USA:Die auf den Wolf schießen

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Vor wenigen Jahren war der Grauwolf in den USA fast ausgerottet. Nun darf das Raubtier im Nordwesten des Landes wieder gejagt werden. Dabei wäre eine große Population wichtig für das ökologische Gleichgewicht.

Hubertus Breuer

253M war bekannter als ein bunter Hund. Er trug ein dunkles Fell, das ihn von anderen Grauwölfen abhob, und er humpelte. Im Yellowstone Nationalpark nannte man ihn deshalb "Limpy" - Hinkebein.

Wieder auf der Abschussliste: Der Grauwolf in den USA. (Foto: Foto: AP)

So kannten ihn Abertausende Touristen, die, mit Zoomobjektiven bewaffnet, alljährlich in den Park strömten. Seit er ein Welpe war, verfolgten sie seinen Werdegang: Wie er allein Hunderte Kilometer nach Utah abwanderte, zurückgeholt im Yellowstone Park zum Beta-Männchen des Druiden-Rudels aufstieg und zuletzt außerhalb des Parks durch die Landstriche zog. Obwohl er ein Sendehalsband trug, hatte man lange nichts von ihm gehört. Bis zum 29. März.

An diesem Tag, wenige Stunden, nachdem die Wölfe in den Rocky Mountains von der Liste bedrohter Arten gestrichen worden waren, lief das Raubtier in der Nähe des Städtchens Daniel in Wyoming einem Freizeitjäger vor die Flinte.

Dort, gut 150 Kilometer südlich des Yellowstone Parks, umschlich er gerade eine Herde Wapitis, die großen Rothirsche Nordamerikas. Der Schütze machte kurzen Prozess mit Limpy, einem weiteren Wolfsrüden und einer Fähe.

Der Abschuss war legal: In Wyoming ist es außerhalb des Yellowstone Parks seit Ende März jedermann nahezu überall erlaubt, Wölfe ins Jenseits zu befördern - wenn es sein muss, auch vom Auto aus. Im nördlich an den Park angrenzenden Bundesstaat Montana reicht es, das Nutzvieh bedroht zu sehen, um zur Waffe zu greifen. Bewehrte Bürger ließen sich nicht lange bitten: Seit Limpys letztem Jagdzug haben sie mindestens 37 Wölfe zur Strecke gebracht.

Anfang der neunziger Jahre war der Grauwolf in den Vereinigten Staaten in freier Wildbahn so gut wie ausgerottet. Doch zwischen 1995 und 1996 wilderte der "U.S. Fish and Wildlife Service", die für Naturschutz zuständige Bundesbehörde, gegen die Proteste von Jägern und Ranchern im Yellowstone Park und in Idaho 46 kanadische Wölfe aus.

Der einstige Ureinwohner der Wildnis - um 1800 sollen in Nordamerika noch 350.000 Wölfe gelebt haben - gedieh prächtig in der Schutzzone. Anfang dieses Jahres lebten in den nördlichen Rocky Mountains mehr als 1500 Wölfe. Dabei etablierten sich die Tiere nicht nur in ihren angestammten Jagdrevieren; sie hielten auch die Population von Elchen und Rothirschen im Zaum. Ohne natürliche Feinde hatten diese sich in jüngster Zeit zu stark vermehrt.

Kaum aber pirschten wieder mehrere Wolfsrudel durch den Nordwesten der USA, begann der Streit darüber, ab wann eine Tierart als nicht mehr gefährdet gelten darf. Seitdem der Grauwolf von der roten Liste gestrichen wurde, haben die an den Nationalpark angrenzenden Bundesstaaten das Management der Bestände übernommen. Wenn sie wollten, könnten sie jetzt ein Massaker unter den Wölfen anrichten. Denn die US-Behörde für Fischerei und Wildtiere hat den Bundesstaaten einzig auferlegt, dass von den mehr als 1500 Wölfen nur 300 am Leben bleiben müssen.

So erklärt der für die staatliche Behörde arbeitende Wolfsbiologe Ed Bangs: "Wir haben mehr Wölfe als wir je erhofft hätten - und weniger Probleme als vorhergesehen. Die lokalen Ämter sind bestens vorbereitet, sich um die Rudel zu kümmern - schließlich betreuen sie bereits ihre Rotwild-, Berglöwen- und Bärenbestände ebenfalls vorbildlich."

Populationen müssen ausreichend groß sein

Doch diese Sicht teilt nicht jeder. Viele Ökologen argumentieren, dass Wolfspopulationen groß genug sein müssen, um die genetische Diversität zu bewahren. So hat der Evolutionsbiologe Robert Wayne von der University of California in Los Angeles erst im Januar in einem Aufsatz in Molecular Ecology berechnet, dass niedrige Wolfszahlen im Yellowstone Park innerhalb von vierzig Jahren zu Inzucht und damit genetischen Defekten führen würden.

Er forderte grüne Korridore, welche die Rudel im Yellowstone Park mit den umliegenden Regionen und Kanada verbinden. Dazu müssten jedoch nach Meinung von Wayne und anderen Wildbiologen im Nordwesten der USA mehrere tausend Wölfe eingebürgert werden.

Völlig abwegig erscheint das nicht: Weiter im Osten, an den zur Grenze zu Kanada gelegenen Staaten Minnesota, Wisconsin und Michigan, ließ man die Wolfspopulation auf 4000 anwachsen, ehe passionierte Waidmänner zur Büchse greifen durften. Mehrere Naturschutzverbände haben deshalb inzwischen gegen die Entscheidung geklagt.

Doch für den Fall, dass der Genpool in Yellowstone zu sehr schrumpfen könnte, hat Ed Bangs eine eigene Lösung parat: "Wir können jederzeit neue Wölfe in die Region bringen. Und zwar mit einem Lastwagen."

Das erzürnt die Jäger, Farmer und Rancher, in deren Augen der böse Wolf nur unnötig ihr Wild und Nutzvieh reißt. Als die Tiere 1995 in die Freiheit entlassen werden sollten, versuchten Anwälte der Agrarlobby in Wyoming sogar, den Vorgang vor Gericht zu stoppen.

"Der Saddam Hussein der Tierwelt"

Einige der kanadischen Lebendimporte mussten, obowol bereits in den Park gebracht, per einstweiliger Verfügung noch einige Tage in Käfigen ausharren, ehe ein Richter den Eilantrag ablehnte. Bis heute gibt es rings um den Yellowstone-Park Autosticker zu kaufen, auf denen zu lesen steht: "Wölfe: Die wahren Terroristen!" und, wenn auch schon etwas angestaubt, "Der Wolf ist der Saddam Hussein der Tierwelt!" Und erst kürzlich erklärte der republikanische Gouverneur von Idaho, C.L. Otter, dass er sich "um die erste Lizenz bewerben werde, einen Wolf abzuknallen".

Ein solcher radikaler Widerstand aber wird mehr und mehr zur Ausnahme. Jäger, Rancher und Farmer mögen sich zwar lautstark in die Diskussion einmischen, in den letzten zehn Jahren aber sind fast 700.000 in die Gegend rund um den Park gezogen, viele davon wegen der atemberaubenden Wildnis, Wölfe inbegriffen.

Zudem kommen viele Touristen gerade wegen der Wolfsfamilien nach Yellowstone. Deshalb will Gouverneur Otter trotz der Erlaubnis, 700 der 800 Wölfe in seinem Staat abzumetzeln, nicht ganz so radikal vorgehen - und zeigt sich mit einem geplanten Bestand von 500 Tieren vorerst zufrieden. Auch Wyoming und Montana wollen weit mehr Wölfe als das erlaubte Minimum am Leben lassen - nicht zuletzt, weil man bemerkte, wie wichtig ihre Rolle für das ökologische Gleichgewicht ist.

Wie mehrere Studien dokumentieren, haben die Rudel in den vergangenen Jahren geholfen, den ökologischen Haushalt des Nationalparks umzukrempeln. Der Fleischfresser begann, kaum ausgesetzt, Rothirsche und Elche zu jagen. Lebten im Jahr 1990 in Yellowstone noch 29.000 Wapitis, sind es inzwischen nur noch die Hälfte. Kolkraben, Elstern, Stein- und Weißkopfadler und selbst Kojoten, die zuvor selbst mehr jagten, labten sich an den zahlreichen Kadavern.

Das Wild lernte hinzu und zog sich aus dicht bewachsenen Tälern und Niederungen zurück, in denen sie leicht von Canis lupus überrascht werden konnten. In der Folge sprossen Bäume empor, die hier mehr als sechzig Jahre nicht mehr gedeihen konnten, weil sie von den Rothirschen verbissen wurden.

Die bereits in den fünfziger Jahren aus dem Yellowstone Park verschwundenen Biber kehrten zurück und bauten Dämme. Die aufgestauten, beschatteten Gewässer wiederum schufen Lebensraum für Fische und Wasserpflanzen. Deshalb mahnt der Ökologe William Ripple von der Oregon State University in Corvallis zur Vorsicht, wenn es darum geht, Wölfe von der Liste bedrohter Arten zu streichen: "Die Wölfe spielen für das Ökosystem eine Schlüsselrolle."

Wölfe auch in Deutschland

Auch in Deutschland gibt es vereinzelt Wölfe. Von ihnen die Kulturlandschaft umgestalten zu lassen, steht aber nicht zur Debatte. Vor mehr als zwölf Jahren wanderten die ersten Tiere aus Westpolen in die sächsische Lausitz und nach Brandenburg ein; heute jagen in der Lausitzer Region rund 30 Wölfe, außerdem ein Pärchen in Brandenburg.

"Wenn das Wild hier sein Verhalten anpasst, dann nur an den größten Räuber, den Menschen", sagt die Wildbiologin Ilka Reinhard vom Wildbiologischen Büro "Lupus" im sächsischen Spreewitz. "Der Zuwachs der Wölfe wird sich in Deutschland außerdem in Grenzen halten: Durch Verkehr und illegale Abschüsse kommen nach wie vor viele Tiere um."

In den USA haben es die Naturschutzämter hingegen mancherorts schon schwer zu beurteilen, wie viele Wölfe es in ihrem Gebiet überhaupt gibt. Seitdem das Tier von der Roten Liste genommen wurde, bekommen sie auch keine der kostspieligen Sendehalsbänder mehr. An der University of Montana haben Forscher deshalb bereits eine Alternative entwickelt, die sogenannte Heulbox. Über einen Lautsprecher wird Wolfsgeheul abgespielt, und die Wölfe der Umgegend antworten.

Das aufgezeichnete Spektrogramm des Heulchors erlaubt zu bestimmen, wie viele und welche Wölfe den Ruf erwidern. Denn jede Wolfsstimme hat, wie ein Fingerabdruck, seine eigene Signatur.

© SZ vom 13.05.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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