SZ-Forum am 6. Juli 2001:Zustand und prognostizierte weitere Entwicklung der Kryosphäre unseres Planeten

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Peter Lemke

Die Kryosphäre umfasst alle Formen von Schnee und Eis und stellt gemäß ihrer Masse und Wärmekapazität nach dem Ozean die zweitgrößte Komponente des Klimasystems dar. Die wesentlichen Komponenten der Kryosphäre sind Schnee, Meereis, Gletscher, Schelfeis und Inlandeis. Eis bedeckt heute 10% der Landoberfläche (14,8·Millionen km2) und im Jahresmittel etwa 6,5% der Ozeane (23,0 Millionen km2). Das vorwiegend antarktische Schelfeis bedeckt mit 1,4 Millionen km2 eine wesentlich geringere Ozeanfläche als das Meereis. Sein Volumen beträgt mit etwa 0,5 Millionen km3 aber das Zehnfache des Meereises. Alle Gebirgsgletscher machen mit 0,18 Millionen km3 etwa 6% der grönländischen Eiskalotte aus. Schnee bedeckt im Winter - außer dem Meereis - etwa 50% der Landoberfläche in der Nordhemisphäre. Sein Volumen ist dagegen mit 2,5·103 km3 eher gering.

Schnee und Meereishaben kurzfristigen Klima-Einfluss

Die verschiedenen Komponenten der Kryosphäre besitzen recht unterschiedliche charakteristische Zeitskalen. Während Schnee- und Meereisanomalien einige Tage bis Wochen bzw. einige Monate existieren, beträgt die Lebensdauer von Variationen der Gletscher einige Jahrzehnte, des Schelfeises schon einige Jahrhunderte und die des Inlandeises gar einige Zehntausend Jahre. Daraus ist ersichtlich, dass kurzfristige Klimavariationen durch Schnee und Meereis beeinflusst werden, während das Schelfeis bei längerfristigen Schwankungen eine Rolle spielt und Variationen des Inlandeises die Eiszeitperioden bestimmen. Gletscher spielen wegen ihrer geringen Ausdehnung nur eine untergeordnete Rolle. Nur ihr Beitrag zu Meeresspiegelveränderungen ist wichtig.

Wichtig: Das Reflexionsvermögen

Eine herausragende, klimarelevante Eigenschaft von Schnee und Eis ist das hohe Reflektionsvermögen (Albedo). Dadurch beeinflussen sie den Energiehaushalt und damit die Temperaturverteilung auf unserem Planeten in hohem Maße. Bis zu 90% der einfallenden Solarstrahlung werden auf Eis- und Schneeflächen reflektiert. Obwohl ein geringer Teil dieser reflektierten Strahlungsenergie zur Erwärmung der Atmosphäre dient, so gelangt der überwiegende Teil doch in den Weltraum und ist für die Erwärmung der Atmosphäre verloren. Über dem offenen Ozean wird dagegen etwa 90% der Strahlung absorbiert und für die Erwärmung des Klimasystems genutzt. Schnee- und Eisflächen bilden daher eine Energiesenke, über der kalte Luft produziert wird.

Rückkopplungsprozesse

Durch diese Eigenschaft ist die Kryosphäre an einem wesentlichen Rückkopplungsprozess, dem positiven - d.h. instabilen, sich selbst verstärkenden - Temperatur-Eis-Albedo-Feedback, beteiligt. Eine anfängliche Abkühlung der Polargebiete führt zu einer Ausdehnung der Schnee- und Eisflächen und über die erhöhte Albedo zu einer weiteren Abkühlung der Erde. Das Klimasystem wird von einer ganzen Reihe positiver und negativer - d.h. stabilisierender - Rückkopplungsprozesse gesteuert.

Von allen Komponenten der Kryosphäre besitzt Schnee die größte Flächenausdehnung und die geringste Masse. Im Winter bedeckt der Schnee nicht nur alle kontinentalen Eismassen und dazu das Meereis, sondern auch einen beträchtlichen Teil der Landoberfläche. Schnee hat die höchste Albedo (bis zu 0.9 für trockenen Schnee). Dieses hohe Rückstrahlvermögen für Sonnenlicht stellt die wichtigste klimarelevante Eigenschaft des Schnees dar. Hinzu kommt, dass Schnee durch seine geringe Leitfähigkeit den Wärmefluss aus dem Erdboden oder vom Ozean durch das Meereis deutlich reduziert.

Eis auf dem Meer

Das Meereis nimmt unter allen Komponenten der Kryosphäre eine besondere Stellung ein, da es nicht wie alle anderen Formen aus Süßwasser entstanden ist, sondern durch das Gefrieren von Meerwasser gebildet wird. Meereis bedeckt im März 5% und im September 8% der Ozeanoberfläche. Im Arktischen Ozean ist es in Mittel 3m und im Südlichen Ozean 1m dick.

Meereisbildung beeinflusst Meeresströmungen

Der Salzgehalt des Meerwassers beträgt im Mittel 34 Promille, der des Meereises dagegen nur etwa 5 Promille. Eine beträchtliche Menge Salz wird daher beim Gefrierprozess in den Ozean abgegeben. Dadurch wird das Oberflächenwasser schwerer und Konvektion setzt ein und erreicht tiefere Ozeanschichten. Auf diese Weise wird im Winter in den Polargebieten dichtes Meerwasser erzeugt, das in tiefe Ozeanschichten sinkt und dadurch die globale ozeanische Zirkulation antreibt.

Schelfeis ist charakteristisch für die antarktische Eiskalotte. Es schwimmt auf dem Meer, ist an seiner Kante etwa 200m und an der Stelle, an der es auf Grund liegt und in das Inlandeis übergeht, bis zu 1000m dick. Das Schelfeis wird hauptsachlich gespeist vom Inlandeis und ein wenig durch Schneeakkumulation, und es verliert Masse durch Kalben von Tafeleisbergen und durch Schmelzen an der Schelfeis-Ozean Grenzfläche. In diesem Sinne bildet das Schelfeis die Ausflussregion des Inlandeises.

Wegen der geringen Fläche der Schelfeisgebiete sind die Auswirkungen auf die Atmosphäre regional begrenzt und vorwiegend von der hohen Albedo bestimmt. Für den Ozean spielt das Schelfeis schon eine wichtigere Rolle, da an seiner Kante und Unterseite, vorwiegend im Weddellmeer, aber auch im Rossmeer, das Antarktische Bodenwasser gebildet wird, das die Tiefenzirkulation der Ozeane antreibt und sich in allen Tiefseebecken wiederfindet.

Gletscher und Inlandeis entstehen durch Akkumulation und Verdichtung von Schnee. Es gibt heute zwei große Inlandeismassen: das grönländische Eisschild mit über 3000m und das antarktische mit über 4000m Höhe. Das antarktische Eisschild besitzt ein Volumen, das einer Meeresspiegelerhöhung um 61m entspricht. Ein Schmelzen der grönländischen Eiskalotte würde den Meeresspiegel dagegen nur um 7m anheben. Alle Gletscher zusammen machen etwa 0,5m aus.

Grönland und die Antarktis

Das grönländische und das antarktische Landeis unterscheiden sich in ihrer Massenbilanz deutlich. Die Massenbilanz des antarktischen Inlandeises ist überall positiv, d.h. ein Abschmelzen der Eiskalotte selbst wird nicht beobachtet. Das antarktische Eisschild verliert Masse durch Eis-Abfluss in die Schelfeisgebiete, deren größte das Ronne-Filchner- und das Ross-Schelfeis sind. Am Schelfeisrand geht das Eis dann verloren durch Schmelzvorgange und durch Abbruch riesiger Tafeleisberge. Beim grönländischen Eisschild gibt es dagegen größere Schmelzzonen, vorwiegend im Süden, und man beobachtet - wie bei einem Gebirgsgletscher - eine Gleichgewichtslinie mit positiver Massenbilanz darüber und negativer darunter. Zusätzlich verliert die grönländische Eiskalotte noch Masse durch das Kalben der Gletscher. Grönland hat keine größeren Schelfeisgebiete.

Die Größe der Eis- und Schneegebiete und ihr Volumen zeigen in der Erdgeschichte große Schwankungen, die die Klimageschichte unseres Planeten widerspiegeln. Die einschneidendsten Ereignisse waren sicherlich die Eiszeiten, aber auch auf Zeitskalen von Jahrhunderten (Kleine Eiszeit) und Jahrzehnten wurden deutliche Veränderungen beobachtet. Globale Beobachtungen gibt es erst seit etwa 30 Jahren, seitdem Satelliten zur Erdbeobachtung zur Verfügung stehen.

Schneebedeckes Land seit 1960 um 10 % kleiner

Satellitendaten zeigen, dass die schneebedeckte Landoberfläche seit Ende der 60er Jahre um etwa 10% zurückgegangen ist. Dies ist in erster Linie eine Folge der erhöhten Temperaturen auf den Kontinenten.

Aus dem gleichen Grund sind fast alle Gletscher in ihrer Ausdehnung deutlich zurückgegangen. Nur einige wenige Gletscher in maritimen Gegenden (z.B. in Norwegen) sind durch stark erhöhte Niederschläge im Winter gewachsen.

Beobachtungen aus den letzten 100 Jahren zeigen ferner, dass die saisonale Dauer der Eisbedeckung von Seen und Flüssen in mittleren und hohen Breiten der nördlichen Hemisphäre um etwa 2 Wochen zurückgegangen ist.

Die Meereisfläche in der Arktis hat im Frühjahr und Sommer seit 1950 etwa 10-15% abgenommen. Die Wintereisausdehnung zeigt dagegen keinen Trend. In der Antarktis hat das Meereis nach einem deutlichen Rückgang Mitte der 70er Jahre in seiner Ausdehnung wieder zugenommen, so dass für die vergangenen 30 Jahre kein Trend sichtbar ist.

Die Dicke des Meereises

Bezüglich der Dicke des Meereises in der Arktis deuten Sommer-Daten aus den 60er Jahren im Vergleich zur Mitte der 90er auf eine 40%ige Reduktion hin. Dieses Ergebnis ist allerdings mit großer Vorsicht zu betrachten, da nur wenige Bereiche der Arktis untersucht wurden. In der Tat zeigen Simulationen mit einem durch Beobachtungen optimierten und mit Daten der Wetterdienste aus dem letzten 50 Jahren angetriebenen Meereismodell nur einen kleinen negativen Trend, aber starke dekadische Schwankungen, mit einem Maximum in den 60er und einem Minimum in dem 90er Jahren.

Über die Veränderung der großen Eisschilde gibt es nur ungenügend Daten, um diese trägen Komponenten des Klimasystems zu beschreiben. Aber es ist anzunehmen, dass das große Eisschild der Antarktis sich seit der letzten Eiszeit noch immer leicht zurückzieht. Berechnungen deuten auf einen natürlichen Massenverlust hin, der für die nächsten 100 Jahre einer Meeresspiegelerhöhung um 4cm entspricht. Das grönländische Eisschild befindet sich dagegen etwa im Gleichgewicht.

Der Meeresspiegel

Der Meeresspiegel ist seit der letzten Eiszeit vor etwa 20.000 Jahren um rund 120m gestiegen, dabei fand der stärkste Anstieg mit 10mm/Jahr (1m pro Jahrhundert) von 15.000 bis 6.000 Jahre vor heute statt. In den letzten 6.000 Jahren stieg der Meeresspiegel um 5cm/Jhdt. und in den letzten 3.000 Jahren nur um 1-2cm/Jhdt. Kurzzeitige Schwankungen des Meeresspiegels auf Zeitskalen von einigen 100Jahren machten in den letzten 6.000 Jahren vermutlich weniger als 30-50cm aus. Im 20. Jahrhundert stieg der Meeresspiegel um etwa 10-20cm, also deutlich stärker als in den vergangenen 6.000 Jahren. Zum Meeresspiegelanstieg tragen verschiedene Effekte bei: hauptsächlich die thermische Ausdehnung des Meerswassers durch Erwärmung seit dem Ende der letzten Eiszeit und das Abschmelzen der Gletscher und Eiskappen. Beide Effekte werden für das 20. Jahrhundert aufgrund von Modellsimulationen als gleich groß eingeschätzt.

Projektionen der Klimaentwicklung für verschiedene Szenarien der Entwicklung der Weltwirtschaft (d.h. im wesentlichen der Energieproduktion) für die kommenden 100 Jahre deuten auf eine globale Temperaturerhöhung von 1,4 bis 5,8°C hin, wobei die größten Werte im Winter auf den Kontinenten und in den Polarregionen auftreten.

Für Deutschland werden 3-4°C berechnet und für den Bereich der Arktis 8-10°C. Die Folge ist ein weiterer deutlicher Rückgang der Gletscher und der winterlichen Schneedecke und ein starker Rückzug der Packeisgrenzen. Wegen der Temperaturerhöhung werden die Schmelzregionen des grönländischen Eisschildes zunehmen und das Eisschild dadurch schrumpfen. In der Antarktis werden die höheren Temperaturen zur höheren Niederschlägen führen. Da die Temperaturen aber immer noch deutlich unter dem Gefrierpunkt liegen, wird das antarktische Eisschild wachsen und damit den Meeresspiegelanstieg verlangsamen.

Projektionen mit verschiedenen Klimamodellen liefern aufgrund unterschiedlicher Parametrisierungen für ein und dasselbe Szenario unterschiedliche Werte. Für alle 35 IPCC-Szenarien und alle verwendeten Modelle beträgt die Bandbreite der Vorhersagen für den Meeresspiegelanstieg 9 bis 88cm. Der Mittelwert aller Modelle ergibt für alle Szenarien 30 bis 50cm. Davon entfällt die Hälfte auf die thermische Ausdehnung des Meerwassers. Damit wäre der Anstieg des Meeresspiegels im 21. Jahrhundert etwa vergleichbar mit dem stärksten Anstieg beim Rückzug der Eiszeitschilde vor etwa 10.000 Jahren.

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