Verhandlungen im Weltklimarat:"Hohe Diplomatie und Kindergarten"

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Wie Politiker und Wissenschaftler in Brüssel zu einer gemeinsamen Einschätzung der Weltklima-Lage gelangten.

Cornelia Bolesch

Um sieben Uhr am Freitagmorgen schickte Ursula Fuentes an ihren Chef eine SMS: "Wir sind noch nicht fertig!" Da hatte die Beamtin aus dem Berliner Bundesumweltministerium schon vier Tage und eine komplette Nacht über den Klima-Report verhandelt - zusammen mit rund 300 Wissenschaftlern und Regierungsvertretern aus über hundert Ländern.

Es dauerte dann noch einmal knapp vier Stunden, bis die Tat endlich vollbracht war und vom gläsernen Charlemagne-Gebäude aus ein neuer Alarmruf vor der zunehmend bedrohlichen Erderwärmung in die Welt geschickt wurde. "Es ist ein ausgezeichneter Bericht", kommentierte der Chef des UN-Klimapanels, der Inder Rajendara Pachauri, als er unrasiert und im Anzug vom Vortag vor die Presse trat.

Die Journalisten schauten skeptisch. War doch zuvor höchst Seltsames aus dem raumschiffgleichen Sitzungssaal herausgesickert, in dem die Arbeitsgruppe II hinter verschlossenen Türen tagte. In demselben Gebäude, in dem vor über einem Jahrzehnt Agrarpolitiker über europäische Milchquoten und Fleischberge gestritten hatten, stritten jetzt Wissenschaftler und Politiker über ein 23-Seiten-Dokument, das die Welt vor Hitze, Dürre und Überschwemmungen warnt. Sie feilschten um jedes einzelne Wort.

Sie verhandelten, ob eine Prognose "wahrscheinlich" oder doch eher ,,sehr wahrscheinlich'' sei. Den Delegierten aus den USA passte eine Textpassage nicht, in denen Nordamerika vor wirtschaftlichen Schäden gewarnt wurde. Die Vertreter von Saudi-Arabien und Russland versuchten, dramatisch beschriebene Folgen des Klimawandels im Text abzuschwächen. Den Chinesen war sogar die harmlose Formulierung zu viel, wonach der Treibhauseffekt "mit sehr großer Gewissheit viele Ökosysteme auf allen Kontinenten und in einigen Ozeanen" beeinträchtigen werde.

So redete man hin und her, spaltete sich in Arbeitsgruppen auf und machte neue Formulierungsvorschläge. Jeder UN-Klimabericht durchläuft diese anstrengende Prozedur. Was strittig ist, kommt in eckige Klammern. Am Donnerstagabend war das Papier noch übersät mit eckigen Klammern. Manchmal hätten er und andere Forscherkollegen "nur noch den Kopf geschüttelt" über die Bedenken der Politiker, berichtete der deutsche Gutachter Wolfgang Cramer vom Potsdamer Institut für Klimaforschung. Ein deutscher Politiker beschrieb das nächtliche Geschehen in Brüssel als "Mischung aus Hoher Diplomatie und Kindergarten".

Doch als am Freitagmittag alles vorbei war, und viele Delegierte mit ihren Rollköfferchen erschöpft zum Flughafen strebten, wirkten auch die Wissenschaftler sehr zufrieden. "Wir sitzen noch hier. Keiner ist zornig gegangen", verkündete der englische Klimaforscher Martin Parry.

Wieder einmal in der Geschichte der UN-Klimapolitik war in Brüssel ein Experiment zu einem positiven Abschluss gekommen: Wissenschaftler und Politiker - Vertreter zweier sehr unterschiedlicher Welten - waren aufeinandergeprallt und hatten es am Ende doch fertiggebracht, ein gemeinsames Dokument über den unerfreulichen Zustand der Welt zu produzieren.

Mehr als hundert Regierungen auf wenige Aussagen festgelegt

Den Forschern ist es dabei gelungen, mehr als hundert Regierungen auf einige zentrale Aussagen über die drohende Klima-Katastrophe festzulegen. "Was diese Konsensmaschine einmal durchlaufen hat, kann von keiner Regierung wieder in Frage gestellt werden", so die Bewertung eines Mitglieds der deutschen Delegation. "Wir machen keine inhaltlichen Kompromisse mit der Politik", versicherte auch der Potsdamer Forscher Wolfgang Cramer. "Es geht vielmehr um die Auswahl der Fakten. Welche Informationen aus dem über tausend Seiten starken wissenschaftlichen Report finden Eingang in das politische Papier?".

Martin Parry, der Versammlungsleiter aus England, meinte: "Es ist eine harte und schmerzhafte Prozedur. Aber es ist ein gutes Verfahren. Die Regierungen werden gezwungen, den Klimawandel zu ihrer Sache zu machen". Freundlich lächelnd sagte Parry dann noch etwas, das wie ein Schock wirkte: "Weil wir uns ständig mit der Politik abstimmen, sind unsere Berichte eher vorsichtig". Die Lage, heisst das, könnte also noch viel, viel schlimmer sein.

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