Sojus oder Shuttle:Das Arbeitspferd aus Kasachstan

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Zweieinhalb Jahre nach dem Absturz der Columbia bemüht sich die Nasa verzweifelt, heute um 16.39 Uhr deutscher Zeit wieder einen Space Shuttle in den Weltraum zu schießen. Die Russen pendeln dagegen seit 37 Jahren ohne Unterbrechung mit Sojus-Kapseln zwischen Erde und Orbit.

Von Thorsten Dambeck

Im Grunde gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder ist den Russen ein defekter Treibstoffsensor egal und sie würden starten, komme was da wolle.

Oder die Russen kennen keine Probleme mit defekten Treibstoffsensoren.

Anders ist jedenfalls kaum erklärbar, wieso sich die Nasa zweieinhalb Jahre nach dem Absturz der Columbia verzweifelt bemüht, am heutigen Dienstag um 16.39 Uhr deutscher Zeit wieder einen Spaceshuttle in den Weltraum zu schießen, während die Russen seit 37 Jahren ohne Unterbrechung mit Sojus-Kapseln zwischen Erde und Orbit pendeln.

Ohne dieses Stück sowjetischer Weltraumtechnik wäre die Internationale Raumstation ISS heute ein leeres Wohnmobil. So aber, dank der Sojus-Rakete und der gleichnamigen Kapsel sowie des Frachtschiffs Progress, befanden sich in den vergangenen Jahren stets mindestens zwei Menschen auf der Station - ein Verdienst der russischen Weltraumbehörde Roskosmos.

Seit den Anfangstagen der Raumfahrt ist die Sojus das Arbeitspferd für die Pioniertaten Russlands im All. Ihre technische Historie reicht bis in die sechziger Jahre zurück.

Drei Kosmonauten können sich in die kleine Kapsel zwängen, in der auch NVA-Oberstleutnant Sigmund Jähn 1978 als erster Deutscher zu seinem Weltraumflug startete.

Mittlerweile haben mehrere Esa-Astronauten die offizielle Pilotenlizenz zur Steuerung der Kapsel. In spätestens zehn Jahren soll es nun einen Nachfolger geben: Dann soll der neue Raumtransporter Kliper die Nachfolge von Sojus antreten, womöglich mit europäischer Beteiligung.

Tödliche Kinderkrankheiten

Dabei begann das Sojus-Programm 1967 mit einem schweren Unglück. Nach zwei unbemannten Testflügen kletterte Wladimir Komarow in die neue Kapsel. Mit ihrer Hilfe wollten die Sowjets den Wettlauf zum Mond für sich entscheiden.

Doch bereits nach einem Tag im All musste Sojus 1 aufgrund eines Defektes zurückkehren. Der Flug blieb vom Pech verfolgt: Der Landefallschirm versagte, die Kapsel schlug ungebremst auf dem Erdboden auf, Komarow verbrannte mit seinem Fluggerät.

Der Kosmonaut erhielt ein Staatsbegräbnis. Es war ein Unfall, der die sowjetische Raumfahrt und deren Mondprogramm um eineinhalb Jahre zurückwarf.

Glimpflich lief es für den Piloten von Sojus 5 ab, der seine Kapsel 1969 vor dem Rücksturz in die Erdatmosphäre nicht vom Antriebsmodul trennen konnte.

Die Kapsel kam weit vom Kurs ab. Statt in Kasachstan schlug Kosmonaut Boris Wolynow nahe der Stadt Orenburg im Ural auf. Mit gebrochenem Kiefer marschierte er einige Kilometer durch die bittere Januarkälte, bis er schließlich Schutz in einem Bauernhaus fand.

Nach der Mondlandung von Neil Armstrong und Edwin Aldrin beerdigten die Sowjets ihre Mond-Ambitionen und Sojus wurde zum Zubringer für die russischen Raumstationen im Orbit.

Doch die Kinderkrankheiten des Raumvehikels waren noch längst nicht ausgestanden. Tragisch erwischte es die Rückkehrer von der Station Saljut 1 im Jahr 1971. Nach einem plötzlichen Druckverlust an Bord von Sojus 11 erstickten die drei Raumfahrer in der Kapsel.

Insbesondere die Rückkehr zur Erde mit der Sojus-Kapsel ist ein hitziger Ritt. "Das Fenster wird rot, man sieht Material vom Hitzeschild wegfliegen. Es ist wie ein brennender Kessel", beschrieb Sigmund Jähn seinen in der DDR gefeierten Erstflug.

Auch die Landung ist ruppiger als mit dem Spaceshuttle. "Wenn der Fallschirm sich öffnet, geht ein Ruck durch die Kapsel. Bodenwinde haben unsere Kapsel damals zum Überschlag gebracht", erinnert sich der heute pensionierte Kosmonaut an das Jahr 1978.

Mittlerweile gilt Sojus als ausgereift und zuverlässig. Mehr als 850 bemannte und unbemannte Flüge hat die gleichnamige Rakete absolviert, den Vergleich mit der amerikanischen Raumfahrt gewinnen die Russen - zumindest in punkto Sicherheit: In Sojus-Kapseln ließen deutlich weniger Raumfahrer ihr Leben als in amerikanischen Raumfahrzeugen, wo allein bei Spaceshuttle-Flügen seit 1981 vierzehn Astronauten umkamen.

Auch Nasa-Astronauten vertrauen sich heute der robusten russischen Technik an, etwa wenn sie damit zur ISS chauffiert werden. Aber auch falls die Station plötzlich evakuiert werden müsste: Bei einem Notfall würden sich alle Besatzungsmitglieder mit der russischen Kapsel zur Erde absetzen. Für diesen Zweck ist ständig mindestens eine Sojus an die ISS angedockt.

Da ihre Werksgarantie nach rund 200 Tagen erlischt, werden die Kapseln regelmäßig ausgetauscht.

Für die Transporte größerer Lasten ist die Sojus-Rakete allerdings zu schwach und die Kapsel zu klein. "Da kann jeder Kosmonaut nur etwas Handgepäck mitnehmen" sagt Esa-Manager Dieter Isakeit.

Der Transporter Progress, als unbemannte Version aus dem Sojus-Raumschiff entwickelt, stellt zwar im Moment die Versorgung der ISS-Insassen sicher und dient als orbitaler Mülleimer - doch Ausrüstung und größeres Experimentiergerät kann auch er nicht zur Erde bringen: Die Kapsel verglüht beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre mitsamt dem Abfall darin.

Holzkiste mit sechs Sitzen

"Was die Russen nun wollen, ist ein Transportsystem mit dem auch Lasten zurückgeschickt werden können", sagt Isakeit. Diese Vision für die Zukunft heißt Kliper.

Mit dem bemannten Sechssitzer soll die Sojus-Kapsel endgültig Vergangenheit werden. Noch existieren zwar nur Studien und Holzmodelle von der künftigen Fähre, aber ihr Bau wurde kürzlich verkündet, als Roskosmos das 12-Milliarden-Euro-Budget der kommenden Dekade vorstellte.

Ähnlich wie der Spaceshuttle soll die Kliper-Fähre wieder verwendbar sein, auch das unterscheidet sie von der alten Sojus. Gestartet wird die Raumfähre, so die bisherigen Überlegungen, an der Spitze einer umgebauten Sojus-Rakete.

Durch ihre aerodynamische Form wird sich die Fähre in der Erdatmosphäre besser steuern lassen. "Damit könnten die Russen von ihrem Startplatz im kasachischen Baikonur abheben, aber auf russischem Boden landen", erklärt Isakeit.

Militärische Flugplätze sollen als Landebahnen fungieren, so die momentanen Planungen. Das Projekt hat der Raumfahrt Russlands neue Energie eingehaucht. "Die russische Weltraumindustrie hat die Stagnationsphase überwunden und schreitet selbstbewusst voran", sagte Roskosmos-Chef Anatoli Perminow als er den gestiegenen Etat seiner Behörde bekannt gab.

Auch die Esa verfolgt Kliper mit Interesse und schließt die Möglichkeit einer technischen Zusammenarbeit nicht aus. Die Europäer können bislang ebenfalls keine Lasten aus dem All zurückbringen.

Der von Europa konstruierte unbemannte Transporter ATV, der kommendes Jahr erstmals mit einer Ariane-Rakete ins All geschossen werden soll, verglüht wie die Progress auf dem Rückweg von der Raumstation. Und für Astronauten haben die Europäer gar kein eigenes Transportsystem - ihre Rolle in der bemannten Raumfahrt bleibt damit die eines Juniorpartners.

Immerhin kamen sich Europäer und Russen bei der Zusammenarbeit im All in den vergangenen Jahren deutlich näher. So flog die Esa-Sonde Mars Express 2003 mit einer Sojus-Rakete zum Roten Planeten.

In diesem Herbst wollen die Europäer ebenfalls mit der russischen Rakete eine Raumsonde zur Venus schießen. Und auf dem Raketenbahnhof in Kourou, der Heimatbasis der europäischen Ariane, sollen in den kommenden Jahren auch Sojus-Raketen in den Himmel über Französisch-Guayana donnern.

Zunächst nur unbemannt, aber "Astronautenflüge sind auch denkbar", so Isakeit. Ob es auch bei Kliper zu einer Kooperation kommt, muss noch ausgelotet werden. Nicht nur in Europa gibt es Interesse: Auch Japans Raumfahrer sollen bereits in Moskau vorstellig geworden sein.

© SZ vom 26.7.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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