Vogelgrippe:Vage Bedrohung

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Die Vogelgrippe ist - sogar wenn sie in Deutschland nachgewiesen werden sollte - noch keine Gefahr für die Bevölkerung, sondern vor allem ein Berufsrisiko für Geflügelzüchter und -schlächter.

Werner Bartens

In den anstehenden Herbst- und Wintermonaten wird es wohl so kommen wie in jedem Jahr: Allein in Deutschland werden nach vorsichtigen Schätzungen 10.000 Menschen an einer gewöhnlichen Grippe sterben. Weltweit wird es sogar etwa eine Million Grippeopfer geben. Was das mit der Vogelgrippe zu tun hat? Erstmal nichts.

Dann aber doch. Denn mittlerweile geraten auch die Menschen in Deutschland in Wallung, wenn Vögel unter mysteriösen Umständen sterben. H5N1, das Vogelgrippe-Virus, verbreitet seinen Schrecken, wenn 22 Gänse im rheinland-pfälzischen Neuwied auf zunächst ungeklärte Weise verenden.

Und sogar nachdem klar ist, dass diese Graugänse nicht an einem Influenza-Virus verendet sind, wird die Entwarnung nur kurzfristig sein. Dahinter steckt die unverrückbare Tatsache, dass der Erreger auf Dauer vor der deutschen Staatsgrenze nicht Halt machen wird.

Gefälschte Grippemittel

Tote Tiere im Teich nebenan - die gefühlte Bedrohung ist gewachsen. Der Ansteckung von Menschen, zu der es hierzulande womöglich nie kommen wird, geht eine ansteckende Angst voraus. Schon wird über einen Mann in Hamburg berichtet, der die Polizei rief, weil sich eine Taube in seinen Flur verirrt hatte und er eine Infektion mit Vogelgrippe fürchtete. Schon sind gefälschte Nachahmungen des Grippemittels Tamiflu im Umlauf. Und seit Wochen schon schnellt der Aktienkurs der Pharmafirma Roche in die Höhe, die Tamiflu herstellt.

Dabei ist die Vogelgrippe - sogar wenn sie in Deutschland nachgewiesen werden sollte - noch keine Gefahr für die Bevölkerung, vor allem ein Berufsrisiko für Geflügelzüchter und -schlächter. Eine weltweite Bedrohung geht erst von einem mutierten "Super-Virus" aus. Doch das gibt es bisher nicht, und es ist auch keineswegs gewiss, dass dieser noch unbekannte, gefährliche Erreger aus einem veränderten Vogelgrippe-Virus entstehen wird. Ein Virus, das womöglich Tod und Verderben über die Welt bringt, könnte sich theoretisch auch aus einem ordinären Grippe-Erreger entwickeln und sich damit noch ein paar Jahre Zeit lassen.

In der gegenwärtigen Erregung kann es helfen, sich daran zu erinnern, was die Vogelgrippe bewirken kann - und was nicht. Die Seuche hat seit 2003 zwar Millionen Vögel getötet. Doch trotz dieses Massensterbens unter dem Federvieh und dem engen Kontakt, den manche Menschen in Asien zu ihren geflügelten Haustieren haben, wurden in den vergangenen zwei Jahren bisher "nur" 121 Menschen infiziert. 62 von ihnen sind gestorben.

Grippeimpfung trotzdem nützlich

Das spricht zwar dafür, dass die Krankheit für Menschen gefährlich ist, aber eben auch dafür, dass sie nur schwer von Vögeln auf Menschen übertragen wird. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch wurde bisher noch nicht zweifelsfrei nachgewiesen.

Wenn es zur Vogelgrippe-Infektion kommt, lässt sich der Schaden für Menschen unter Umständen begrenzen. 2003 brach in den Niederlanden die Geflügelpest aus. Ihr Erreger ist dem der Vogelgrippe sehr ähnlich. Doch obwohl sich 83 Menschen infizierten, kam nur ein Tierarzt ums Leben, der von einer mutierten Virus-Variante heimgesucht wurde.

Dies alles spricht dafür, dass die Vogelgrippe, so wie sie derzeit um die Welt zieht, für die Menschen nur eine geringe Gefahr darstellt. Jedenfalls vorerst und so lange kein neuer Erreger gesichtet ist, der alle bisherigen Einschätzungen hinfällig macht. Auf ein neues, gefährlicheres Virus sollten sich die Länder allerdings besser vorbereiten und Seuchenschutzpläne optimieren, die Impfstoffentwicklung vorantreiben, Tierschmuggel strenger ahnden. Für die Bevölkerung gilt der schwache Trost: Dass sich inmitten der unklaren Bedrohung mehr Menschen als sonst gegen die herkömmliche Grippe impfen lassen, kann jedenfalls nicht schaden.

© SZ vom 26.10.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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