seien nicht genügend berücksichtigt worden, lautet die Kritik. "Haarfarben sind nicht die einzigen Quellen aromatischer Amine", unterstreicht Jürgen Angerer vom Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universität Erlangen.

"Wir nehmen fast täglich aromatische Amine auf - zum Beispiel über Abgase, gefärbte Textilien, Kosmetika oder über Tabakrauch." Angerer untersucht zurzeit an 1000Probanden, aus welchen Quellen wie viele Amine in den menschlichen Körper gelangen und zu welchen Krankheiten dies führen kann. Ersten Ergebnissen zufolge scheint das Haarefärben eher eine untergeordnete Rolle zu spielen: "Andere Quellen tragen viel stärker zur Belastung bei", meint der Chemiker.

Als Berufskrankheit anerkannt

Beruhigend ist auch, dass das Haarefärben gesünder geworden ist. Seit den 80er-Jahren enthalten die Färbemittel aromatische Amine, die weniger gefährlich sein sollen. Genauere Untersuchungen stehen allerdings noch aus. Und selbst heute können zumindest Friseure, die in den 60er- und 70er-Jahren regelmäßig Haare färbten, noch Krebs bekommen.

"Nach unseren Daten dauerte es im Mittel 38Jahre vom ersten Kontakt mit Haarfärbemitteln bis zum Auftreten des Blasenkrebses", sagt Albert Nienhaus von der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, die Blasenkrebs seit 2001 als Berufskrankheit von Friseuren anerkennt.

Inzwischen hat auch die Politik reagiert. So müssen die europäischen Hersteller ihre Färbeprodukte neuerdings toxikologisch untersuchen. Es sollen nur noch Stoffe zugelassen werden, die kein Gesundheitsrisiko bergen.

Nach Ansicht von Jürgen Kundke vom Bundesinstitut für Risikobewertung ist das längst überfällig: "Für jeden Lippenstift und jedes Töpfchen Lidschatten müssen die Farben seit Jahren auf ihre Unbedenklichkeit geprüft werden", sagt er und kündigt an: "Alle Haarfarben, für die kein Sicherheitsnachweis vorgelegt wird, werden verboten."

Derzeit ruht die Drohung allerdings. Sie würde fast die Hälfte der Mittel treffen. Denn für deren Inhaltsstoffe liegen noch keine Toxizitätstests vor, obwohl diese eigentlich im September 2003 abgeschlossen sein sollten. "Die Firmen behaupten, sie hätten von der Deadline nicht gewusst", sagt Kundke.

Aber kann ein Haarfärbemittel überhaupt "toxikologisch unbedenklich" sein? Viele Tests haben bereits gezeigt, dass aromatische Amine das Erbgut verändern und so Krebs erzeugen können. "Das ist wie ein Lotteriespiel", sagt Elmar Richter vom Walther-Straub-Institut für Pharmakologie und Toxikologie in München.

"In den meisten Fällen repariert der Körper den Erbgutschaden. Geschieht dies aber nicht, kann eine Krebszelle entstehen und zu einem Tumor heranwachsen." Theoretisch reicht dazu schon eine winzige Menge Gift aus. "Daher können wir auch keine Grenzwerte angeben, bis zu denen ein Stoff nicht schadet", erklärt Richter.

Bei diesem Alles-oder-nichts-Prinzip vertrauen die Hersteller anscheinend auf "nichts": So haben Forscher der Firma L'Oréal kürzlich in einer Fachzeitschrift die möglichen Gesundheitsgefahren des Haarefärbens aufgelistet.

Das Risiko ist leicht vermeidbar

Trotzdem folgerten sie schließlich, die Mittel stellten "kein krebserregendes oder anderes Gesundheitsrisiko" dar (2). "Die Verbraucher kaufen sichere Produkte", ist auch Birgit Huber vom Industrieverband Körperpflege und Waschmittel überzeugt.

Der Toxikologe Richter setzt dagegen auf das Vorsorgeprinzip: Wer nicht darauf verzichten will, seine Haarfarbe aufzupeppen, sollte zumindest Schutzmaßnahmen treffen. Am wichtigsten sind dabei Handschuhe, um den Kontakt mit den Substanzen so gut es geht zu vermeiden.

"Letztendlich muss jeder selbst entscheiden, ob er das Risiko eingehen möchte", sagt Elmar Richter. Schließlich sei die Gefahr, durchs Haarefärben Krebs zu bekommen, im Gegensatz zu vielen anderen Risiken leicht vermeidbar: durch Verzicht auf einen bunten Schopf.

(1)International Journal of Cancer, Bd.109, S.581, 2004 (2)Food and Chemical Toxicology, Bd.42, S.517, 2004

© SZ vom 02.02.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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