Verhütung:Die Pille fürs Kind

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Wenn Mädchen schon zu Beginn der Pubertät Verhütungsmittel verlangen, geraten Ärzte in Konflikte.

Von Wiebke Rögener

Was tun, wenn eine Zwölfjährige in der Praxis des Frauenarztes erscheint und nur eines möchte: die Pille? Fragen, ob die Periode regelmäßig ist und nach kurzer gynäkologischer Untersuchung ein Rezept ausstellen?

Auch gegen den heftigen Protest der jungen Dame die Eltern verständigen? Oder gar die Polizei einschalten wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch?

Mit dem kurzen Hinweis, das Mädchen sei für "so etwas" viel zu jung, ist es jedenfalls nicht getan. Denn womöglich kommt die junge Dame nur zu bald mit einem anderen Problem in die Sprechstunde: Dann heißt es nicht mehr Pille oder nicht, sondern Abtreibung oder nicht.

Auf das Jahr hochgerechnet brechen 2005 etwa 8000 Mädchen unter 18 Jahren eine Schwangerschaft ab, wie Zahlen des Statistischen Bundesamtes vom Dienstag zeigen.

Jede Zehnte, so die Erfahrung aus früheren Jahren, ist erst 14 oder noch jünger. Und weitere 7000 Minderjährige tragen ihr Baby aus, besagen Zahlen von 2003 - jedes hundertste Kind bringt eine Mutter unter 18 Jahren zur Welt.

Noch häufiger als in Deutschland sind Teenagerschwangerschaften innerhalb Westeuropas nur in Großbritannien. Dort werden nach Angaben des National Health Service im Verhältnis jährlich doppelt so viele Mädchen schwanger wie hier zu Lande.

Agieren in der Grauzone

Wissenschaftler der University of Aberdeen haben darum vor kurzem rund 35.000 Mädchen zwischen 10 und 16 Jahren nach der Verhütung befragt und festgestellt: Nur acht von 1000 nehmen die Pille, obwohl viele Jugendliche dieser Altersgruppe bereits sexuell aktiv sind (Archives of Disease in Childhood, online 26.4.2005).

Aufsehen erregte jedoch ein Detail. 23 Mädchen erhielten ein Rezept für die Antibabypille, obwohl sie noch nicht dreizehn waren, zwei waren sogar unter zehn Jahre alt. Das ist pikant, denn in Schottland gilt jede sexuelle Beziehung mit Kindern unter 13 als Vergewaltigung.

Auch in Deutschland agieren Ärzte, die jungen Mädchen die Pille verschreiben, in einer Grauzone. Früher gab es strikte Altersgrenzen - bis 1984 durfte laut Richtlinie der Bundesärztekammer die Pille an Mädchen unter 16 gar nicht, bis zum 18. Geburtstag nur mit Erlaubnis der Eltern verschrieben werden.

Heute muss der Arzt die "Einwilligungsfähigkeit" der Minderjährigen prüfen. Dafür gibt es Richtwerte: Mädchen ab 16 Jahren seien in der Regel verständig genug, ohne Einwilligung der Eltern ein Verhütungsmittel zu bekommen, sagte 2004 die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG).

Bei jüngeren muss der Arzt sorgfältig abwägen. Er darf trotz ärztlicher Schweigepflicht auch gegen den Willen der Patientin ihre Eltern verständigen. Doch kann er selbst bei Mädchen unter 14 darauf verzichten und liefe nach Auffassung der DGGG nicht Gefahr, wegen Beihilfe zum strafbaren Sexualverkehr mit Kindern belangt zu werden.

Eine Moralpredigt des Arztes sei hingegen wirkungslos: "In aller Regel lautet die Alternative nicht: Geschlechtsverkehr ja oder nein, sondern Geschlechtsverkehr mit oder ohne Verhütungsmittel", so die DGGG.

Auch wenn das Eltern von Teenagern vielleicht nicht wahr haben wollen, erwacht bei ihren Kindern die Sexualität früh. Immerhin 11 Prozent aller 14-jährigen Mädchen haben bereits mit einem Jungen geschlafen, ergab 2001 eine Umfrage der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung.

Das Durchschnittsalter fürs "erste Mal" liegt bei 15 Jahren; jedes achte Mädchen verzichtet dabei auf Verhütungsmittel. Schlagzeilen wie in Schottland sind dennoch nicht zu erwarten: "Dass zehnjährige Mädchen bei uns auftauchen und die Pille wollen, habe ich noch nicht erlebt", berichtet die Ärztin Ruth Gottwald von Pro-Familia Mainz. "Aber 13-Jährige, klar, die kommen häufiger mit diesem Anliegen."

Dürftige Datenlage

Besondere gesundheitliche Risiken für sehr junge Frauen sieht die Ärztin nicht. Das Risiko einer Thrombose sei bei Jugendlichen nicht höher als bei Erwachsenen. "Die jungen Frauen sind ja in der Regel gesünder als ältere. Und natürlich verordnen wir Pillen mit möglichst niedrig dosierten Hormonen."

Umstritten ist unter Wissenschaftlern jedoch, ob sich die enthaltenen Östrogene nachteilig auf die Knochenentwicklung auswirken können. Mädchen, die früh mit der Pille anfangen, bauen in der Pubertät weniger Knochenmasse auf als Altersgenossinnen, die keine Hormone schlucken, berichtete vor kurzem Manfred Hartard von der Technischen Universität München bei einem Symposium für Kinder und Jugendgynäkologie in Berlin.

Doch gibt es auch widersprechende Studien. "Insgesamt ist die Datenlage bei Jugendlichen dürftig", sagt die Frauenärztin Sabine Anthuber vom Münchner Klinikum Großhadern. Eine Schwangerschaft ist wahrscheinlich bedrohlicher fürs junge Skelett als die Pille: Bei einem Drittel der von ihnen untersuchten Mütter zwischen 13 und 18 Jahren fanden Forscher der Johns Hopkins University 2003 Anzeichen für Osteoporose.

"Niedrig dosierte Hormonpillen, die den Eisprung verhindern, sind für Jugendliche das beste Mittel zur Empfängnisverhütung", sagt Sabine Anthuber. "Weniger geeignet ist die Dreimonatsspritze, denn sie verringert bei Jugendlichen nachweislich die Knochendichte."

Für Frauen, die vergesslich sind, gibt es inzwischen andere Möglichkeiten: Ein Verhütungspflaster setzt vergleichbare Hormone frei wie die Pille und muss nur einmal pro Woche erneuert werden, ein Hormone spendender Vaginalring sogar nur einmal im Monat. "Beide können auch von Teenagern verwendet werden. Sie sind aber bisher nicht an jungen Frauen unter 18 Jahren getestet worden", sagt Anthuber.

Allerdings: Auch die altbekannten Antibabypillen wurden nie in umfassenden klinischen Studien an Jugendlichen geprüft.

© SZ vom 8.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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