Verhaltensstudie:Wo die Rache besonders süß ist

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Wer sich nicht an die Regeln hält, muss häufig dafür bezahlen. Doch nicht überall führt dies zur Läuterung. Wo öffentliche Gesetzeshüter wenig Vertrauen genießen, folgt auf die Strafe eher Rache.

Christopher Schrader

Warum sich Menschen an Regeln halten, können Ökonomen nur schwer verstehen. Oft ist der mögliche Profit eines Verbrechers oder Schmarotzers schließlich größer als der eines braven Bürgers. Aber Völker auf der ganzen Welt achten Gesetze und Normen, und in vielen Ländern nehmen die Menschen sogar persönliche Mühen auf sich, um Andere zum Einhalten der Regeln zu bewegen.

In Athen, wo die Menschen verhältnismäßig wenig Zutrauen in die Fairness von Polizei und Justiz haben, neigten die Studienteilnehmer zur Rache. (Foto: Foto: AP)

Das haben inzwischen auch viele Experimente gezeigt, bei denen die Versuchspersonen um Geld spielten: Dabei geben sie regelmäßig etwas von ihrem Kapital her, um andere zu bestrafen, die es sich auf Kosten der Gemeinschaft gemütlich machen.

Doch nun zeigt ein weiteres Experiment: In manchen Teilen der Welt akzeptieren die Bestraften die Buße nicht und nehmen anschließend Rache - am ehesten dort, wo die Normen des sozialen Zusammenhalts schwach sind und öffentliche Gesetzeshüter wenig Vertrauen genießen ( Science, Bd. 319, S.1362, 2008).

Simon Gächter und Benedikt Herrmann von der University of Nottingham sowie Christian Thöni von der Universität St. Gallen in der Schweiz haben insgesamt 1120 junge Studenten aus Hochschulen in 16 Städten ins Labor gebeten.

Dazu gehörten neben den Heimat-Instituten noch Universitäten in Athen, Boston, Bonn, Chengdu in China, Dniporpetroswsk in der Ukraine, Istanbul, Kopenhagen, Minsk in Weißrussland, Melbourne in Australien, Maskat im Oman, Riad in Saudi-Arabien, Samara in Russland, Seoul in Südkorea und Zürich.

Die Teilnehmer saßen einzeln vor Computern, waren aber mit drei anderen zu Viererteams zusammengeschaltet und konnten einen Teil des in zehn Runden jeweils neu zugeteilten Spielgelds von 20 "Gulden" in einen Gemeinschaftstopf legen; den Rest durften sie behalten.

Teamarbeit zahlt sich aus

Vom gesamten Einsatz der Gruppe bekam jeder 40 Prozent ausgeschüttet. Arbeiteten alle zusammen, konnte jeder sein Kapital vermehren, das er am Ende in realem Geld ausgezahlt bekam. Schmarotzer aber profitierten ohne Einsatz vom Verhalten ihrer Mitspieler.

Nach jeder Runde konnten die Probanden dann Spielgeld investieren, um ihre Mitspieler zu bestrafen. In Städten wie Melbourne, Kopenhagen, Boston und Seoul nutzen die Mitspieler diese Möglichkeit vor allem, um die zu treffen, die zu wenig in den Topf gezahlt hatten, und sie zu mehr Kooperation zu bewegen.

In Minsk, Riad, Athen und Maskat hingegen investierten die Teilnehmer teilweise genauso viel Geld, um auf empfangene Strafen zu reagieren und sich zu rächen. Diese Strafe traf dann diejenigen, die mehr Geld in den Topf gelegt hatten als sie selbst.

Die Forscher nannten die Strafe "antisozial", weil damit offenbar keine soziale Kooperation erzwungen werden sollte. Über die 16 Städte hinweg zeigte sich, dass solche Rache eher dort geübt wurde, wo in Umfragen mehr Menschen Schwarzfahren und Steuerhinterziehung in Ordnung fanden und wo sie weniger Zutrauen in die Fairness von Polizei und Justiz hatten.

Genau dort führte das System mit den Strafen auch dazu, dass die Teilnehmer am Ende sehr viel weniger Geld mit nach Hause nehmen konnten. Während Probanden in Boston nach den zehn Runden 279 Gulden besaßen (die in 8,37 Dollar umgetauscht wurden) und die Studenten in Bonn für ihre 241 Gulden 6,03 Euro bekamen, hatten die Athener nur 132 Gulden (2,64 Euro) und die Teilnehmer in Maskat nur 110 Gulden (0,66 Rial) verdient. Die Umtauschkurse hatten die Forscher vorher so festgelegt, dass die Kaufkraft der Gulden in allen Ländern gleich war.

Das Strafen an sich erwies sich aber für die meisten der Teilnehmer als Nachteil. In den Städten, in denen die Studenten zu Rache neigten, aber auch in einigen anderen, schnitten Teilnehmer an einer anderen Variante des Spiels besser ab:

Wenn überhaupt keine Strafen möglich waren, hatten alle Probanden am Ende zwischen 230 und 269 Gulden eingenommen. Nur in drei Städten hatte das System mit den Strafen überhaupt zu höheren Einnahmen geführt: in Boston, Kopenhagen und Melbourne.

Überall sonst und besonders an den Orten, wo das Vertrauen in Gesetzeshüter schwach ausgeprägt war, kamen die Studenten besser mit dem System ohne Strafen klar. Sie alle reduzierten allerdings im Lauf der zehn Runden ihren Einsatz in den Topf immer weiter, weil sie sahen, dass andere nicht mitzogen. Im Prinzip verschenkten sie also die möglichen Zinsen, um sich gegen Schmarotzer zu schützen.

Allgemeine Abneigung gegen "Gutmenschen"

Für die "antisozialen" Strafen können sich die Forscher auch andere Motive vorstellen als pure Rache.

Zum einen könnte es eine allgemeine Abneigung gegen "Gutmenschen" sein, die versuchen, andere zu sozialem Verhalten zu zwingen.

Zum anderen, sagt Simon Gächter, "akzeptieren Menschen in manchen Gesellschaften Strafen grundsätzlich nur von ihrer eigenen sozialen Gruppe. Die anderen Teilnehmer an dem Experiment waren aber alle anonym, gehörten also schon deshalb keinesfalls zur eigenen Gruppe."

Diese Erklärung sei allerdings nur eine Spekulation, denn kein Teilnehmer wurde gefragt, warum er eine Strafe gegen einen anderen verhängt hat.

Auf Rache im engeren Sinn konnten die Forscher daher vor allem in Städten wie Boston oder Melbourne schließen, wo die - sehr seltenen - antisozialen Strafen am zuverlässigsten direkt auf eine selbst empfangene Strafe folgten.

Insgesamt zieht Gächter aus seinem Experiment einen philosophischen Schluss: "Strafen funktionieren nur dort, wo die Empfänger sie akzeptieren und danach ihr Verhalten ändern." Diese beiden Bedingungen schränken ihre Brauchbarkeit in vielen Teilen der Welt offenbar sehr ein.

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