Studie zu Leihmutterschaften:Abgenabelt - und weg

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Leihmütter tragen das Kind fremder Eltern aus und geben es nach der Geburt zügig ab. Doch die Trennung hat für den Nachwuchs langfristige Folgen, sagen britische Forscher.

Christian Heinrich

Jennifer Cantor und die Zwillinge Ethan und Jonathan haben viel Zeit miteinander verbracht. Überall hin hat Jennifer die beiden mitgenommen, ins Schwimmbad, zum Einkaufen, zu Freunden. Neun Monate waren sie zusammen, ununterbrochen. Im Ultraschall konnte sie Ethan und Jonathan sehen.

Nach der Geburt wird das Neugeborene schnell zu seiner zukünftigen Mutter gebracht. (Foto: Foto: digitalstock)

Am 20. März dieses Jahres brachte Jennifer die zwei zur Welt - und ihre Wege trennten sich. Um Ethan und Jonathan kümmerten sich von da an Kerry und Lisa Smith, die genetischen Eltern der Zwillinge, die ihre Kinder voll Freude in Empfang nahmen. Jennifer hatte ihre Aufgabe erfüllt.

Leihmutterschaft war für die Smiths die einzige Möglichkeit, ein Kind zu bekommen - Lisa Smith kann nicht mehr schwanger werden, seit ihr die Gebärmutter entnommen wurde. Zu den Zwillingen hat Jennifer Cantor keine genetische Verbindung.

Man pflanzte ihr eine befruchtete Eizelle ein, die in ihrem Bauch im Auftrag von Lisa und Kerry heranwuchs. Neun Monate später erhielten die biologischen Eltern von der Leihmutter ihr "bestelltes" Kind. Eine Praxis, die in den meisten Ländern verboten ist. Auch in Deutschland ist Leihmutterschaft unzulässig. Bei Verstoß drohen bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe.

In anderen Ländern, etwa Großbritannien, den Niederlanden und den USA, ist Leihmutterschaft erlaubt. Mehr als 1000 Leihgeburten gab es 2007 in den Vereinigten Staaten. Zwischen 20.000 und 25.000 Dollar "Bruthonorar" erhalten Leihmütter wie Jennifer Cantor in den USA.

Nach der Geburt wird das Neugeborene normalerweise zügig von der Leihmutter zu seiner zukünftigen Mutter gebracht. Es kann nur vermutet werden, wie viel die Neugeborenen davon mitbekommen, wie fremd ihnen die neue Mutter erscheint und ob das womöglich langfristige Folgen für das Kind hat. Britische Forscher behaupten, eine Antwort auf diese Frage gefunden zu haben.

Insgesamt 198 Familien, unter ihnen 39 mit Kindern von Leihmüttern, hat Polly Casey vom Centre for Family Research der Universität Cambridge miteinander verglichen. Auf den ersten Blick legt ihr Ergebnis nahe, dass eine Leihmutterschaft keine bleibenden Defizite bei Kindern hinterlässt.

"Es ist wie Organspenden"

"Bei den verschiedenen Familientypen gibt es keinen Unterschied in der Intensität und Qualität der Beziehungen zwischen Müttern und Kindern sowie zwischen Vätern und Kindern", berichtet Casey, die ihre Ergebnisse jüngst auf einem Kongress für Reproduktionsmedizin in Barcelona vorstellte.

Um ein genaues Bild von den Familien zu bekommen, befragten die Forscher Eltern und Kinder zu vielen Themen, vom Eltern-Kind-Verhältnis bis zur emotionalen Stabilität. Sogar die Lehrer der Kinder zogen sie zu Rate. Ob diese Methoden ausreichen, bleibt jedoch umstritten. Nach Meinung vieler Experten werden Kinder durch eine Leihmutterschaft doch geprägt.

"Für das Kind hat sich ein Universum während der Schwangerschaft gebildet, von Herzgeräuschen über die Ernährung bis zur Stimme und Bewegung. Nach der Geburt wird das Kind dem entrissen", sagt Bettina Bonus, Ärztin aus Bonn, die seit 20 Jahren mit Adoptivkindern und Pflegefamilien arbeitet. "Die biologischen Eltern wirken aus Sicht des Kindes zunächst fremd. Das kann zu einer Art Frühtraumatisierung führen - unabhängig davon, wie zärtlich und einfühlsam die ,neuen' Eltern sind."

Dass Kinder schon in der Schwangerschaft maßgeblich von der Mutter geprägt werden, bestätigen Hirnforscher. Dem Neurobiologen Gerard Hüther von der Universität Göttingen zufolge erzeuge nichts so viel unspezifische Erregung im Hirn eines Kleinkindes wie das plötzliche Verschwinden der Mutter.

Der Verlust der engsten Bezugsperson sei die massivste Störung, die das sich entwickelnde Gehirn treffen könne. "Das Kind hat sich etwa an die Duftstoffe der Mutter im Fruchtwasser gewöhnt und mag diese auch nach der Geburt am liebsten. All das, was für das Kind in der Gebärmutter erfahrbar ist, wird in seinem Gehirn verankert", sagt Hüther.

Hinweise dafür, dass eine Trennung von der gebärenden Mutter Folgen für das Kind hat, finden sich auch in der britischen Studie. Nach statistischen Kriterien fallen sie zwar nicht ins Gewicht, aber die Forscher stellten eine Tendenz fest.

"Die Leihmütterkinder-Familien haben im Vergleich zu anderen Familien leicht erhöhte Stresswerte. Außerdem deutet sich bei ihnen ein Trend an zu größeren Problemen beim Verhalten der Kinder, den Emotionen und den Familienverhältnissen", schreiben die Autoren.

Für Leihmütter scheint die Trennung weniger schwierig zu sein. Dies gilt nicht nur bei der partiellen Leihmutterschaft, in dem die Leihmutter keine genetische Verbindung zum Kind hat, sondern auch bei der vollen Leihmutterschaft, die fast genauso häufig vorkommt und sich für schwule Paare anbietet. Die Leihmutter empfängt dann den Samen von einem Spender, die befruchtete Eizelle stammt von ihr selbst.

Einer Studie aus dem Jahr 2003 zufolge scheinen bei der partiellen wie bei der vollen Leihmutterschaft emotionale Aufwühlungen schnell zu verschwinden. Manchen Leihmüttern gebe die Erfahrung sogar Kraft. "Es ist wie Organspenden - nur dass man nicht stirbt, sondern bei den Eltern noch die Freude miterleben kann, wenn sie das Baby erhalten", sagt Jennifer Cantor.

Neue Quelle für Geborgenheit

Die Kinder müssen sich hingegen auf eine neue Quelle für Geborgenheit einstellen. Das ist womöglich auch für die Mutter nicht ganz einfach, denn hormonell gesehen ist die biologische Mutter gar keine Mutter. Das Hormon Oxytocin, das eine emotionale Bindung fördert, wird während der Geburt und durch das Saugen des Babys an der Brust vermehrt produziert - wurde das Kind von einer Leihmutter ausgetragen, fehlt diese Stimulation bei der biologischen Mutter.

Trotzdem gilt es als empfehlenswert, dass Kinder von Leihmüttern früh zu ihrer künftigen Mutter kommen. Bei Adoptivkindern geschieht das zumeist viel später, was oft zu Problemen führt. "Die Kinder lernen meist erst nach Tagen, Wochen oder Jahren ihre Eltern kennen, dann fällt es ihnen natürlich schwerer, sich an sie gewöhnen", sagt Bonus.

Mütter können schnell eine Bindung aufbauen - unabhängig davon, ob sie das Kind zur Welt gebracht haben. Der Kinderarzt Marshall Klaus von der University of California in San Francisco berichtet davon, dass in einem israelischen Krankenhaus Babys nach der Geburt vertauscht wurden. Erst nach mehreren Wochen wurde der Irrtum bemerkt.

Die Mütter hatten jedoch bereits eine so intensive Bindung zu dem Kind entwickelt, dass sie es nur widerwillig hergaben - obwohl sie erfahren hatten, dass es nicht ihr eigenes Kind ist.

© SZ vom 22.07.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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