Spitzenforschung:Fadenwurm und Harvard

Spitzenforschung: IST-Chef Thomas Henzinger beklagt die Kürzung des EU-Budgets.

IST-Chef Thomas Henzinger beklagt die Kürzung des EU-Budgets.

(Foto: Fabasoft)

Das Institute of Science and Technology Austria will zur Weltspitze aufschließen, damit Europa vorne bleibt.

Von Andrea Hoferichter

Ein Hauch von "David gegen Goliath" weht im idyllisch gelegenen Maria Gugging in Niederösterreich. Das 2009 dort gegründete Forschungsinstitut Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) will zur Weltspitze im Wissenschaftsbetrieb aufschließen, zu den "Stanfords und Harvards dieser Welt", wie Institutsleiter und Computerwissenschaftler Thomas Henzinger sagt. Der Österreicher erklärt das IST via Videoschalte so: "Es hat den Spirit einer schnell wachsenden, jungen, dynamischen Institution, ähnlich wie ein Startup-Unternehmen." Mittlerweile hat es 850 Angestellte jedes Jahr kommen etwa fünf neue Forschungsgruppen hinzu.

Wer auf der Homepage schaut, findet allein im Oktober eine bunte Palette neuer Forschungsergebnisse. Zu lesen ist von Fadenwürmern, deren einfaches Nervensystem offenbar als Vorbild für eine künstliche Intelligenz taugt, mit der sich sogar Autos steuern lassen. Das Institut berichtet von Batterien, die ressourcenschonend mit Allerweltschemikalien funktionieren, von Erkenntnissen zum menschlichen Langzeitgedächtnis, zum Adernetzwerk von Pflanzen und zu mysteriös klingenden Qubit-Flüssigkeiten, die Quantencomputern zum Durchbruch verhelfen könnten. Auf die Frage, welche Publikationen besonders bedeutend seien, möchte Henzinger lieber nicht antworten. "Wissenschaft findet fast immer in kleinen Schritten statt. Welcher am Ende entscheidend ist, lässt sich oft gar nicht sagen", erklärt er.

Es ist egal, woran die Forscher arbeiten. Sie müssen nur die Besten ihres Fachs sein

Das Vorbild für das österreichische Forschungsflaggschiff, für das die Regierung eigens ein neues Gesetz entwarf, ist das renommierte Weizmann Institut in Israel. Der Fokus liegt auf der Grundlagenforschung, die allein von der Neugier getrieben wird und keinem Anwendungsziel folgt. Und anders als an Universitäten wird man am IST keine Studierenden antreffen, sondern ausschließlich Doktoranden, Postdocs und fest angestellte Professoren. Die Forschungsgebiete sind Naturwissenschaften, Mathematik und Computerwissenschaften. "Wir haben alle Disziplinen an einem Ort und profitieren von den Synergien", betont er. Zudem arbeite man immer auch mit anderen Forschungseinrichtungen zusammen - überall in der Welt.

Ob der Plan, die wissenschaftliche Champions League zu erreichen, aufgehen wird, hängt vor allem vom Können der Forscherinnen und Forscher am IST ab. Im Rennen um die besten Köpfe der Welt verfolgen die Verantwortlichen deshalb gleich zwei Strategien. Zum einen versuchen sie, Forscher von renommierten Institutionen abzuwerben, was oft schwierig ist. "Die allermeisten gewinnen wir über einen anderen Pfad, nämlich als junge Wissenschaftler auf einem sogenannten Tenure Track", berichtet er. Nach einer befristeten Bewährungszeit winkt eine Anstellung auf Lebenszeit, eine im Wissenschaftsbetrieb begehrte Rarität. Auch deshalb haben junge Talente das IST längst auf dem Zettel. Im vergangenen Jahr bewarben sich 1700 junge Wissenschaftler auf fünf Stellen.

Ein anderer Grund für den Erfolg ist, dass das IST keine inhaltlichen Vorgaben macht. "Es suchen sehr viel mehr hoch talentierte junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler da draußen einen Job als es thematisch passende Stellenangebote an den Spitzenforschungseinrichtungen gibt", sagt Henzinger. Am IST hingegen sei ein hippes Forschungsthema ausdrücklich kein Kriterium für eine Anstellung. Niemand wisse, welche Themen in fünf bis zehn Jahren angesagt seien. "Uns ist egal, was die jungen Talente forschen. Wichtig ist nur, dass sie auf ihrem Gebiet zu den Besten der Welt gehören", betont er. Mit dieser Taktik habe man ein paar der weltbesten Pflanzenbiologen gewinnen können. Das Institut habe sich auch in den Neurowissenschaften einen Namen gemacht, in der Zell-, Entwicklungs- und in der Evolutionsbiologie. In den Computerwissenschaften sei es ebenfalls vorne dabei, vor allem bei Themen wie Sicherheit, Verschlüsselungstechniken und Maschinenlernen, und in der Mathematik breit aufgestellt, von Analysis bis Algebra. "In der Physik sind wir auch schon erfolgreich, zum Beispiel in der Quantenphysik. Was noch fehlt, ist die Chemie. Aktuell haben wir drei Chemiker. Das ist aber nur der Anfang und unser derzeit größtes Ausbaugebiet."

Auf dem IST-Rezept für Spitzenforschung steht auch das interdisziplinäre Arbeiten ganz oben. Zum Beispiel sind die Teams mit zehn bis 15 Mitgliedern eher klein, weshalb sie sich Henzinger zufolge leichter nach außen öffnen als große Arbeitsgruppen. Zudem müssen Doktoranden schon im ersten Jahr in drei Projekten mit verschiedenen Professoren zusammenarbeiten. Gemeinschaftsfördernd wirke auch, dass sich die Teams Bürosund Labore teilten, sagt der Institutsleiter. Und das Institut halte Gelder ausschließlich für interdisziplinäre Projekte vor.

Das Konzept des IST wurde von namhaften Wissenschaftlern entwickelt, darunter die Physiker Haim Harari, ehemals Präsident des Weizmann-Instituts, und Olaf Kübler, vormaliger Präsident der ETH Zürich, sowie der Biologe und ehemalige Präsident der Max-Planck-Gesellschaft Hubert Markl. Für die Finanzierung sorgen der Bund und das Land Niederösterreich. Zwischen 2017 und 2026 fließt knapp eine Milliarde Euro. "Das ist ein eine sehr großzügige Förderung. Sie hängt aber zum Teil auch von unserer Performance ab", sagt Henzinger. Jeden dritten Euro des öffentlichen Geldes gebe es nur, wenn die Wissenschaftler einen vierten Euro aus anderen Quellen einbringen. Das sei ein guter Kompromiss zwischen der Förderpraxis in den USA, wo Forscher alle Gelder extern anwerben müssen, und dem europäischen Modell, in dem der größte Anteil von den Institutionen gestellt wird.

Dass die Strategien fruchten, zeigt die jüngste Evaluation. Ein internationales Expertenteam, das vom Physik-Nobelpreisträger Serge Haroche geleitet wurde, stellte dem IST Austria ein gutes Zeugnis aus. Die interdisziplinären Forschungsgebiete seien essenziell für aktuelle Themen wie Klimawandel, erneuerbare Energien und Umweltwissenschaften, heißt es im Bericht. Die Vielfalt der externen Geldquellen und der Frauenanteil ließen sich hingegen noch steigern. Bestätigung kommt auch vom renommierten Wissenschaftsmagazin Nature. Auf der Rangliste belegte das IST 2019 Platz drei der weltbesten Forschungseinrichtungen. Kriterium war die Zahl der Veröffentlichungen in hochrangigen Fachjournalen bezogen auf die Größe der Institution. Aus Europa schafften es nur zwei weitere Einrichtungen unter die Top 25: die Eidgenössischen Technischen Hochschulen in Lausanne und Zürich.

Henzinger ist das zu wenig. Er wünscht sich mehr Spitzenforschung in der EU. "Wie wir schon heute von amerikanischer und zunehmend auch von Chinas Hightech-Industrie abhängen, ist bedenklich", moniert er. Kürzlich hat die EU das Budget für Forschung und Entwicklung um mehr als zehn Prozent beschnitten. "Wir alle in Europa sollten deshalb besorgt sein, nicht nur die Wissenschaftler."

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