US-Terroranschläge:Das Netz besteht eine Bewährungsprobe

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Auch unter Extrembelastung zeigt sich das Internet effizient. Doch die Anschläge unterstreichen seine Gefährdung.

Christopher Schrader

(SZ vom 13.09.2001) - Gut 600 Meter vom Ort der Katastrophe war "Business as usual". Der Computer mit dem Namen NYIIX, einer der zentralen Internet-Rechner in Amerika, steht im Haus mit der Adresse 25 Broadway, wenige Blocks vom World Trade Center entfernt. Den ganzen Dienstag über hat dieser Rechner etwa 360 Millionen Bits pro Sekunde verarbeitet - in seiner Auslastungskurve zeichnet sich die Katastrophe nicht ab.

"Hätte ich die Attacke nicht gesehen, dann wüsste ich nichts davon", sagte auch Mike Brogan von der Wall-Street-Firma Blackwood Trading in CNN. "An Tagen wie diesem bekommen Begriffe wie ,dreifach redundante Auslegung' reale Bedeutung." Für jeden Rechner in Manhattan stehen dann zwei Ersatzcomputer etwa im nahen New Jersey. In der Tat lief der Computerhandel mit Technologieaktien an der Nasdaq-Börse problemlos weiter.

Größte Belastung des Internets

Das Netz hat in den Stunden nach dem Anschlägen seine bisher wohl größte Belastung erlebt - und bewältigt. Selbst aus Gebäuden in Sichtweite der brennenden Türme konnten Menschen ihren Familien E-Mails schicken, dass ihnen nichts passiert sei. "Das Internet hat sich in dieser Krisensituation als extrem zuverlässiges und effizientes Medium erwiesen", sagt Charles Neal vom kalifornischen Unternehmen Exodus Communications.

Das liegt wohl auch daran, dass das World Trade Center schon seit dem Anschlag 1993 keine wichtigen Knotenrechner mehr beherbergt, meint Christiane Müller von der Firma Keynote.

Zentrale Schaltstellen versagten

Besonders durch Zugriffe auf Nachrichtenseiten gerieten allerdings einige der zentralen Schaltstellen an die Grenzen ihrer Kapazität. Allein CNN.com verbuchte eigenen Angaben zufolge bis zu neun Millionen Seitenaufrufe pro Stunde; normalerweise seien es elf Millionen pro Tag. Auch das Netzangebot der "Tagesschau" musste 20-mal so viel Anfragen bewältigen wie sonst, sagte Redaktionsleiter Jörg Sadrozinski.

"Etliche Server waren dem Ansturm nicht gewachsen", sagt Christiane Müller, deren Firma Keynote Internet-Angebote überprüft. Besonders die Nachrichten-Seiten haben demnach Probleme bekommen: ABC, CNN und New York Times waren stundenlang kaum zu erreichen; in Deutschland lief etwa ab 15 Uhr, als die Nachricht ganz frisch war, bei den Online-Angeboten von ARD, ZDF, Focus, Spiegel und der großen Tageszeitungen fast nichts mehr.

Auch die Server von Sueddeutsche.de waren wegen des Ansturms zunächst zusammengebrochen. Viele der Angebote haben dann größere Computerkapazitäten zugeschaltet und ihre Seiten vereinfacht, etwa Werbung und Grafiken herausgenommen, um den Ansturm zu bewältigen.

Virtuelle Hilfsbereitschaft

Im Netz entwickelten sich nach den Anschlägen ganz neue Formen der Hilfsbereitschaft: "Uns wurde aus allen Teilen der Welt Bandbreite (für die Übertragung der Internet-Inhalte) angeboten", sagt eine CNN-Sprecherin. Seiten wie Slashdot, die sonst Meldungen für Technik-Freaks präsentieren, haben Nachrichten über die Anschläge verbreitet.

Manche Menschen wie Science-Fiction-Autor William Shunn verwandelten ihre Seiten in Nachrichtenbörsen, wo sich Überlebende meldeten und Familien und Freunde nach Vermissten suchten.

Trotz der Erfolgsgeschichten werden Internet-Techniker ernsthaft prüfen müssen, wie verwundbar das Netz ist. Nach einer Studie des Forschers Albert-László Barabási von der Notre Dame Universität in Indiana müssten Terroristen nur fünf oder sechs der etwa 140 wichtigsten Internet-Rechner zerstören, um den Verkehr zusammenbrechen lassen. Die Namen finden sich im Netz; NYIIX, wenige Blocks von den Einschlagstellen gelegen, ist einer dieser Knotenrechner.

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