Serie: 200 Jahre Darwin (3):Kunst nimmt sich, was ihr gefällt

Lesezeit: 4 min

Was bedeutete Charles Darwins "Entstehung der Arten" für die Künste? Das möchte zum Darwin-Jahr eine Ausstellung in der Frankfurter Schirn herausfinden.

Stephan Speicher

Das ist die Welt im alten Glauben: "Regenzeit in der Tropen" von Frederic Edwin Church. Links aufragende Felsformationen, rechts eine Urwaldszenerie, im Hintergrund liegt eine Stadt am See. Über allem aber strahlt ein Regenbogen.

"Spiel der Najaden". Wasser, Muschel, Fischgestalt sind häufige Motive bei Arnold Böcklin. (Foto: Foto: oh)

Jeder Betrachter - das Bild wurde unter größtem Beifall auf der Pariser Weltausstellung 1867 gezeigt - wird an den Regenbogen gedacht haben, den Gott nach der Sintflut erscheinen ließ. Aber deutlicher noch als der bekannte Symbolgehalt spricht die Form, die Church der Himmelserscheinung gab. In ihrer kristallenen Festigkeit ist sie Garant der göttlichen Ordnung, wie sie sich über allem Irdischen in ewiger Klarheit wölbt.

Der Glaube an diese göttliche Ordnung war gerade tief erschüttert worden durch Charles Darwins "Entstehung der Arten", 1859 erschienen. Keine wissenschaftliche Theorie des 19. Jahrhunderts hat solche Leidenschaften erregt. Anders als die Fortschritte der Physik konnten die Überlegungen Darwins jedem bildhaft vor Augen treten. Die Seiten im Buch der Natur, die hier aufgeblättert wurden, waren nicht in der Sprache der Mathematik geschrieben.

Was bedeutete das für die Künste? Das möchte zum Darwin-Jahr eine Ausstellung in der Frankfurter Schirn herausfinden. Klugerweise hat die Kuratorin Pamela Kort nicht versucht, die Kunst zum Zeugen der Wissenschafts- oder Kulturgeschichte zu machen. Nicht Darwin und seine Erkenntnisse sind das Thema, nicht Naturwissenschaft, Religion, Idealismus oder Materialismus im weltanschaulichen Streit. Um die Kunst und ihre Reaktion auf Darwin soll es gehen.

Das Ergebnis ist eine Ausstellung, die animiert, die vieles zeigt, was das Publikum kaum kennt, und der die durchschlagende geistige Kraft doch fehlt.

Ohne Darwin ist Max Ernst nicht zu denken

Wenn wir von Darwin und seiner Wirkung auf Kunst und Künstler sprechen wollen, wer käme da in Betracht? Die ganz großen Gestalten offenbar nur in kleiner Zahl, sie fehlen jedenfalls in der Ausstellung wie im Katalog - immer vorausgesetzt, dass unsere Vorstellungen von großer Kunst der Jahre 1859 ff noch richtig sind. Max Ernst und Arnold Böcklin bilden in Frankfurt die Ausnahmen als bedeutende Namen der Kunstgeschichte.

Doch schon bei Max Ernst zeigen sich die Probleme der Beziehung. Max Ernst hat Darwins Lehren gekannt, namentlich war er fasziniert von einem Katalog für Lehrmittel, die an Schulen verkauft werden sollten und auch Wandkarten zur Erdgeschichte und Evolution umfassten. Damit hat er gearbeitet, ohne Darwin ist Max Ernst so nicht zu denken.

Aber ist es mehr als Materialgebrauch? Es liegt ja auf der Hand, was Ernst an den Lehrmitteln so liebte: den Saurier im Klassenzimmer, die Jahrmillionen der Erdgeschichte in der Schulstunde, das Ungeheuerlichste in der Erziehungsanstalt. Das allein lässt sich als surrealer Akt verstehen. Dass die Natur eine Geschichte hat, die auch über uns heutige hinweggehen wird, das ist für Max Ernst ein Thema.

Das Traumhafte in vielen Werken, das Zusammenfügen des Nichtzusammengehörigen dagegen ist kaum darwinistisch. Die Kunst nimmt aus der Wissenschaft, was sie anspricht, Einzelnes. Darwinismus ist aber ein Denken in Systemen.

Und wie steht es mit Arnold Böcklin? Zeitgenossen haben ihn als Darwinisten angesehen. Doch ist "Triton und Nereide" ein Bild der Naturgeschichte? Die Nereide in Menschengestalt räkelt sich mit geöffneten Beinen auf dem Felsen, hinter ihr bläst ein fischgeschwänzter Triton in eine Muschel, eine Schlange im Vordergrund hebt ihren Kopf zu der Nereide.

Wasser, Schlange, Muschel, Fischgestalt, es sind die bekannten Motive der erotischen Szenerie. Zur Tragödie wird die Situation, weil die Nereide trotz solch erotisierender Gesellschaft kaum zum Zuge kommen wird. Das Bild lässt sich in Kenntnis der antiken Mythologie deuten. Und wenn es etwas aus Darwins Welten enthält, dann die Auffrischung der alten Mythen durch die Evolutionslehre.

Ein Äffchen mit Zitrone: Gabriel von Max war entschlossener Darwinist. (Foto: Foto: oh)

Mythos und Märchen sind voll von tierisch-menschlichen Existenzen, seien es Mischwesen wie die Kentauren, seien es Verwandlungen wie im Grimmschen "Brüderlein und Schwesterlein". Es ist eine Empfindung der Nähe zu den Tieren, die nicht der Sentimentalität des 19. Jahrhunderts bedurfte. Und so scharf die religiösen Gegner Darwins auf der Einzigartigkeit des Menschen nach dem Schöpfungsbericht beharrten, auch der Bibel ist das gemeinsame Schicksal der Menschen und Tiere nicht fremd.

"Alle Kreatur sehnt sich mit uns und ängstigt sich noch immerdar", heißt es im Römerbrief. Der Darwinismus modernisiert diese Vorstellungen. Die Entwicklung der rezenten Lebensformen aus früheren gibt den Fabelwesen der Überlieferung eine neue Plausibilität, dem Gefühl menschlich-tierischer Nähe eine wissenschaftliche Grundlage.

So muss sich für die Kunst 1859 vielleicht auch nicht so viel ändern. Und hier steckt dann auch ein Problem der Frankfurter Ausstellung. Sie setzt ganz auf die Überzeugungskraft der Exponate, aber der unterstellte Zusammenhang mit einer wissenschaftlichen Großtheorie bleibt auf diese Weise blass. Wie attraktiv war überhaupt der Darwinismus für die Kunst?

Affen, die menschliche Dinge tun

Das Überleben der am besten Angepassten, die Entwicklung der Arten durch allmähliche Übergänge konnte den Künstler in seinem eruptiven Genieanspruch nicht unbedingt anregen. Da ist der Fall des Gabriel von Max wohl kein Zufall.

Klarer als andere der in Frankfurt gezeigten Künstler war er entschlossener Darwinist. Sein Genre war das Affenbild, auf dem die Tiere menschliche Dinge tun. Zwei Affen umschlingen sich in Liebe ("Abelard und Héloise"), andere besuchen ein Atelier, einer liest. Hier wird nicht etwa menschliches Verhalten durch seine äffischen Vertreter karikiert. Im Gegenteil hat der Misanthrop von Max Möglichkeiten nichtmenschlichen Lebens dargestellt.

Man könnte meinen, dass diese Idee etwas Kühnes hätte. Aber seine malerische Ausführung ist bei aller Gewandtheit doch nur behaglich-freundlich. Max hatte großen Erfolg im Kunsthandel und in der Presse, er war, persönlicher Bitterkeit unerachtet, gerade so kühn, wie es dem Publikum behagt.

Das Publikum, genauer: ein großer Teil des deutschen Publikums, liebte putzige Affen, den geistigen Hintergrund aber auch. Darwins Apostel Ernst Haeckel schrieb mit den "Welträtseln" (1899) das mit Abstand bestverkaufte Sachbuch seiner Zeit. So kühn Darwins Forschungen waren, vor der Einbettung ins bürgerliche wie proletarische Gemeindenken waren sie nicht sicher. Für die Künstler war das keine Empfehlung. Das setzt auch der Frankfurter Ausstellung ihre Grenzen.

"Darwin. Kunst und die Suche nach den Ursprüngen" in der Kunsthalle Schirn in Frankfurt/Main, bis 3. Mai, www.schirn-kunsthalle.de. Katalog (Wienand Verlag) 29,80 Euro, im Handel 39,80 Euro.

© SZ vom 07.02.2009/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: