Studie:Dialekt macht schlau

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Die alte These, dass die Mundart die Sprachfähigkeit der Kinder verbessert, bekommt durch die neue Pisa-Studie Aufwind. Demnach trainieren Dialektsprecher vor allem Auffassungsgabe und abstraktes Denken.

Von Hans Kratzer

In der Sprache der Münchner Jugendlichen kommt er nicht mehr vor, die Radio- und Fernsehsender meiden ihn wie die Pest, in vielen Firmen, Elternhäusern, Schulen und Universitäten gilt er als primitiv und unzeitgemäß.

Schüler mit Dialekt verfügen über eine hohe Auffassungsgabe. (Foto: Foto: dpa)

Doch jetzt hat die aktuelle Pisa-Studie dem Dialekt überraschend zu neuer Aufmerksamkeit verholfen. Dass im Bildungsvergleich ausgerechnet Dialekt-Regionen wie Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Österreich ganz oben stehen, hat eine Reihe von Fragen aufgeworfen. Sogar die mundartlich wenig inspirierte Bildzeitung titelte etwas ratlos: Macht uns der Dialekt so schlau?

Größere Sprachkompetenz dank Dialekt

Mundart-Experte Hans Triebel beantwortet diese Frage klipp und klar mit Ja. "Unsere Kinder san ja net so gscheit, weil bei uns die CSU regiert, sondern weil sie von Grund auf zwei Sprachen lernen, den Dialekt als Muttersprache und das Schriftdeutsche als Standardsprache", sagt Triebel. Tatsächlich lassen wissenschaftliche Untersuchungen den Schluss zu, dass Kinder, die mit dem Dialekt aufwachsen und sich dann erst die Standardsprache aneignen, eine größere Sprachkompetenz entwickeln.

Heinz-Peter Meidinger, der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, nennt folgenden Grund für dieses Phänomen: "Dialektsprecher lernen früh, zwischen verschiedenen Sprachebenen zu unterscheiden. Das trainiert die Auffassungsgabe und das abstrakte Denken." Nach Ansicht von Josef Kraus, dem Präsidenten des Deutschen Lehrerverbandes, profitieren Dialektsprecher vor allem in Deutsch und Mathematik von ihrem guten sprachanalytischen Verständnis.

Weniger Rechtschreibfehler bei Dialektsprechern

Ludwig Zehetner, der an der Universität Regensburg bairische Dialektologie lehrt, verweist überdies auf jüngste Erkenntnisse in der Hirnforschung. Aus denen gehe hervor, dass sich bei Kindern, die mehrere Sprachen beherrschen, das zuständige Zentrum im Gehirn besser ausbilde.

"Der Dialekt ist für ein Kind die optimale Voraussetzung für jegliche weitere Entfaltung auf sprachlichem Gebiet", sagt Zehetner. Dazu passt die These von Reinhold Steininger, dass zwar der Gebrauch des Dialekts rapide zurückgehe, die Beherrschung der Schriftsprache aber in gleichem Maße abnehme.

Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Untersuchung der Universität Oldenburg, die Aufsätze von Dritt- bis Sechstklässlern über Jahre hinweg auswertete und zu dem Ergebnis kam, dass die Dialektsprecher 30 Prozent weniger Rechtschreibfehler produzierten.

Der Germanist Rupert Hochholzer vom Regensburger Dialektforum führt das gute Pisa-Ergebnis der Bayern dennoch nicht allein auf den Dialekt zurück. Es gebe zwar starke Hinweise, dass er eine bedeutende Rolle spiele, aber den wissenschaftlichen Beweis im Feldversuch zu erbringen, das sei sehr aufwändig und teuer.

Für Hochholzer ist der Dialekt nur ein Mosaikstein des bayerischen Pisa-Erfolgs. "Dazu kommen sicherlich noch intakte Familienstrukturen, die Verankerung in der Tradition und die gute wirtschaftliche Situation im Freistaat."

Ein großes Manko sieht Hochholzer in dem Umstand, dass das Erlernen von Sprachen immer noch ein Randthema sei. "Zwar sagen die Politiker, es sei ganz wichtig, Sprachen zu lernen, aber die Realität schaut anders aus." In Deutschland dominiere immer noch die einsprachige Ausrichtung des Nationalstaats aus dem 19. Jahrhundert: "Ein Staat, eine Sprache." Eine Ideologie, die auch Nationalsozialisten und Kommunisten rigoros verfochten - zu Lasten der Mehrsprachigkeit und der Dialekte.

Vor der Schultür halt gemacht

Ein düsteres Bild der Zukunft des bairischen Dialekts zeichnet auch der Münchner Dialektologe Bernhard Stör, der in seiner Aufsehen erregenden Dissertation nachgewiesen hat, dass der Dialekt bei den jungen Münchnern praktisch ausgestorben ist. Er befürchtet, dass sich dieser Trend rasant fortsetzen werde. Vor allem die Bayern litten an einem mangelnden sprachlichen Selbstbewusstsein.

Es fehle ihnen auch an Vorbildern. Während einer wie der Chemie-Nobelpreisträger Kurt Wüthrich im schwyzerdütschen Basisdialekt Fernsehinterviews gebe, bissen sich bayerische Politiker, Fußballer und Fernsehstars lieber die Zunge ab als bairisch zu reden, schimpft Sepp Obermeier vom Förderverein Bairische Sprache und Dialekte.

Obermeier hält die schlampig gewordene hochdeutsche Standardsprache für kein gutes Vorbild. Schon vor Jahren hatte er in geselliger Runde drei Lehrern aus Niedersachsen deren schlechtes Pisa-Abschneiden prophezeit. Der versierte Dialektsprecher aus dem Bayerischen Wald stützte sich unter anderem auf die ungenaue Anwendung der Präpositionen in Norddeutschland.

"Bei Euch geht man zur Schule", rieb er seinen Gesprächspartnern hin, "bei uns aber geht man in die Schule", was Obermeier mit Blick auf Niedersachsen und Pisa zu dem Schluss kommen ließ: "Wenn man vor der Schultür Halt macht, kann man natürlich nicht soviel lernen."

© SZ vom 18.7.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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