Verheerender Arzneimitteltest:Ein Segen für die Menschheit

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Die Ärzte in London kämpfen um das Leben der Probanden eines missglückten Medikamententests. Doch so furchtbar die Situation für die Männer und ihre Angehörigen ist: Es wäre fatal Medikamententests zu verdammen. Ein Kommentar von Christina Berndt

Die Folgen dieses Versuchs sind so unfassbar, dass die Menschen zu Spielfilmvokabeln greifen, um sich überhaupt verständlich zu machen.

Der Anblick ihres Freundes erinnere an den Elefantenmenschen, sagte die Lebensgefährtin eines der Männer, die nach einem desaströsen Arzneimitteltest in schrecklichem Zustand auf einer Londoner Intensivstation liegen.

Er habe "den reinen Horror" gesehen, berichtete ein Testteilnehmer. Er hatte das Glück, statt der verhängnisvollen Arznei ein Placebo zu bekommen.

Eigentlich ein Segen

Doch so furchtbar die Situation für die Männer, für ihre Angehörigen und auch für jene ist, die den katastrophalen Versuch ersonnen haben: Es wäre ebenso fatal, Medikamententests zu verdammen.

Dass klinische Versuche mit neuen Arzneien so schwerwiegende Folgen haben wie in London, ist eine extreme Ausnahme. Grundsätzlich sind diese Tests ein Segen für die Menschheit.

Wer neue Medikamente einsetzen will, muss sie an Menschen erproben. Der Schritt von Versuchen an Tieren hin zu Testpersonen ist notwendig. Und dieser Schritt birgt immer ein Risiko - auch wenn noch so sorgfältig Sicherheitsmaßnahmen getroffen werden, auch wenn immer Ethikkommissionen prüfen.

Der Schritt vom Tier zum Menschen, selbst der vom Affen zum Menschen, wie im vorliegenden Fall, ist gigantisch. Auch die schlimmsten Überraschungen lassen sich nicht sicher ausschließen. Der Fortschritt der Medizin wird immer mit Menschenopfern bezahlt, so sehr Patienten und Ärzte diese traurige Tatsache verdrängen.

Umso wichtiger ist es, dass Testteilnehmer umfassend über mögliche Folgen aufgeklärt werden. Und es kommt zweifelsohne vor, dass dies nicht geschieht. Als zum Beispiel vor einigen Jahren ein 18-Jähriger in den USA bei einer Gentherapie starb, war ihm verschwiegen worden, dass zuvor ein Experiment an Affen tödlich geendet hatte.

Kaum jemand weiß, wie oft es zu Problemen kommt

Es ist skandalös, dass in Deutschland kaum bekannt ist, wie häufig es bei solchen Tests zu Problemen kommt, da die Forschungsergebnisse über neue Medikamente streng vertraulich sind. Eine umfassende Studie zu Zwischenfällen liegt nur aus den USA vor: Dort trugen von 250000 Probanden 176 nachhaltige Schäden davon.

Im Zentrum solcher Versuche müssen die Sicherheitsstandards stehen, sie müssen so hoch wie möglich sein. Es erstaunt daher, dass in London alle acht Probanden zur gleichen Zeit behandelt wurden und nicht, wie sonst bei ersten Tests an Menschen üblich, nacheinander mit einem Abstand.

Die erste Phase klinischer Studien ist besonders brisant, weil es kaum Erfahrungen mit dem getesteten Wirkstoff gibt. Die Menschen, die daran teilnehmen, haben selber nichts davon als die paar tausend Euro, die sie bekommen. Sie nehmen die Arzneien für die Kranken, die auf neue Medikamente warten. Selbst sind sie gesund. Kerngesund sogar.

Erst in der zweiten Phase kommen die Patienten ins Spiel. Ausgerechnet sie nehmen aber in viel zu geringer Zahl an den Tests teil. Dabei sind die Kranken die eigentlichen Profiteure klinischer Studien - auch als Testpersonen.

So scheint die Lebenserwartung von Brustkrebspatientinnen, die im Rahmen solcher Versuche behandelt werden, höher zu sein als die herkömmlich behandelter Frauen.

Keine Versuchskaninchen

Das liegt nicht nur daran, dass sie die Chance auf eine fortschrittliche Therapie haben. Sie werden im Rahmen der Studien auch besonders genau untersucht, viel genauer, als dies üblicherweise der Fall ist.

Klinische Studien gehören nicht in die Schmuddelecke. Wer daran teilnimmt, ist kein "Versuchskaninchen", und er geht auch nicht "auf den Pharma-Strich", wie mitunter zu lesen ist.

Den Testpersonen gebührt vielmehr Anerkennung, ebenso wie den Firmen, die wirklich neue, innovative Arzneimittel gegen bisher unheilbare Krankheiten vorantreiben. Nur so ist medizinischer Fortschritt möglich.

© SZ vom 18. - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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