Trinkwasser-Kegel:Zu schön für diese Welt

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Ein simpler Kegel könnte entlegene Regionen mit Trinkwasser versorgen, doch Hilfsorganisationen winken ab und setzen lieber auf zentrale Aufbereitungsanlagen - die für die Menschen jedoch oft schwer zu erreichen sind.

Von Philip Wolff

Es gibt Ideen, die sind zu schlau für die Wirklichkeit. Das ärgert vor allem Forscher und Erfinder.

Mit einem Kegel aus Hightech-Kunststoff lassen sich pro Tag 1,5 Liter sauberes Wasser aus Schmutzpfützen oder Brackwasserlachen gewinnen. Das Wasser kondensiert auf der Innenseite des Kegels und sammelt sich in einer Auffangrinne. (Foto: Foto: Augustin.biz)

Richtig schmerzlich aber wird geniales Scheitern, wenn so eine schlaue Idee tödliche Probleme lösen könnte: nach einer Tsunami-Katastrophe etwa, wenn Hilfsorganisationen Brunnen bohren und Aufbereitungs-Anlagen errichten, die Wege zu solchen Wasserstellen für viele Betroffene aber zu weit sind.

Fast elf Millionen Menschen sterben nach Angaben der Vereinten Nationen infolge von Katastrophen jedes Jahr, weil sie keinen Zugang zu sauberem Wasser haben.

Auszeichnungen für den Erfinder

Derweil steht ein kleiner, schlau erdachter Kegel aus dem Kunststoff Makrolon, mit dem jeder Betroffene auf einfache Weise sein eigenes Trinkwasser vor der Haustür herstellen könnte, seit Jahren nutzlos in Regalen und Vitrinen herum.

Acht Auszeichnungen hat sein Erfinder in Deutschland und anderen Industrienationen bislang erhalten, weil viele die Idee so gut fanden. Wo Menschen das Gerät dringend benötigen, ist es aber bis heute nicht angekommen.

Der Erfinder heißt Stephan Augustin, arbeitet als Industriedesigner für BMW in München und hatte die Kegel-Idee 1999 nach mehreren Reisen in dürregeplagte Länder: Wenn man dort auf Salz- oder Brackwasserlachen oder auf beliebige Straßenpfützen transparente Kunststoffhütchen setzt, 80 Zentimeter im Boden-Durchmesser, dann bringt die bei Sonnenschein darunter gestaute Wärme das Wasser zum Verdunsten. Es kondensiert an der Innenseite des Kegels und fließt - gereinigt von Salz und eventuellen Schwermetallen - an der Kegel-Innenwand herab in eine Auffangrinne.

1,5 Liter sauberes Trinkwasser pro Tag kann sich auf diese Weise selbst der technisch völlig unversierte Landbewohner selbst herstellen. Der Tüv Rheinland bestätigte das. Und Firmen wie Bayer sowie die Hans-Sauer-Stiftung als Darlehensgeber waren so überzeugt, dass Augustins Lizenznehmer nach einer 200.000 Euro teuren Entwicklungsphase die Kegel seit 2002 weltweit anbieten kann. Allerdings bislang vergeblich.

Finanzieller Aufwand zu groß

Die Ausnahme bilden lediglich zehn Familien in den Fischerdörfchen Al Mutala'a und Sheikh Salem im Jemen, die sich seit einem Jahr die Wege zu ihren 26 und zwölf Kilometer entfernten Brunnen sparen können.

Begeistert äußern sie sich über die Qualität ihres neuen "Kegelwassers", welches auch die Qualitätsanforderungen der Weltgesundheitsorganisation WHO erfüllt. Das berichtete die Hilfsorganisation Care, die die Kegel im Jemen dem Praxistest unterzogen hat.

Doch ein massenhafter Einsatz auch in anderen Ländern kommt für Care nicht in Betracht. Der Grund: Der finanzielle Aufwand sei zu groß, wenn man zehntausende Betroffene mit eigenen Kegeln ausstatten wolle, sagt Care-Sprecher Christian Worms. Ein Kegel kostet etwa 90 Euro, und jeder Betroffene benötige mehrere davon.

Bewohner eines Dorfes im Jemen können sich dank des einfachen Geräts den kilometerweiten Weg zum nächsten Brunnen sparen. (Foto: Foto: Augustin.biz)

Große Aufbereitungs- und Entsalzungsanlagen rechneten sich dagegen mit ihren maximal 30.000 Euro Anschaffungskosten und 500 Euro pro Betriebstag eher. 108.000 Liter entgiftetes oder 10.000 Liter entsalztes Wasser lassen sich so täglich herstellen - allerdings an zentralen Orten, was das Problem der weiten Wege für die Betroffenen nicht löst.

Vergebliche Verhandlungen

Dennoch kann sich Stephan Augustin bislang nur über theoretische Anerkennung freuen. Bereits 2003 war er beim Weltwasserforum der UN in Kyoto mit seinem Kegel ins Finale der preiswürdigen Erfinder eingezogen. Sechs weitere Auszeichnungen folgten. Und Ende 2004 erkannte Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement dem Erfinder, "beeindruckt auch von der Einfachheit und Wirksamkeit" des Kegels, den Designpreis der Bundesrepublik Deutschland zu. "Genutzt aber hat das alles nichts", sagt Augustin.

Mittlerweile habe er nicht nur mit Care, "sondern mit allen Hilfsorganisationen vergeblich verhandelt: mit dem Technischen Hilfswerk, der GTZ (Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit), mit dem Roten Kreuz, Brot für die Welt und der Welthungerhilfe", sagt Augustin.

Zwar reagiere niemand ablehnend. Den Kegel gekauft hat aber auch niemand - obwohl der Bedarf durchaus erkannt wird: Nach der Tsunami-Katastrophe in Asien zum Beispiel hätten mehrere Organisationen angefragt, "ob wir nicht Kegel spenden könnten", sagt Augustin. Doch wer auf 200.000 Euro Entwicklungskosten sitze, könne sein Produkt schwerlich verschenken.

Unicef will Billig-Kegel

Augustin versuchte dennoch zu helfen: Ermutigt vom Preis der Bundesregierung fragte er beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung nach, ob Deutschland nicht Kegel kaufen und verteilen lassen wolle.

"Doch das Ministerium hat mich an die GTZ verwiesen", sagt der Erfinder. Und die GTZ habe ihn wieder zurückverwiesen mit dem Hinweis: "Wir kaufen nur im Auftrag des Ministeriums." So ging es hin und her, und Augustin wandte sich schließlich an Unicef. "Dort wollte man tatsächlich einige zehntausend Stück haben - aber leider zum Preis von jeweils zehn bis 15 Dollar."

Kegel aus Makrolon aber, einem extrem widerstandsfähigen Hightech-Kunststoff, der UV-Licht und Salzwasser, Tritten und Steinschlägen standhält, sind deutlich teurer. "Da fiel der Unicef ein, man könne die Kegel auch aus Polyethylen jeweils vor Ort herstellen lassen", berichtet Augustin.

Nach den Praxis-Tests des Tüv weiß der Erfinder aber: "Solche Polyethylen-Kegel würden unter Extrembedingungen allenfalls ein paar Wochen halten." Der Makrolon-Kegel hingegen überstehe bei Wind und Wetter, brennender Sonne und aggressivem Salz mindestens fünf Jahre. Außerdem sei nur das ebenso teure Polycarbonat Lexan reißfest genug, um sich in exakt jene Kegelform bringen zu lassen, die während der Herstellung im Vakuum-Verformungsprozess das Material extrem beansprucht.

Ausstellungsstück im MoMA

Andere Formen indes kommen nicht in Frage: Genau berechnet müssen Größe und Winkel der Kegelwände sein, damit das saubere Kondenswasser tatsächlich in die Auffangrinne läuft und nicht ins Schmutzwasser zurücktropft. Eine schlicht erscheinende, doch ausgeklügelte Zweck-Symbiose aus Material und Form, die Augustin unter Patentschutz stellen ließ.

Und eine Technik, die einigen potenziellen Abnehmern zu einfach funktioniert: Als der frühere Lizenznehmer Zeltec den Kegel vor einem Jahr Geschäftsleuten aus Saudi-Arabien präsentierte, "da waren die Scheichs entsetzt und entrüstet. Sie wollten Hightech kaufen und machten auf dem Absatz kehrt", berichtet Augustin.

Erkannt hat den Form-Funktions-Coup allein die Fachwelt der Designer. Weil der Kegel eine so formschöne und intelligente Erfindung für die Entwicklungshilfe ist, stellt ihn im Sommer das Centre Pompidou in Paris aus. Und von Oktober an wird er im Museum of Modern Art in New York zu sehen sein.

© SZ vom 4.3.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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