Technologie:Rund ist relativ

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Die Crew, die den Ball zur Weltmeisterschaft entwickelte, hat mehr als drei Jahre "umfassender" Forschung und Entwicklung" gebraucht, um mit dem WM-Ball 2006 "den besten Fußball aller Zeiten" in die Welt zu setzen.

Florian Davids

Plopp oder kwwwitschsch habe es gemacht, wenn der Ball nach seinem Flug - der wirkte, als habe ein fünfjähriges Kind einen fünf Pfund schweren Medizinball auf den Luftweg gebracht - auf nassem Rasen landete. Meistens sei "die Pille" irgendwohin geplumpst, nur nicht dorthin, wohin sie eigentlich gesollt habe.

So schaut er aus, der WM-Ball, die Propeller sollen Energie und Bewegung verkörpern. (Foto: Foto: adidas)

Wenn der jetzt 71-jährige ehemalige Sportreporter und Nochimmer- Fußball-Fan von den Fußballspielen erzählt, an denen er in der Blüte seiner Jugend aktiv teilgenommen hat, hat der Spaß am Spiel stets auch mit Mühe und Arbeit zu tun. Wenn dann die Rede noch auf "Regen und Wind, Frost und Schnee, mit einem Wort miesestes Wetter" kommt - sogar mit Schmerzen.

"Hast du schon mal im vollen Lauf gegen einen mit Wasser voll gesogenen, angefrorenen rauen Lederball getreten? Mannomann, ich sage dir..." Manches Mal sei er "auf geschwollenen Zehen hinkend" aus dem Wochenende in die Woche urückgekehrt.

Einerlei: Der Ex-Reporter bekommt auch im achten Lebensjahrzehnt glänzende Augen, sobald er 22 Männern dabei zuschaut, wenn sie hinter einem Ball herlaufen oder sich um einen Ball rangeln: "Hätte es zu meiner Zeit schon solche Bälle gegeben wie heute, dann wär' ich vielleicht dabei geblieben!" Von professionellem Fußball wolle er gar nicht reden - kann er auch nicht, weil's den "zu seiner Zeit" in Deutschland noch nicht gab. So sei er als Berichterstatter "dabei geblieben".

Das habe seinen Spaß am Spiel nur geringfügig beeinträchtigt. So sprach auch der Fuchs von den Trauben, die er nicht erreichen konnte. Immerhin: "Die Bälle Ende der 40er, Anfang der 5-er Jahre, die machten wirklich keinen besonderen Spaß." Viel zu schwer seien sie gewesen und in ihrem Verhalten " einfach unberechenbar". Heute hingegen, "ja heute - die wahre Wonne". Kunstwerke. Magische Kugeln. Gehorsame Diener.

Lenkbare Leichtigkeit. Pure Ästhetik. Schwärmt der Haudegen, falls sich ein Gespräch, in dem der Sport eine Rolle spielt, in den Weiten zwischen Abend und Morgen verliert. Klar, der Mann übertreibt. Aber - sein Übertreiben, so scheint es, veranschaulicht die Dinge. Wieso wird der zur "FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Deutschland 2006" vom Sportartikel-Hersteller Adidas aufs Spielfeld geworfene "offizielle Spielball" vorm ersten Anpfiff in Deutschland so bejubelt, wie das früher allenfalls bei einem Sportgerät namens Auto geschah?

Was ist das Besondere an dem Produkt, das dazu beitragen soll, den Pulsschlag von Milliarden (passiven) Fußball-Enthusiasten höher schlagen zu lassen?

Zunächst einmal trägt der Ball den völkerverbindenden Namen "+Teamgeist" und "die Farben des deutschen Fußballs und der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft: Weiß, Schwarz und Gold", lässt der Produzent wissen. Wobei die Adidas-Designer sich zunächst aufs traditionelle Schwarzweiß besonnen und sich dann "vom goldenen FIFA WM-Pokal" zu den feinen "Goldakzenten entlang den abgerundeten Propellern" hätten inspirieren lassen.

Aus dem Labor aufs Spielfeld

Die neue Form verzichte so weit wie möglich auf Ecken, sie zeige "ein homogeneres Zusammenspiel aus Performance und optischem Erscheinungsbild". "Die Propeller verkörpern Bewegung und Energie", finden die Erfinder des Balles. Es sei dem britischen Designer Scott Tomlinson und dem deutschen Fachdesigner Anatol Just zu verdanken, dass der Ball alles habe, was ein modernes Produkt auszeichne. So kann es klingen, wenn das Aussehen eines Fußballs erklärt wird.

Dass dieser Ball auf keinen Fall ein Werkzeug für Berufssportler ist, dessen Entstehen allein handwerklichem Geschick und im Übrigen dem Zufall zu danken wäre, steht fest! Das Team, das ihn entwickelte, habe mehr als drei Jahre "umfassender Forschung und Entwicklung" gebraucht, "um mit dem adidas +Teamgeist™ den besten Fußball aller Zeiten" (formulieren die Marketingleute des Unternehmens) in die Welt setzen zu können.

Die Innovations-Crew habe den neuen Ball strengstens getestet. Am Anfang unter "härtesten Laborbedingungen", danach mit Profifußballern auf dem Spielfeld. Das Team hat den Ball gemeinsam mit der Sports Technology Research Group der University of Loughborough, "einem der weltweit führenden Institute dieser Art", in die wissenschaftliche Mangel genommen.

Dabei sei heraus gekommen, "dass der +Teamgeist™ runder, präziser und beständiger ist" als jeder andere Spielball führender Wettbewerber.

Um sicher zu stellen, dass "die besten Spieler der Welt" mit Bällen von höchster Qualität spielen können, haben die alten Männer der Fédération Internationale de Football Association (FIFA) einen Katalog mit genau beschriebenem Anforderungsprofil basteln lassen. Und dazu festgelegt, ausschließlich Bällen, die rigorose Tests bestünden, dürfe das Gütesiegel "FIFA Approved" aufgepappt werden.

Die Oberfläche des WM-Balls besteht aus verschiedenen Schichten des Rohstoffs Polyurethan. Impranil® von Bayer. Das ergibt seine guten Eigenschaften: vom präzisen Schussverhalten bis zur äußerst geringen Wasseraufnahme. (Foto: Foto: adidas)

Die vom Adidas-Fußballlabor im fränkischen Scheinfeld und dem Testzentrum der University of Loughborough gemachten Tests belegten, so das Unternehmen, "dass der adidas +Teamgeist™ die Normen für das Qualitätssiegel "FIFA Approved" nicht nur erfüllt, sondern sie praktisch in jedem Aspekt sogar übertrifft".

Mag sein, dass es dem Sportartikel-Giganten darum geht, zu beweisen, dass er alles tut, um Produkte erster Güte auf den Markt zu bringen. Auf jeden Fall lässt er sich in die Karten gucken, wenn er öffentlich macht, wie der "offizielle Spielball" für die so genannte FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Deutschland 2006 entstanden ist.

Fußballfreunde erfahren, dass bei Adidas in einem Fußballlabor ein "Hightech-Roboterbein für eine Vielzahl von Balltests zum Einsatz" kommt. Dieser Apparat kann einen stets identischen Schuss mit genau gleichem Winkel und genau gleicher Schussgeschwindigkeit und -kraft immer und immer wieder placieren. Bei entsprechenden Tests mit diesem Bein habe sich herausgestellt, dass der "+Teamgeist™" um 30 Prozent präziser gewesen sei als alle anderen getesteten Konkurrenzbälle". Den Beweis für diese Behauptung liefere eine Hochgeschwindigkeitskamera, die den Aufprall aufgezeichnet und analysiert habe.

"Rund ist relativ", plaudert der Adidas-Kooperationspartner Bayer in Leverkusen aus dem Nähkästchen: Den +Teamgeist™ trenne nur ein Prozent von der perfekten Kugel. Das mache ihn besonders treffsicher und zielgenau. Ursache dafür seien die eingesetzten Materialien und die neuartige Konstruktion. Bei der ersetzen zungenförmige und propellerähnliche Elemente die seit Jahrzehnten üblichen Fünf- und Sechsecke. Dadurch konnten die Herzogenauracher Tüftler die Einzelflächen von 32 auf 14 reduzieren.

Durch weniger Schnittkanten und mehr Rundungen ergeben sich weniger Nahtstellen und Ecken in der Außenhaut - die Kicker treffen häufiger als bei der alten Form eine glatte Fläche. Dadurch erhöhe sich die Chance, das "Runde ins Eckige" zu schießen, rührt Leverkusen die Werbetrommel.

Um einen Ball beim Dribbeln oder Führen optimal kontrollieren zu können, ist es wichtig, dass er einen einheitlichen Umfang hat. Deshalb wird jeder einzelne Spielball an zehn verschiedenen Punkten vermessen. Auf diese Weise lässt sich der durchschnittliche Umfang ermitteln. Fürs Gütesiegel "FIFA Approved" waren 68,5 bis 69,5 Zentimeter gefordert. Der Adidas-Ball misst 69,0 Zentimeter. Auch zur Abweichung zwischen dem größten und dem kleinsten Durchmesser eines Balles hat die FIFA ihre Vorstellungen: Sie darf maximal 1,5 Prozent ausmachen.

Das Spielgerät aus Herzogenaurach weicht maximal 1,0 Prozent vom Einheitsmaß ab. Schon durch die Schilderung der Erlebnisse des Alt-Sportlers ist deutlich geworden: Ein rutschiger Ball verhält sich völlig anders als ein trockener. Er fliegt langsamer durch die Luft, prallt weniger stark zurück und lässt sich schlechter anschneiden. Das wissen die Techniker ebenfalls: Die von ihrem Arbeitgeber patentierte "Thermo-Klebetechnik" macht einen Fußball praktisch wasserundurchlässig.

Ein nasser Ball darf heutzutage höchstens 10 Prozent seines Ursprungsgewichtes hinzu gewinnen. So will es die FIFA. Machen wir, sagte sich das Adidas-Entwicklungsteam: Sein Ball nimmt höchstens um 4,5 Prozent zu. Um herauszufinden, was sie tun müssen, um das zu erreichen, haben sie ihn zuvor immer wieder in einen mit Wasser gefüllten Behälter gedrückt, 250-mal darin gedreht und danach gewogen.

Selbst Fußball-Verweigerer wissen: Beim Profifußball werden pro Spiel mehrere Bälle eingesetzt. Die müssen aus gutem Grund alle exakt das Gleiche bringen. Dafür ist es entscheidend, dass das Gewicht einheitlich ist. Ein zu leichter oder zu schwerer Ball könnte sich im Flug unerwartet verhalten. Will ein Hersteller das "FIFA Approved"-Siegel für sein Erzeugnis, dann muss deshalb das Gewicht zwischen 420 und 445 Gramm betragen. Wie viel wiegt der +Teamgeist™? Zwischen 441 und 444 Gramm!

Rund 2.000-mal wird bei einem normal verlaufenden Spiel gegen den Ball getreten. Und der soll dann auch noch in der letzten Minute einer Verlängerung dieselben Eigenschaften aufweisen wie in der ersten Spielminute. Um herauszubekommen, wie beständig Form und Größe eines Balles sind, wird er 2.500-mal mit 50 km/h gegen eine Stahlplatte geballert. Luftdruck und Rundheit des Testobjekts dürfen sich dadurch nur minimal verändern; Luftventil und Nähte dürfen auf keinen Fall beschädigt werden.

Das hat der Ball aus Herzogenaurach 3.500-mal ausgehalten. Gefordert hatte die FIFA 2.000 solcher Durchläufe. Um den Ball gut in Form zu halten, entwickelten die Bayer-Beschichtungsspezialisten einen neuen Aufbau der äußeren Schale.

Zunächst erhöhten sie die Wanddicke des Balls auf 1,1 Millimeter, so dass er runder und glatter wird. Es gelang ihnen vier Werkstoff-Schichten zu schaffen, die aufeinander gelegt "der Pille" den richtigen Kick geben: Entscheidend für die präzise Flugbahn des +Teamgeist™ ist ein Schaum auf der Basis von Polyurethanen.

Er liegt auf einem Haftstrich, der die äußere Hülle und das textile Trägermaterial zusammenhält. In der Schaumschicht befinden sich Millionen mit Gas gefüllter Mikrokügelchen. "Dadurch erhält der Ball nach der Verformung beim Schuss schnell wieder seine Kugelform für eine optimale Flugbahn."

Der "Abriebtest"

Herzogenaurach setzt noch einen drauf: Ihr "Abriebtest" sei entwickelt worden, um der bedruckten Oberfläche des Balls Qualität und Haltbarkeit zu verleihen. Der +Teamgeist™ sei der erste Ball, der mit einer Drucktechnik unter Glas produziert worden ist.. Diese Technik gebe dem Ball "das beste und widerstandsfähigste Oberflächenmaterial aller Zeiten".

Es gewährleiste, dass er widerstandsfähiger sei und länger sein einzigartiges Aussehen behalte als alles, was zuvor über den Rasen getreten worden sei.

Spieler müssen gedanklich vorwegnehmen können, wie ein Ball zurückprallt, um einen Pass mit der Brust, dem Oberschenkel oder dem Fuß kontrollieren zu können. Ob ein Ball das leistet, wird dadurch geprüft, dass er zehn Mal aus einer Höhe von zwei Metern auf eine Stahlplatte fallen gelassen wird. Der Unterschied zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Rückprall darf dabei höchstens zehn Zentimeter betragen. Der "+Teamgeist™" verfehlte dieses Ziel um höchstens zwei Zentimeter.

Verliert der Ball während des Spiels an Druck, lässt sich sein Verhalten schlecht einschätzen. Die Folge kann sein, dass er nicht einheitlich zurückprallt. Lange Pässe und Steilflanken sind dann so gut wie unmöglich. Also muss der Ball zur Prüfung vollständig aufgeblasen und drei Tage später sein Luftdruck gemessen werden.

Maximal 20 Prozent Druck darf er verlieren. Der "offizielle Spielball" der WM 2006 büßte maximal elf Prozent ein. Kaum zu fassen, wie viele Gedanken Menschen sich machen, wie viel Geld investiert wird, um ein Spielzeug sportlich und kommerziell laufen zu lassen.

Die Leute bei Adidas und Bayer waren auf dem Wege, mit Zirkel und Lineal einen gegebenen Kreis in ein flächengleiches Quadrat zu überführen. Sie haben, quasi, die fußballerische Quadratur des Kreises gefunden.

Wie sagte der ehemalige Sportberichterstatter: "Jetzt warte ich auf den Ball, der sich auf welche Weise auch immer selbst ins gegnerische Tor dribbelt."

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