Vogelgrippe:Der hypothetische Ernstfall

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Die Fälle tödlicher H5N1-Infektionen in der Türkei verunsichern auch Menschen in Deutschland. Doch deutsche Mediziner sehen sich für Patienten mit Vogelgrippe gerüstet.

Werner Bartens

Hohes Fieber, Husten, Mattigkeit. Der 72-jährige Mann mit türkischer Staatsangehörigkeit war am Wochenende in ein Kölner Krankenhaus eingeliefert worden.

Mit einem 'Notfallkoffer Vogelgrippe' wartet ein Veterinärmediziner am Flughafen in Frankfurt auf die Ankunft einer Maschine aus der Türkei. (Foto: Foto: dpa)

Er lebt zwar seit langem in Deutschland, doch erst vor kurzem war er von einer Reise in die Türkei zurückgekehrt. Der Urlaub, die Symptome, die Staatsangehörigkeit - schnell kam der Verdacht auf Vogelgrippe auf.

Schnell kam aber auch die Entwarnung vom Kölner Gesundheitsamt und dem Gesundheitsministerium Nordrhein-Westfalen: Keine Vogelgrippe. Der Patient sei weder in der typischen Region gewesen, noch habe er die typischen Kontakte gehabt und auch nicht die typischen Beschwerden. Kein Grund zur Panik - nur eine schwere Bronchitis.

Derzeit, mitten in der Grippe-Saison, sind die Arztpraxen und Ambulanzen voll. Die bisher 20 dokumentierten Erkrankungen und vier Todesfälle in der Türkei verunsichern auch Patienten in Deutschland.

"Mit dem Grippe-Schnelltest kann man innerhalb von einer Stunde Influenza-Viren diagnostizieren", sagt Regine Heilbronn, Professorin für Virologie am Campus Benjamin Franklin der Berliner Charité. Für den Test muss man in ein Röhrchen spucken oder es wird ein Rachenabstrich genommen. Dann wird nach Viren gefahndet, die die typischen Oberflächenantigene H und N aufweisen. H steht für Hämagglutinin, N für Neuraminidase.

Die beiden Eiweißstoffe ragen wie Dornen aus der kugeligen Virenoberfläche hervor. "Der Test erkennt allerdings nicht, um welche Influenza-Viren es sich handelt", sagt Heilbronn.

Zur genaueren Bestimmung, ob eine Infektion mit dem gefährlichen Vogelgrippe-Erreger H5N1 oder mit herkömmlichen Grippe-Erregern vorliegt, werden die Proben in Referenzlabore des Robert-Koch-Instituts geschickt.

Am Charité-Institut von Regine Heilbronn findet die Viren-Diagnostik für Europas größtes Universitätsklinikum statt. In Berlin leben auch die meisten Türken in Deutschland.

"Trotzdem haben unsere Mitarbeiterinnen im Labor bisher keine größere Nachfrage bei den Tests festgestellt, seit die Erkrankungsfälle in der Türkei bekannt geworden sind", sagt Heilbronn. Es gebe keinerlei Hinweise dafür, dass verunsicherte Reisende aus der Türkei vermehrt Praxen und Kliniken aufsuchen, weil sie fürchten, sich mit Vogelgrippe angesteckt zu haben.

"Der Mensch steht sowieso nicht im Mittelpunkt"

"Der Mensch steht sowieso nicht im Mittelpunkt", sagt Lothar Wieler, Professor für Veterinärmedizin an der FU Berlin. "Lebensmittel und illegale Geflügelimporte sind eine viel größere Gefahr als Reisende, die in betroffenen Gebieten waren." Der Experte für Tierseuchen verweist auf die Relationen: Mehr als zwei Milliarden Menschen leben in Ostasien.

Doch trotz mehrerer Millionen infizierter Vögel in Asien hätten sich weltweit nach offiziellen Erhebungen bisher nur etwa 150 Menschen mit Vogelgrippe infiziert und 80 seien daran gestorben. "Das ist eine Infektionsquote weit im unteren Promillebereich. Für Deutschland kann man von einem nur hypothetischen Risiko sprechen", sagt Wieler. "Schließlich ist das Virus seit neun Jahren in der menschlichen Population." 1997 waren in Hongkong die ersten Vogelgrippefälle dokumentiert worden.

Die Beschwerden bei herkömmlicher Grippe und Vogelgrippe unterscheiden sich kaum: "Ein schweres Krankheitsgefühl, Fieber und Schwäche stehen bei beiden Infektionen im Vordergrund", sagt Regine Heilbronn.

Anders dagegen die vergleichsweise banalen Erkältungskrankheiten: Hier dominieren Atemprobleme mit Husten, Schnupfen, Heiserkeit. "Das sind die Kranken, die ein, zwei Aspirin schlucken und am nächsten Tag wieder zur Arbeit können", sagt Heilbronn. "Mit einer richtigen Grippe liegt man hingegen eine Woche flach."

Noch kein konkreter Verdachtsfall

"Es gibt schon mehrere Patienten in der Woche, die typische Grippesymptome haben und sagen, dass sie in Regionen mit Vogelgrippe waren", sagt Thomas Löscher, Leiter der Abteilung für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin an der LMU München.

"Ein konkreter Verdachtsfall hat sich aber bisher noch nicht ergeben." Für den Fall der Fälle sehen sich Kliniken und Institute gut gerüstet. "Spätestens seit der weltweiten Bedrohung durch die Lungenseuche Sars im Frühjahr 2003 sind wir vorbereitet", sagt Löscher. "Selbst wenn es demnächst einen Patienten mit H5N1 geben sollte, wäre es ein Einzelfall und die Kontaktpersonen wären nicht in Gefahr."

"Wir müssen derzeit keine speziellen Vorsichtsmaßnahmen treffen", sagt auch Martin Reincke, Chefarzt der Inneren Medizin am Klinikum Innenstadt der LMU. "Wir haben spezielle Isolierzimmer für alle Patienten mit hoch ansteckenden Krankheiten - aber das ist die Vogelgrippe ja bisher glücklicherweise nicht."

Isolierzimmer und Desinfektionsschleusen

Isolierzimmer gibt es an den meisten größeren Kliniken. Sie befinden sich zumeist auf oder in der Nähe der Intensivstationen. Damit sich niemand anstecken kann, sind sie mit einem speziellen Belüftungssystem ausgestattet, das nicht mit der Ab- und Zuluft des restlichen Krankenhauses in Kontakt kommt.

Für Personal und Besucher gibt es Desinfektionsschleusen. Werden Patienten behandelt, die besonders ansteckende Erreger haben, stehen Ganzkörperschutzanzüge zur Verfügung.

In München steht für hoch infektiöse Patienten sogar ein spezielles Transportfahrzeug der Berufsfeuerwehr bereit. "Das ist ein etwas abgespeckter Notarztwagen, der sehr gut abgedichtet ist und sich nach dem Transport leichter desinfizieren lässt", sagt Löscher, der immer wieder betont, dass diese extremen Sicherheitsvorkehrungen bei Verdacht auf Vogelgrippe nach bisherigem Kenntnisstand gar nicht nötig wären: "Die Übertragung der Viren von Mensch zu Mensch ist ja noch nirgends eindeutig bewiesen worden."

"Wir sprechen hier von einer Krankheit, die nur bei sehr engem Kontakt mit Geflügel entsteht", sagt auch Günther Dettweiler vom Robert-Koch-Institut in Berlin. "Eine Infektion in Deutschland ist zwar nicht ausgeschlossen, aber die Wahrscheinlichkeit ist äußerst gering."

Für eine realistischere Einschätzung der Gefahren plädiert Veterinärmediziner Wieler: "Ich wäre froh, wenn sich die Deutschen häufiger gegen die normale Grippe impfen lassen würden." In der Grippe-Saison 2003/2004 seien mehr als 20.000 Menschen hierzulande an der Krankheit gestorben.

Durch eine Impfung könne nicht nur verhindert werden, dass sich herkömmliche Grippe-Viren mit H5N1 zu einem neuen, sowohl gefährlicheren als auch ansteckenden Virenstamm vermischen. "Damit könnte man auch jedes Jahr viele Menschenleben retten", sagt Wieler. "Nicht hypothetisch, sondern real."

© SZ vom 17.1.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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