In 324 Fällen gingen die Fälscher einfach zu plump vor. Sie befüllten die Urnen mit genau so vielen Wahlzetteln, wie es Stimmberechtigte in dem Bezirk gab, und auf allen war Wladimir Putin angekreuzt. Oder sie ignorierten den Inhalt der Urnen einfach und meldeten als Ergebnis ihrer Auszählung die 100-prozentige Zustimmung zu dem Kandidaten, der im vergangenen Frühjahr nach einer Warteschleife als Ministerpräsident zum dritten Mal für das Präsidentenamt kandidierte. Insofern hat sich seit den Sowjet-Zeiten in Russland nicht viel geändert. Oder wie Stalin es einmal sagte: "Die Leute, die Stimmen abgeben, entscheiden nichts. Die Leute, die Stimmen zählen, entscheiden alles."
Die Wahlfälschung in Russland war nicht überall so plump wie in jenen 324 Fällen. Doch immerhin wurden im vergangenen März in etwa 40 Prozent der Bezirke Ergebnisse womöglich manipuliert, haben soeben Forscher aus Österreich berechnet. Für die Parlamentswahl 2011, die Putins Partei Einiges Russland gewann, kommen die Statistikexperten aus Wien und Laxenburg sogar auf 65 Prozent verschobener Resultate ( PNAS, online).
"In Russland gab es nach der Wahl 2011 schon Proteste, weil zu viele Ergebnisse fast 100 Prozent Beteiligung und Stimmen für Einiges Russland zeigten", sagt der Statistiker Stefan Thurner von der Medizinischen Universität Wien. "Wir haben daraus jetzt einen Test gemacht, der aus einer digitalen Tabelle der Wahlergebnisse innerhalb von Minuten ein Ergebnis erzeugt."
Die vier Forscher tragen die Ergebnisse aller Stimmbezirke dazu in ein Koordinatensystem ein. Die Querachse des Diagramms bezeichnet die Wahlbeteiligung, die obere die Zustimmung zum Wahlsieger. Bei demokratischen Wahlen ergibt sich eine ovale oder runde Wolke von Punkten, weil die Ergebnisse nicht von der Wahlbeteiligung abhängen. So sehen zum Beispiel die Diagramme aus Frankreich oder der Schweiz aus. In Kanada fanden die Forscher ungewöhnlicherweise zwei Punktwolken. Grund dafür ist die niedrigere Zustimmung der frankophonen Bezirke von Quebec für den Ministerpräsidenten (siehe Grafik).
In Russland und Uganda sieht das Diagramm indes ganz anders aus. Die Wolke ist nach rechts oben verschmiert, außerdem gibt es eine verräterische Häufung bei sehr hohen Beteiligungen und Zustimmungsraten. Diese lassen sich nicht durch kleine Wahlbezirke erklären, betont Thurner, wo etwa auf Inseln oder in Bergdörfern die wenigen Einwohner alle gleich wählen - für seine Analyse hat das Forscherteam Wahlbezirke mit weniger als 100 Stimmen ausgeschlossen. "Wir können die Grenze auch auf 500 setzen, das ändert an den Ergebnissen kaum etwas."
Aus der charakteristischen Form der Diagramme zu Russland und Uganda ziehen die Forscher zwei Schlüsse: Die Punktwolke oben in der Ecke steht für Wahlurnen, deren Inhalt komplett erfunden ist. Und die verschmierte Wolke bedeutet, dass Resultate bei der Auszählung verschoben wurden. Aus Nichtwählern und den Oppositionsanhängern wurden so Sympathisanten der Regierungspartei - mehr oder weniger dreist.
Dieser nach oben rechts verschmierte Verlauf lässt sich mit demokratischem Verhalten kaum erklären. "Es passiert im Ansatz, wenn ein Kandidat nicht nur für sich selbst wirbt, sondern auch dafür, überhaupt wählen zu gehen", sagt Thurner. Fruchtet dieser Appell, steigen in den Wahlkreisen, die er besucht hat, seine Resultate und die Wahlbeteiligung. "Aber das wird niemals in dem Maß passieren, wie wir es in Russland bemerkt haben." Dort ließen sich die offiziell gemeldeten Resultate für die Parlamentswahl nur dadurch erklären, dass drei Prozent der Urnen mit erfundenen Zetteln vollgestopft und weitere 62 Prozent manipuliert wurden.
Wichtig war den Forschern dabei, dass ihre Methode robust ist. Sie liefert ähnliche Ergebnisse, egal ob sich die Analyse auf 91.000 kleine Wahlbezirke stützt oder Ergebnisse aus 84 Regionen umfasst. An dieser Anforderung sind oft frühere Verfahren gescheitert, die Wahlbetrug mit statistischen Methoden nachweisen sollten. Viele Methoden liefern zudem keine Hinweise darauf, wie manipuliert wurde.
Das gilt auch für das sogenannte Benford-Gesetz. Es besagt, dass kleine Ziffern häufiger vorkommen als große: So sind zum Beispiel zwölf Prozent der zweiten Ziffern Nullen, aber nur 8,5 Prozent Neunen. Etliche Bilanzfälscher sind schon aufgeflogen, weil es schwierig ist, das Benford-Gesetz mit erfundenen Zahlen zu erfüllen. Den Algorithmus von Stefan Thurners Arbeitsgruppe können Wahlfälscher schon eher unterlaufen. Sie müssten sich nur beherrschen und weniger an der Wahlbeteiligung drehen.