Synästhetische Wahrnehmung:Die Super-Sensiblen

Lesezeit: 1 min

Synästhetiker spüren, wenn andere Menschen berührt werden. Der Grund dafür könnte eine Überaktivität der sogenannten Spiegelneurone in ihrem Gehirn sein.

Martin Kotynek

"Ich konnte nie verstehen, wie sich Menschen an blutrünstigen Filmen erfreuen können", sagt Jane. Kein Wunder, denn die Studentin sieht nicht nur, was andere Menschen tun, sondern sie erfährt es auch am eigenen Leib.

Werden andere berührt, fühlt es sich für Jane so an, als würde sie selbst angefasst werden. Der Grund dafür könnte eine Überaktivität der Spiegelneurone in ihrem Gehirn sein, berichtet der Neuropsychologe Jamie Ward vom University College London, der Jane untersucht hat ( Nature Neuroscience, online).

Normalerweise werden sensorische Spiegelneurone aktiv, wenn Menschen andere Personen dabei beobachten, wie diese berührt werden. Die Nervenzellen simulieren diese Beobachtung, sodass man diese Erfahrung selber nachvollziehen kann.

So könne das Gehirn das Verhalten anderer Menschen interpretieren, argumentieren Hirnforscher. Bei Jane verwechselt das Gehirn diese Spiegel-Signale jedoch mit Reizen tatsächlicher Berührungen.

Jane ist kein Einzelfall, sagt Jamie Ward: "Es dürfte viele solcher Menschen geben, die sich darüber aber gar nicht bewusst sind. Sie glauben, das ist normal." Als Ward dieses Phänomen vor zwei Jahren entdeckt hatte, nannte er es Berührungs-Synästhesie. So genannte Synästhetiker vermischen die Sinne, sie hören Farben, sehen Musik oder schmecken Ziffern.

Besseres Bauchgefühl

Gemeinsam mit seinem Kollegen Michael Banissy hat der Forscher nun zehn Berührungs-Synästhetiker untersucht. Die Versuchspersonen beobachteten, wie eine andere Person im Gesicht oder an der Hand berührt wird. Gleichzeitig wurden sie selbst angefasst.

Wurden beide an derselben Stelle berührt, fiel es den Betroffenen leichter, die Position der tatsächlichen Berührung anzugeben. Wurde der Beobachtete an einem anderen Körperteil angefasst, beeinträchtigte dies die Wahrnehmung der Synästhetiker. Die beobachtete Berührung löste ein so starkes Gefühl aus, dass die Probanden sie oft nicht mehr von der echten Berührung unterscheiden konnten.

Auch das Einfühlungsvermögen der Synästhetiker ist stärker ausgeprägt als bei nicht Betroffenen, ergab eine zweite Untersuchung. "Berührungs-Synästhetiker haben ein besseres Bauchgefühl für die Empfindungen anderer", sagt Ward. Der Grund sei die Überaktivität ihrer Spiegelneurone.

Das würde auch erklären, wie Empathie bei nicht Betroffenen gesteuert werde, so Ward: "Wir alle besitzen diesen Spiegel-Mechanismus. Berührungs-Synästhetiker sind mit anderen Menschen jedoch emotional enger verbunden, weil dieser Mechanismus bei ihnen stärker ausgeprägt ist."

Hinderk Emrich, der an der Medizinischen Hochschule Hannover Synästhesie erforscht, stimmt dem grundsätzlich zu: "Bei Autisten ist genau dieses System gestört. Sie können die Emotionen anderer Menschen daher nur schwer nachvollziehen."

© SZ vom 20.06.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: