Wahlplakate im Test:Das Auge wählt mit

Lesezeit: 4 min

Mit ihren in kurze Hülsen gepressten Wahlplakat-Aussagen unterschätzen die Parteien das Informationsbedürfnis der Wähler. Ein Wissenschaftler empfiehlt den Parteien, sich auf die Spuren der Markenwerbung zu begeben. und zeigt, was Parteien mit ihren Plakaten falsch machen.

Bernd Oswald

Angela Merkel gestikuliert. Beide Hände erhoben redet sie auf ihren Gesprächspartner ein. Und verspricht dabei: "Mehr Wachstum. Mehr Arbeit." Das tut die Kanzlerkandidatin derzeit landauf landab - auf einem Wahlkampfplakat der CDU. Die Botschaft ist einfach, die Kandidatin in Aktion und doch sind genau diese beiden Aspekte eher kontraproduktiv für das Ansinnen der CDU, mit diesem Plakat neue Wähler zu gewinnen.

In einer Trendanalyse aus knapp 300 Online-Diskussionsbeiträgen zu den Wahlplakaten der fünf großen Parteien, die das Center for Visual Studies & Virtual Environments der Fakultät Digitale Medien der Hochschule Furtwangen vom 9. bis zum 12. September gesammelt hat, äußerten sich die Diskussionsteilnehmer überwiegend kritisch über inhaltliche Aussage und Körperhaltung von Angela Merkel.

Die Studie erhebt keinen Anspruch auf Repräsentativität, gibt aber grundlegende Argumentationsmuster wieder und zeigt, nach welchen Prinzipien Politik visuell kommuniziert und wahrgenommen wird.

Image statt Inhalt

Bildwirkungsforscher Stefan Selke, der in Furtwangen lehrt und das Center zusammen mit Daniel Fetzner aufgebaut hat, hat die Ergebnisse auf Basis der Diskussionsbeiträge analysiert: Mit dem Slogan "Mehr Wachstum. Mehr Arbeit" ist den meisten Betrachtern unklar, "was genau gemeint ist und zweitens, wie das, was behauptet wird, erreicht werden soll", so Selke. Damit spricht der Soziologe eine zentrale Crux an, die sich bei fast allen Wahlplakaten zeigt.

Da die Politik komplex ist, gebe es einen hohen Informationsbedarf, der in Wahlplakaten nicht zu leisten sei. Das Problem der Politikwerbung ist, dass die Darstellung thematischer Zusammenhänge mit einem höheren Risiko verbunden ist, die Betrachter zu irritieren. Diese Irritationen traten bein allen fünf Plakatanalysen auf. Selke empfiehlt deshalb: "Auf ihren Plakaten sollten Parteien auf Einfachformeln verzichten. Statt Themenkampagnen sollten sie Imagekampagnen inszenieren."

Vorbild ist die Markenwerbung, die es versteht, mit wenigenSchlüsselbildern zu einer Imagekonsolisidierung beizutragen. Auf diese Weise würden sich die Parteien von den tagesaktuellen Einflüssen freimachen, die den Aufmerksamkeitswert von Themenplakten radikal beeinflussen.

Merkel und das männliche Schönheitsideal

Beim CDU-Plakat kritisierten die Probanden neben der inhaltsleeren Aussage auch den Blick Merkels, der am Betrachter vorbei geht. Dazu kommen eine als "unecht" empfundene Körperhaltung und das offensichtliche Styling Merkels."Damit ist die Geste insgesamt künstlich, missglückt und erzielt eine kontraproduktive Wirkung", so Selke. In der Darstellung der Körper sieht der Soziologe einen neuen Trend, der gerade bei dieser Wahl eine wichtige Rolle spielt.

Vom visuellen Auftritt der Kandidaten würden Rückschlüsse auf das Leistungsvermögen oder die fachliche Kompetenz gezogen. Bei Merkel komme noch das Problem dazu, dass eine Frau zum einen zwar dem hauptsächlich männlich geprägten Schönheitsideal entsprechen müsse. Andererseits lasse sich so keine Dominanz erzeugen. Dominanz im Sinne von Macht und Durchsetzung ist neben Balance (Sicherheit, Stabilität) und Stimulanz (Neugier) eines der drei Emotionssysteme, die das ganze menschliche Verhalten, also auch die Wahlentscheidung, steuern. Gerade einem Kanzlerkandidaten sollte daran gelegen sein, als durchsetzungsstark wahrgenommen zu werden.

Joschka Fischer: Der Name ist Programm

Auch die Darstellung des Kanzlers hinterlässt bei den Diskussionsteilnehmern einen ambivalenten Eindruck. Auf dem untersuchten SPD-Wahlplakat blickt Schröder ernst, seine Stirn glänzt, was bei den Diskussionsteilnehmern zu zwei Deutungen führt: Einerseits wirkt Schröder "wie einer, der anpackt", andererseits wird er als "müde, abgekämpft und angestrengt" tituliert.

Die größte Gefahr für die Aktzeptanz eines Wahlplakats liegt jedoch in der stark verbreiteten Selbstreferentialität. Politiker lassen sich in der Regel so darstellen, wie sie sich selbst sehen oder wie es ihnen von den Inszenierungsagenturen empfohlen wird.

Besonders deutlich wird das beim Grünen-Plakat "Ja zu Joschka!". Eine inhaltliche Aussage fehlt völlig. Fischer ist als Zugpferd die Aussage, sein Vorname und Konterfei sind Programm. "Dieser für die Grünen atypische Personenkult führt zu einem Authentizitätsverlust", bilanziert Selke.

Ähnlich ist es beim inzwischen zurückgezogenen Plakat der Linkspartei, einer Fotomontage, die Oskar Lafontaine und Gregor Gysi nebeneinander zeigt. Lafontaine ist dabei prominenter platziert und zieht deutlich mehr Aufmerksamkeit auf sich, was sich mit seinem politischen Selbstverständnis decken dürfte. Den Betrachtern erscheint er aber "überdimensional, napoleonesk und breit grinsend". Damit hat dieses Wahlplakat der Linkspartei sein Ziel verfehlt, denn: "Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler", zitiert Selke einen Klassiker der Medienwirkungsforschung von Helmut Thoma.

Wahrnehmung im Kontext der aktuellen Diskussion

Am Linkspartei-Plakat zeigt sich noch ein zweiter zentraler Befund, den Selke und Fetzner schon in einer Untersuchung der ersten Agenda 2010-Plakate der Bundesregierung festgestellt haben: Der öffentliche Diskurs über eine Partei oder ihre Protagonisten überlagert die Bildwahrnehmung erheblich. Neben Lafontaine ist der zweite Spitzenkandidat Gregor Gysi abgebildet. Sein Kopf ist stark nach rechts geneigt, der Körper Gysis insgesamt tiefer als der Lafontaines angeordnet. Viele Betrachter erkennen hier ein vermeintliche Unterordnung Gysis unter Lafontaine und sehen darin das Verhältnis zwischen West- und Ostdeutschland symbolisiert.

Auch beim FDP-Plakat, das vor allem Guido Westerwelle und den Slogan "Mehr FDP, mehr Mut." zeigt, gibt es eine Umdeutungsgefahr. Die Deutschland-Fahne im Hintergrund "wird zum Symbol für Allmachtsphantasien einer quantitativ marginalen Partei", so Selke. Kontraproduktiv wirkt das Wort Mut. Da das Plakat mehrheitlich als anachronistisch und dröge gestaltet empfunden wird, fehlt ihm aus Sicht der Diskussionsteilnehmer Mut zur Gestaltung und Mut zur Kreativität. "Es herrscht die Interpretation vor, dass man Mut braucht, um die FDP zu wählen", fasst Selke zusammen.

Die FDP verwendet insgesamt 14 Plakate, die aller einer corporate identity folgen und den gleichen gelben Hintergrund zeigen mit Deutschland-Fahne und FDP-Logo, über dem auf einer Art Straßenschild die Zweitstimme eingefordert wird. "So etwas wirkt sich suboptimal aus und wird dem eigentlichen Wirkpotenzial von Plakaten nicht gerecht", kritisiert Selke.

Er empfiehlt allen Parteien dringend, die Wähleransprache zu differenzieren, etwa nach sozioökonomisch unterschiedlichen Stadtteilen oder Milieus, ebenso wie nach Geschlecht. Die Parteien scheinen den Handlungsbedarf erkannt zu haben. In Baden-Württemberg, wo im März der Landtag gewählt wird, will die CDU ihre Plakate vom Forschungscenter der Hochschule Furtwangen evaluieren lassen.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: