Sicherheit:Der GAU aus der Luft

Lesezeit: 2 min

Die Anschläge haben eine neue Debatte über Sicherheit von Kernkraftwerken bei Abstürzen entfacht

Christian Schneider und Rolf Thym

(SZ vom 14.09.2001) - Die in den USA verübten Terroranschläge mit entführten Passagierflugzeugen haben direkte Auswirkungen auf die Debatte um die Sicherheit deutscher Atomanlagen. Beim Erörterungstermin über den geplanten Bau eines atomaren Zwischenlagers am Standort der Kernkraftwerke Isar I und II in Essenbach bei Landshut hat der Bund Naturschutz (BN) beantragt, das Genehmigungsverfahren zu beenden, da weder das beabsichtigte Zwischenlager noch die darin aufzubewahrenden 152 Brennlementebehälter vom Typ Castor gegen den Absturz von großen Passagierflugzeugen gewappnet seien.

Atomkraftwerk Biblis (Foto: N/A)

Neue Anforderungen an die Sicherheit gefordert

Das für das Verfahren zuständige Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) lehnte den BN-Antrag ab, sicherte aber zu, die Argumente des BN zu berücksichtigen. Ein Sprecher des BfS wies zudem darauf hin, dass die Reaktorsicherheitskommission unter dem Eindruck der Attentate in den USA über mögliche Neuanforderungen an die Sicherheit für kerntechnische Anlagen in Deutschland berate. Nach der Ablehnung ihres Antrags entschieden die Naturschutz-Vertreter, am weiteren Verlauf des Erörterungstermins nicht mehr teilzunehmen.

Lagerhallen für Castorbehälteer sind unsicher

Schon wiederholt hat der BN kritisiert, dass die Lagerhallen und Castor-Behälter unzureichend gegen den Absturz großer Flugzeuge gesichert seien. Allein in einem Castorbehälter sei mehr "radioaktives Inventar" enthalten als bei dem Unglück in Tschernobyl freigesetzt worden sei.In den Antragsunterlagen des Energiekonzerns Eon für den Bau eines Zwischenlagers am Standort der Kernkraftwerke Isar I und II heißt es, dass die bislang vorgesehenen Castorbehälter den Aufprall einer 1000 Kilogramm schweren Masse - dies entspricht etwa der Flugzeugturbine eines Militärjets - und 600 Grad heißes Feuer für die Dauer von einer Stunde schadlos überstünden.

Einwände "nicht blanko zurückweisen"

Nach den mit Passagierflugzeugen ausgeführten Attentaten in den USA fordert der BN jetzt eine auf den Aufprall großer Jets ausgerichtete Sicherheit der Castorbehälter. Der Treibstoffvorrat von Jumbo-Jets könne bis zu 300 Tonnen betragen und bei einer Explosion über lange Zeit hinweg Temperaturen von 1000 Grad und mehr erreichen. Der Rechtsanwalt des BN kündigte Gerichtsklagen an, falls das Zwischenlager ohne eine Auslegung auf den Absturz großer Flugzeuge genehmigt werde. Ein Sprecher des Atomkraftwerkes in Gundremmingen, das von der RWE betrieben wird, sagte, die Einwände des BN könnten "nicht blanko zurückgewiesen" werden.

Eine Eon-Sprecherin erklärte, Fachleute des Konzerns hätten die Attentatsfolgen in den USA diskutiert und seien überzeugt, dass selbst bei der Explosion eines großen Flugzeugs das Schmelzen der Castorbehälter "unwahrscheinlich" sei. Allenfalls würden die Dichtungen des Behälters schmelzen, wobei nur geringe Mengen an Radioaktivität austräten. Selbst der "schlimmste Fall hätte keine katastrophalen Folgen", erklärte die Sprecherin.

Unterdessen hat das Umweltministerium bestätigt, dass es unmittelbar nach den Anschlägen in den USA beim TÜV Süddeutschland eine Studie über den aktuellen Sicherheitsstand der bayerischen Atomkraftwerke in Auftrag geben hat. Die Studie liegt vor, wird aber unter Verschluss gehalten. Die Kernaussage: Die Gebäudehüllen der Atomanlagen sind zwar gegen einen Katastrophenfall und auch den Absturz eines Kampfflugzeuges gesichert, nicht jedoch gegen kriegerische Auseinandersetzungen. Im Klartext: Gegen Kamikaze-Flüge wie jetzt in den USA wären die bayerischen Atomanlagen nicht gefeit. Konsequenzen, so das Ministerium, könnten ein Thema für den von Ministerpräsident Edmund Stoiber geforderten nationalen Sicherheitsrat sein.

Zweifel bei Eon

Beim Atomkraftwerk-Betreiber Eon kann man sich Terror-Flüge wie jetzt in New York und Washington nur schwer vorstellen. Um ein Kernkraftwerk anzugreifen, müssten "die schon sehr, sehr tief fliegen", sagte eine Eon- Sprecherin.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: