Überwachung von Vulkanen:Das Atmen der Unterwelt

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Mit Satelliten beobachten Forscher Vulkane, um Ausbrüche vorhersagen zu können. Dabei erlebten sie eine unangenehme Überraschung in den Anden.

Axel Bojanowski

In den Anden haben Wissenschaftler eine beunruhigende Entdeckung gemacht. Zwei schlafende Vulkane an der Grenze zwischen Chile und Argentinien sind offenbar erwacht. Niemals zuvor wurden Lebenszeichen der beiden rund 5500 Meter hohen Feuerberge Lastarria und Cordon del Azufre beobachtet. Doch nun ist Bewegung ins Erdreich gekommen.

Satellitendaten zeigen, dass sich die Vulkane in den vergangenen Jahren gehoben haben - ein deutliches Zeichen dafür, dass Magma aufsteige, berichtet eine Gruppe von Forschern aus Frankreich und Chile. Ein Ausbruch könnte das öffentliche Leben in mehreren Städten der Region lahmlegen.

In den Anden drohen vielerorts Vulkan-Katastrophen, denn entlang der gesamten Westküste Südamerikas reihen sich Tausende Feuerberge. Manche seien erloschen, heißt es zwar. Doch sicher weiß das niemand, denn die Gegend ist wenig erforscht - dort gibt es mehr Vulkane als Vulkanologen. Manche der Feuerberge tragen noch nicht einmal einen Namen. So leben die Anwohner im Ungewissen: Unter vermeintlich harmlosen Bergen könnten gewaltige Magmabomben schlummern.

Ein Alarmzeichen gibt es immerhin. Die meisten Vulkane heben sich vor einer Eruption. Denn aufsteigendes Magma beult den Boden aus; Druck und Hitze weiten das Gestein. Bislang blieb dieses Warnsignal meist unentdeckt. Doch seit ein paar Jahren lassen sich bedrohliche Schwellungen an Vulkanen mit Satelliten aufspüren.

Dazu vergleichen Wissenschaftler Radaraufnahmen des europäischen Satelliten Envisat. Ein Computerprogramm legt Radarbilder übereinander, die im Abstand einiger Wochen von einem Landstrich gemacht wurden. Aus den Unterschieden der Bilder errechnet das Programm die Veränderungen im Bodenrelief. Benötigen die Radarwellen vom Satelliten zur Erde und zurück weniger Zeit als zuvor, hat sich der Boden gehoben. Auf den Computerkarten entsteht dann ein regenbogenfarbenes Muster sich überlagernder Radarwellen.

Die Methode funktioniert allerdings nicht in Waldlandschaften, wo der Bewuchs die Ergebnisse verfälscht. In der kargen Wüste des Andenhochlandes jedoch gedeiht kaum ein Grashalm. Bodenbewegungen zeichnen sich deshalb millimetergenau auf den Satellitenkarten ab.

Bei der Analyse ihrer Aufzeichnungen aus den mittleren Anden erlebten Wissenschaftler um Jean-Luc Froger vom Institut de Recherche pour le Développement in Clerment-Ferrand in Frankreich nun eine unangenehme Überraschung. Die beiden Vulkane Lastarria und Cordon del Azufre haben sich seit 2003 auf einer Fläche von der doppelten Größe Berlins um etwa einen Zentimeter pro Jahr aufgebläht, schreiben die Forscher im Fachblatt Earth and Planetary Science Letters (Bd. 255, S. 148, 2007). Die Schwellung halte vermutlich sogar schon seit 1992 an, sagen Wissenschaftler um Matthew Pritchard vom California Institute of Technology in Pasadena, USA.

Von wegen erloschen

Eine dermaßen weiträumige Hebung sei nur damit zu erklären, dass Magma aufsteige, schreibt Froger. Es bewege sich in etwa sieben bis 15 Kilometer Tiefe. Die Entdeckung bestätige, dass Radarmessungen insbesondere in unzugänglichen Gegenden wie dem Hochgebirge der Anden zur Vulkanüberwachung eingesetzt werden sollten, erklärt Froger.

Radar bietet manchen Vorteil gegenüber anderen Vermessungstechnologien. Zum einen benötigt ein Radarsatellit im Gegensatz zu GPS-Satelliten keine installierten Sender im Messgebiet. Außerdem können Radarwellen selbst durch Rauch und Wolken den Boden sondieren.

Seitdem die neue Technik in der Vulkanüberwachung eingesetzt wird, wurden mehrere Gefahrenzonen aufgespürt. Bereits 2002 erspähten Forscher aus den USA in den Zentralanden vier aktive Feuerberge, die bis dahin als erloschen galten. Und kürzlich berichtete Dominique Remy vom Institut de Recherche pour le Développement in Toulouse, dass sich der Vulkan in der Aira-Caldera in Südjapan bedrohlich gehoben hat und nun der Stadt Kokubu womöglich eine Eruption bevorsteht ( eEarth, Bd.2, S.17, 2007).

Die Bewegungen des sizilianischen Vulkans Ätna gibt es mittlerweile sogar als Film. Der Ätna spuckt alle paar Jahre Lava und Asche. Vor den Ausbrüchen schwillt der Vulkan um mehr als zehn Zentimeter, danach schrumpft er - es scheint, als atme der Berg. Mit mehr als 100 Radarbildern aus neun Jahren haben Forscher des Jet Propulsion Laboratory in Pasadena unlängst einen Film daraus gemacht. Die Bilder demonstrieren, dass die Schwellungen des Vulkans von Überdruck im Innern erzeugt werden, der sich regelmäßig bei Eruptionen entlädt. Allerdings folgen nicht alle Feuerberge diesem Prinzip, das erschwert die Vorwarnung. Der Vulkan Lascar in den Anden etwa ist in den vergangenen Jahren mehrfach ausgebrochen, ohne dass Satelliten Bodenbewegungen registriert hätten.

In Neapel aber steigt das Risiko eines Vulkanausbruchs. Dort droht der Vesuv in den nächsten Jahren auszubrechen; drei Millionen Menschen in der Umgebung sind gefährdet. Seit fünf Jahren wird der Berg mit Radarsatelliten überwacht. Alle 35 Tage wird ein Radarbild ins Überwachungszentrum übertragen.

Doch selbst die Kontrolle der Bodenbewegungen garantiert keine rechtzeitige Warnung. Das zeigte sich 1980. Der Mount St. Helens im US-Staat Washington hatte sich um mehrere Meter aufgebläht, was seinerzeit auch ohne Satelliten deutlich erkennbar war. Dennoch verzeichnete der Überwachungsdienst am Vormittag des 18. Mai keine Anzeichen dafür, dass ein Ausbruch unmittelbar bevorstehen könnte. Zwei Stunden später explodierte der Vulkan bei einer der größten Eruptionen des vergangenen Jahrhunderts.

© SZ vom 16.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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