Serienmörder:Der Hollywood-Effekt

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Um Profile von Serienmördern zu erstellen, greifen manche Psychologen und Kriminologen auf Erklärungsmuster zurück, die ihnen die Filmindustrie serviert.

Nikolas Westerhoff

Schahriar, der Sultan im persischen Märchen, heiratet wieder und wieder. Und er tötet, einem brutalen Ritual folgend, jede Braut während der Hochzeitsnacht.

Bis er an Scheherazade gerät, die seine Mordlust stillt, indem sie ihm schauerlich-blutrünstige Geschichten einflüstert.

Mit Mythen wie diesem beschäftigt sich der forensische Psychologe Christer Claus vom Karolinska-Institut in Stockholm.

Denn sie enthielten alle Merkmale, die Serienkiller kennzeichnen. Aber wird man dem Phänomen dadurch gerecht?

Darüber diskutierten Claus und andere Forscher kürzlich in Berlin unter dem Titel "Die mediale Inszenierung des Serienmordes".

Das Schahriar-Syndrom, wie der Psychologe Claus es nach dem Sultan aus dem Märchen nennt, setzt sich aus folgenden Faktoren zusammen:

Der Serienkiller fühlt sich omnipotent, denn er richtet über Leben und Tod. Er ist von sadistischen Phantasien bestimmt, die sich in der Tötungshandlung konkretisieren, und die Morde sind in ein bestimmtes Ritual eingebettet, an dem er zwanghaft festhält.

Antisoziale Persönlichkeitsstörung mit Sadismusneigung

Zudem fußt sein Handeln auf keinem der üblichen Mordmotive wie Eifersucht oder Habgier, weshalb dem Tötungszeremoniell etwas Groteskes und Sinnloses anhaftet, das die Opfer zu reinen Objekten degradiert.

Das Schahriar-Syndrom beschreibt Claus zufolge einen Tätertypus, der unter einer antisozialen Persönlichkeitsstörung mit Sadismusneigung leidet.

Die empirischen Belege für ein Täterprofil à la Schahriar sind allerdings spärlich. Zwar kann als gesichert gelten, dass Serienkiller bereits Jahre vor der Tat sexuelle Gewaltphantasien entwickeln und dass sie in ihrer Persönlichkeit tiefgestört sind.

Sie müssen aber nicht zwingend unter psychotischen oder schizophrenen Symptomen leiden.

Doch warum, wann und weshalb sie töten, wird dadurch auch nicht verständlicher. Claus zieht daher literarische Vorlagen wie das Scheherazade-Märchen heran, um das Psychogramm von Serienmördern zu entschlüsseln.

Er ist nicht der Einzige seines Fachs, der so verfährt.

Der Psychologe David Gresswell unterscheidet zwei Typen von Serienmördern: Den Mörder vom Schlage eines Don Juan, dessen sexuelle Besessenheit angeblich aus unterdrückter Homosexualität herrührt und den Casanova-Killer, der mordet, um von seiner eigenen Mutter geliebt zu werden.

Der Serienkiller vom Casanova-Typus wird charakterisiert als einer, der ohne Mutterliebe in einem Heim oder bei Adoptiveltern aufwachsen muss. Bestätigung für diese Theorie findet sich in der Statistik: Serienkiller sind überdurchschnittlich häufig Adoptiv- oder Heimkinder.

Der britische Kriminalpsychologe David Canter von der University of Liverpool sieht seine Kollegen jedoch auf dem Holzweg.

Wenn Kriminologen bei Serienkillern einen diffusen Wunsch nach Nähe ausmachen oder Psychologen ihnen eine überentwickelte Phantasie attestierten, klängen sie dabei wie Drehbuchautoren. Canter spricht daher vom "Hollywood-Effekt".

Für viele Wissenschaftler und Kriminalisten sei es schwer, sich von den Deutungs- und Erklärungsmustern zu lösen, die ihnen Filmindustrie und Schriftsteller serviert haben. Seine Schlussfolgerung: Der Serienkiller ist und bleibt eine "black box".

Baulöwe, Clown und Mörder

"Keine der bisherigen Theorien vermag die Ursachen für serielles Töten umfassend und plausibel zu beschreiben", sagt auch die Kriminologin Alexandra Thomas, die einen Sammelband über Serienmörder herausgegeben hat.

Und weil es Wissenschaftlern und Kriminalisten an überzeugenden Erklärungen mangele, beschrieben sie das mörderische Tun des Serienkillers eben mit Worten, die an einen Filmplot erinnern.

Auch nach der lange vorherrschenden Lehre des FBI lässt sich zwischen "organisierten" und "unorganisierten" Serientätern unterscheiden.

Der organisierte Serientäter geht planvoll vor, ist männlich, gebildet, reisefreudig, fest angestellt, gutsituiert und fährt ein sauberes Auto. Als Prototyp gilt John Wayne Gacy, der in den Siebzigerjahren ein erfolgreicher Bauunternehmer war, ehrenamtlich als Krankenhaus-Clown arbeitete - und 33 junge Männer ermordete.

Gacy repräsentiert einen Typus, der leinwandtauglich ist, vereint er doch Gut und Böse in sich. Der planvolle Killer mit den zwei Gesichtern ist freilich eine bloße Konstruktion, die nichts erklärt und in der Wirklichkeit kaum vorkommt.

Sein Gegenentwurf ist der "unorganisierte" Killer. Er verkörpert den Typus des Außenseiters.

Aus Sicht des FBI-Spezialisten John Douglas ist er häufig verwirrt, lebt isoliert und hat viele Kränkungen hinnehmen müssen. Er ist ein Sonderling, der seine Angst und seinen Schmerz vor der Welt verbirgt - wie Norman Bates in Hitchcocks Film "Psycho".

Zu der Zweiteilung organisiert versus nichtorganisiert gelangten die FBI-Fahnder Robert Ressler und John Douglas bereits 1979, nachdem sie 36 Interviews mit Serienkillern ausgewertet hatten.

"Ein problematischer Aspekt an ihrem so genannten Criminal Personality Research Project bestand darin, dass ihre beiden Kategorien von vornherein feststanden, sie sollten durch die Befragungen dann noch untermauert werden", sagt der forensische Psychologe Jens Hoffmann von der TU Darmstadt.

Doch trotz dieses Zirkelschlusses hielten Forensiker lange Zeit an der Einteilung fest und suchten nach empirischen Belegen.

Mittlerweile sieht auch das FBI die Sache differenzierter. Und vor kurzem wertete David Canter die Daten von hundert Serienmördern aus und kam ebenfalls zu dem Schluss, dass die Unterscheidung in organisierte und nichtorganisierte Mörder unhaltbar ist. Vielmehr würden alle Serientäter Merkmale des organisierten Typs aufweisen.

Während sich Teile der Wissenschaft bis heute an diesem überholten Paradigma abarbeiten, hat der Serienmörder Hannibal Lecter aus dem Erfolgsthriller "Das Schweigen der Lämmer" nur Hohn und Spott für derlei Analysen übrig.

Lecter, selbst Psychologe, fragt die FBI-Agentin Starling, was sie denn von den beiden Tätergruppen halte - und gibt selbst die Antwort: "Organisiert und desorganisiert - das zeugt nur so von Inkompetenz".

© SZ vom 26.1.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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