Weltraumschrott:Mülltrennung im All

Lesezeit: 3 min

Die Entsorgung von Weltraumschrott zeigt erste Erfolge - auch wenn sich viele Satellitenbetreiber noch dagegen sperren.

Von Thomas Bührke

Der Müll ist über uns: Hunderttausende Satelliten- und Raketentrümmer umkreisen derzeit die Erde - eine Gefahr für die Raumfahrt, eine große Herausforderung für die Müllmänner in den Raumfahrtagenturen.

Doch deren Arbeit scheint mittlerweile zu greifen: "Seit ein paar Jahren nimmt der Weltraumschrott nicht mehr so stark zu wie befürchtet", sagt Nicholas Johnson, Nasa-Experte für die Erforschung von Weltraumschrott.

Zusammen mit über 200 Kollegen diskutiert der Amerikaner noch bis heute im Europäischen Satellitenkontrollzentrum in Darmstadt, wie sich der kosmische Müllberg entsorgen lässt. Größtes Hindernis auf diesem Weg: Nach wie vor fehlt es an Gesetzen, die für alle Satellitenbetreiber und Raumfahrtgesellschaften verbindlich sind.

Verglüht oder gefährlich

Seit dem Start von Sputnik 1, dem ersten künstlichen Erdtrabanten, sind etwa 5400 Satelliten in die Umlaufbahn geschossen worden. Gerade einmal 700 funktionieren noch. Die restlichen sind entweder abgestürzt und in der Atmosphäre verglüht, oder rasen als gefährliche Amokfahrer um die Erde.

Hinzu kommen ausgebrannte Raketenoberstufen, abgefallene Teile und deren Trümmer - alles in allem gut 13.000 bekannte Schrottteilchen bis hinunter zur Größe eines Tischtennisballs.

Und nur die können Forscher mit Radar und Teleskopen verfolgen. Sobald ein Zusammenstoß mit einem intakten Satelliten oder einem bemannten Raumfahrzeug droht, gilt es zu handeln.

"Etwa bei jeder zehnten Shuttle-Mission müssen wir ein Ausweichmanöver fliegen, und einmal im Jahr heben wir die ISS an, um Weltraumtrümmern zu entgehen", berichtet Johnson. Auch Europas Klimasatellit Envisat musste im vergangenen Jahr zweimal russischen Raketentrümmern Platz machen.

Splitter sind die schlimmsten

Mitunter ist der Crash aber unvermeidbar. So wurden am 17. Januar dieses Jahres amerikanische Wissenschaftler Zeuge, wie ein chinesisches Triebwerk auf das Bruchstück einer US-Rakete zuraste.

Direkt über dem Südpol in 900 Kilometer Höhe krachten die beiden Objekte mit 20.000 Kilometern pro Stunde zusammen - unzählige neue Bruchstücke entstanden. Genau diese Splitter machen den Weltraumexperten am meisten Sorgen. Sie lassen sich mit keinem Radar aufspüren, und können auch nicht einfach aus dem Weltall gesaugt werden.

Wie viele Teile dort wirklich herumschwirren, lässt sich nur schätzen. Bis herunter zur Größe einer Murmel sollen es mehrere hunderttausend sein. Jedes von ihnen ist groß genug, um beispielsweise die Außenhülle des Space Shuttle oder der ISS zu durchschlagen.

Seit sich Experten vor zwölf Jahren zur ersten Tagung über Weltraummüll getroffen haben, hat es immerhin einige Fortschritte gegeben. So sind die großen Weltraumnationen übereingekommen, aus den im Orbit treibenden Raketenoberstufen den Treibstoff abzulassen.

Schließlich ist das explosive Gemisch einer der größten Müllproduzenten im Weltraum: "Fast die Hälfte des Weltraumschrotts ist Folge von Explosionen", sagt Heiner Klinkrad, der bei der Europäischen Weltraumbehörde Esa die Weltraumschrott-Aktivitäten koordiniert.

Ob sich durch das kontrollierte Ablassen des Treibstoffes der rückläufige Trend beim orbitalen Müllaufkommen erklären lässt ist allerdings umstritten. Möglicherweise spiegele sich darin einfach nur die stark rückläufige Zahl der Raketenstarts in den vergangenen Jahren wider, meint Klinkrad.

Neben den Raketen- wollen auch die Satellitenbetreiber ihren Teil zur Müllvermeidung beitragen - indem sie ihre Trabanten nach 25 Jahren entsorgen.

Dazu werden die Satelliten entweder kontrolliert zum Absturz gebracht oder auf den Satellitenfriedhof geschickt: in eine hohe Umlaufbahn, in der sie keine Gefahr mehr darstellen. Gleichzeitig werden die Batterien entladen. Das verhindert Spannungsüberschläge, die zu Explosionen führen können.

Dennoch gibt es noch zu viele schwarze Schafe unter den Betreibern. Die Unternehmen nutzen ihre Geräte so lange wie möglich und müssen schließlich feststellen, dass der verbliebene Treibstoff nicht ausreicht, um den Satelliten zu entfernen. Experten vermuten, dass bis zu zwei Drittel aller Betreiber noch immer derart verantwortungslos mit ihren Satelliten umgehen.

Ohne rechtlich bindende Gesetze, da sind sich die Experten in Darmstadt einig, wird sich das Problem Weltraumschrott nicht lösen lassen. Seit vielen Jahren versuchen Vertreter der großen Weltraumnationen, bei den UN ein Vertragswerk durchzusetzen - bislang ohne Erfolg.

Alles unverbindlich

So lange behilft man sich mit Richtlinien. Doch selbst die gelten nicht weltweit, sondern nur national. Die USA, Russland, Japan und Frankreich haben eigene Kataloge erarbeitet, sogar die International Telecommunication Union hat ein solches Werk herausgegeben. Alles unverbindlich, versteht sich.

Darüber hinaus sind manche Vorgaben kaum nachprüfbar. Frankreich fordert zum Beispiel, dass der Satellitenhersteller belegen kann, mit welcher Sicherheit ein Satellit später einmal kontrolliert abstürzen wird.

Doch solche Wahrscheinlichkeitsangaben sind oft undurchschaubar. Ein großer Unsicherheitsfaktor sind zudem militärische Satelliten. Insbesondere bei russischen Geräten bleibt alles streng geheim.

Und so ist eine aufwändige Forschung nötig, um Satelliten und vor allem bemannte Raumfahrzeuge vor den kosmischen Geschossen zu schützen. Lange Versuchsreihen und Computersimulationen waren nötig, bis für Columbus, Europas Forschungslabor für die ISS, ein mehrlagiger Schutzschild aus Aluminium und Kevlar gefunden wurde.

Tödliche Gefahr

Der hilft aber nur für Teile bis zu etwa einem Zentimeter Größe. Größere Brocken werden zur tödlichen Gefahr - sofern sie nicht rechtzeitig entdeckt werden.

Bislang verfügen allerdings nur Russland und die USA über geeignete Anlagen, um den Weltraumschrott zu überwachen. Hierfür nutzen sie ihre militärischen Radaranlagen.

Die Daten sind im Prinzip frei zugänglich, so dass beispielsweise auch die Europäische Weltraumbehörde sie zum Schutz ihrer eigenen Satelliten nutzen kann. Das macht allerdings abhängig.

Deshalb studieren die Europäer, wie Thérèse Donath von der französischen Forschungsbehörde für Luft- und Raumfahrt in Darmstadt berichtet, derzeit die Möglichkeit, ein eigenes Beobachtungssystem aufzubauen.

Das würde aus einer neuen Radarstation sowie drei Teleskopen bestehen. Ob allerdings die schätzungsweise hundert Millionen Euro für dieses Projekt zur Verfügung gestellt werden, steht noch in den Sternen.

© SZ vom 20.4.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: