Tiersterben:Das rosa Sterben

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Mehr als 30.000 Zwergflamingos sind in Kenia verendet. Gleichzeitig tauchten Tausende der exotischen Vögel auf dem kleinen Oloidensee auf, wo sie sich sonst nie niederlassen. Niemand weiß, warum.

Robert Koenig

Mehr als 30.000 Zwergflamingos sind in den vergangenen Monaten auf dem Nakurusee in Kenia verendet. Gleichzeitig tauchten Tausende der exotischen Vögel auf dem kleinen Oloidensee auf, wo sie sich sonst nie niederlassen. Wissenschaftler versuchen jetzt herauszufinden, woran die Zwergflamingos ( Phoeniconaias minor) sterben und warum sie ihren Futterplatz wechseln.

Gleichzeitig warnen Umweltschützer, dass die Tiere auch an einem anderen Sammelplatz gefährdet sind: dem Lake Natron in Tansania. Der abgelegene Sodasee ist eine perfekte Brutstätte für Flamingos. Doch nun soll dort eine Sodafabrik gebaut werden.

Diese Woche wollen sich Flamingoexperten aus der ganzen Welt in der kenianischen Hauptstadt Nairobi treffen und eine Strategie zum Schutz der Tiere ausarbeiten. Massensterben von Flamingos kommen öfter vor und sind nicht unbedingt ein Grund zur Beunruhigung. "Die Häufung solcher Ereignisse auch auf unberührten Seen ist jedoch besorgniserregend", sagt der Ornithologe Brooks Childress, der das Treffen der Flamingoexperten leiten wird. "Wir müssen herausfinden, was der Grund dafür ist."

Nervengifte als mögliche Todesursache

Der deutsche Algenforscher Lothar Krienitz vom Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie sammelt seit 2001 Wasserproben aus den kenianischen Sodaseen. Er sucht nach Veränderungen im Salzgehalt, nach Cyanobakterien, nach Giften und anderen Faktoren, die das Flamingosterben erklären könnten.

In seinem Institut werden Gewebeproben verendeter Vögel analysiert, um herauszufinden, woran sie gestorben sind. "Es gibt starke Hinweise darauf, dass Gifte von Cyanobakterien eine Rolle spielen", sagt Krienitz. Der Wissenschaftler weist aber darauf hin, dass die giftigen Substanzen, zu denen das Nervengift Anatoxin-A und verschiedene Leber-Gifte gehören, möglicherweise nur eine von vielen Ursachen sind.

Er vermutet wie andere Forscher auch, dass sich senkende Wasserstände der Seen und ein veränderter Salzgehalt auf die Zusammensetzung der Cyanobakterien-Flora ausgewirkt haben. Dass manche Cyanobakterien Gifte bilden, an denen die rosa Vögel zugrunde gehen, ist bekannt.

Wissenschaftler der Universität Daressalam in Tansania sind überzeugt, dass solche Toxine vor zwei Jahren ein Flamingosterben auf dem Manyarasee verursacht haben. Das nationale veterinärmedizinische Labor in Kenia ist dagegen zu dem Schluss gekommen, dass der Krankheitserreger Pseudomonas aeruginosa der Grund für das derzeitige Vogelsterben am Nakurusee ist.

Zwergflamingos, die kleinste und häufigste der sechs Flamingoarten weltweit, sind bekannt dafür, wählerisch bei der Auswahl ihrer Futterstellen zu sein. Sie fliegen von einem Sodasee im östlichen Ostafrikanischen Grabenbruch, dem Rift Valley, zum anderen. Immer auf der Suche nach ihrer Lieblingsspeise: einem Cyanobakterium namens Arthrospira fusiformis.

Der Ökologe David Harper von der Universität Leicester vermutet, dass Umweltveränderungen in den Sodaseen sowohl für das Auftauchen der Cyanobakterien-Toxine verantwortlich sind als auch für eine stärkere Anfälligkeit der Flamingos für Krankheiten. Denn aus mehreren Seen wurden große Wassermengen abgeleitet.

Außerdem haben Giftstoffe und ein Heer fremder Pflanzen und Tiere die Ökosysteme verändert. Andere Wissenschaftler machen Vogel-Tuberkulose, Cholera, Botulismus, Schwermetalle, Pestizide oder eine Kombination aus alledem für das derzeitige Flamingosterben verantwortlich.

Nur alle fünf Jahre Nachwuchs

Der geschützt gelegene stark alkalische Lake Natron, der eine Temperatur von bis zu 41 Grad Celsius erreicht, ist der einzige Ort in Ostafrika, an dem Zwergflamingos regelmäßig brüten.

Die Abgeschiedenheit und die Tatsache, dass sich nur wenige Raubtiere in das heiße, ätzende Wasser wagen, sind wohl die Hauptgründe dafür, dass riesige Flamingoschwärme dort auf Inseln aus getrocknetem Schlamm brüten. Die Vögel bekommen selten Nachwuchs - etwa einmal in fünf Jahren. Sobald sie flügge werden, suchen sich die Jungflamingos einen eigenen See.

Umweltschützer befürchten, dass auch dieses Rückzugsgebiet der Flamingos in Gefahr ist. Denn zum einen ist dort eine Sodafabrik geplant, zum anderen sollen mehrere Teerstraßen die Gegend zugänglich für Touristen und Jäger machen.

Die Sodafabrik wäre wahrscheinlich eine moderne Version der Fabrik in der Nähe des Magadisees in Südkenia. 1962 hatten einige Flamingos dort unerklärlicherweise versucht zu brüten. Die Folgen waren katastrophal: Wegen einer Dürre sank der Wasserspiegel des Sees so schnell, dass das Soda an den Beinen der Küken erstarrte. Viele von ihnen starben, einige überlebten durch eine Rettungsaktion von Tierschützern.

Jasson John, ein Umweltschützer aus Tansania, glaubt zwar nicht, dass sich dieses Drama am Lake Natron wiederholen würde. "Doch eine große Sodafabrik könnte den Wasserstand und das gesamte Ökosystem verändern", sagt er. John wird nächste Woche an dem Treffen in Nairobi teilnehmen, bei dem es um den Schutz der Zwergflamingos gehen soll. Doch um eine effektive Strategie zu entwickeln, müssen die Wissenschaftler erst einmal herausfinden, was der Grund für das Massensterben der rosa Vögel ist.

Dieser Text stammt aus der aktuellen Ausgabe von Science, dem internationalen Wissenschaftsmagazin, herausgegeben von der AAAS. Weitere Information: www.sciencemag.org; www.aaas.org

Deutsche Bearbeitung: Tina Baier

© SZ vom 26.09.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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