Schlammvulkan auf Java:Der unendliche Matsch

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Ist eine Ölfirma schuld, dass auf Java seit zwei Jahren Schlamm aus dem Boden quillt und 25.000 Menschen umgesiedelt werden mussten? Die Experten sind sich nicht einig.

Axel Bojanowski

Frühmorgens am 29. Mai 2006 erblickte ein Bauer im Osten der indonesischen Insel Java eine braune Fontäne, die aus seinem Reisfeld schoss. Der Sprudel schwoll zu einer ungeheuerlichen Schlammflut, die bis heute andauert.

Der Schlammvulkan überschwemmt den Boden mit Dreck. 25.000 Menschen mussten bereits flüchten. (Foto: Foto: AFP)

Pro Minute ergießen sich seither bis zu 1000 Badewannen Schlamm aus dem Untergrund. Die kochend heiße Brühe begrub Reisfelder, Fabriken und rund 5000 Häuser; mehr als 25.000 Menschen mussten umgesiedelt werden.

Viele Wissenschaftler sind überzeugt, dass eine Ölbohrung der Firma Lapindo das Desaster ausgelöst hat. Zu diesem Ergebnis kommt nun auch eine Gruppe um Mark Tingay von der Universität Adelaide in Australien im Fachjournal Geology (Bd.36, S.639, 2008).

Auch die örtliche Bevölkerung hat längst die Ölfirma als Verursacher ausgemacht. Die Einheimischen nennen den Schlammsee entsprechend "Lapindo" und verlangen Schadenersatz. Lapindo hat auf Druck von Politikern und Medien bereits viele Millionen Euro für die Hilfe der betroffenen Bevölkerung gezahlt, freilich ohne sich schuldig zu bekennen.

Trotz der Meinungsübermacht bleibt jedoch fraglich, ob wirklich die Bohrung das buchstäbliche Schlamassel in Indonesien verursacht hat. Einige Wissenschaftler haben gute Argumente gegen diese Theorie.

Geoforscher um Adriano Mazzini von der Universität Oslo zum Beispiel erkennen auch natürliche Ursachen: Der Schlammvulkan sei aktiv geworden, nachdem zwei Tage zuvor 250 Kilometer entfernt in Süd-Java die Erde gebebt habe. Weltweit würgen etwa 700 Schlammvulkane, von Gas getrieben, Matsch aus der Tiefe. Außer den Titel "Vulkan" haben sie nichts mit den Lava spuckenden Bergen gemein.

Ist eine Ölfirma schuld?

Mark Tingay und seine Kollegen erklären dagegen, das Beben von Java sei zu schwach gewesen, um die Schlammeruption auszulösen. Einigkeit besteht unter Wissenschaftlern immerhin darüber, dass es am Tag nach dem fraglichen Erdbeben Schwierigkeiten mit der Lapindo-Bohrung gab.

Am Morgen des 28. Mai 2006 schlugen Sensoren Alarm, der Druck im Bohrloch war plötzlich stark gestiegen; offenbar strömte Grundwasser ins Loch. Umgehend wurde der Befehl gegeben, den Bohrer herauszuziehen. Doch die Maßnahme misslang. Der Untergrund brach ein, und der Bohrkopf blieb stecken. Das Grundwasser bahnte sich am Bohrloch vorbei. 200 Meter vom Bohrturm entfernt sprudelte es am nächsten Morgen aus einem Reisfeld.

Für Richard Davies von der Durham University in Großbritannien ist die Sache daher klar: Die Öl-Bohrung habe die Schlammfontäne ausgelöst. Wahrscheinlich sei eine unter hohem Druck stehende Grundwasserschicht in knapp 2900 Meter Tiefe angestochen worden. Die Erdölfirma bestreitet jedoch, in die fragliche Grundwasserschicht gebohrt zu haben. Tatsächlich wurde im Schlamm kaum Kalk gefunden - damit fehlen eindeutige Spuren aus der Grundwasserschicht.

Doch Davies beharrt auf seiner These. Selbst wenn das Wasser-Reservoir nicht angestochen worden sei, habe die Bohrung das Desaster verursacht. Schließlich sei der Druck im Bohrloch rasant gestiegen, während das Bohrgestänge gehoben wurde. Berechnungen hätten gezeigt, dass währenddessen massenhaft Grundwasser ins Bohrloch geströmt sei, was die Bohrfirma bestreitet.

Oft schützen Ölfirmen ihr Bohrloch mit einer Stahlverkleidung. Die Katastrophe hätte womöglich vermieden werden können, wenn das Bohrloch wenigstens mit Beton verkleidet worden wäre, sagt Davies. Was jedoch im Einzelnen bei der Bohrung auf Java geschehen sei, bleibe unklar, meint Adriano Mazzini. "Ich habe viele widersprüchliche Daten gesehen", sagt der Geoforscher.

Zusammen mit sechs Kollegen beharrt er darauf, dass das vorausgegangene Erdbeben im Süden Javas den Schlammausbruch ausgelöst habe. Tatsächlich gibt es solche Fernwirkungen von Erdbeben. Manchmal lösen Beben noch in Tausenden Kilometer Entfernung Geysire aus oder ändern den Grundwasserstand.

Schlammvulkane jedoch ließen sich nicht so einfach zum Ausbruch anregen, erklärt Michael Manga von der University of California in Berkeley. Er stützt sich auf eine Statistik von 343 Schlammvulkan-Eruptionen. Demnach sei ein erhebliches Erdbeben nötig, um Schlammvulkane zum Ausbrechen zu bringen. Das Beben im Süden von Java habe zwar an seinem Entstehungsort großen Schaden angerichtet. Am Ort der Schlammflut jedoch sei es "deutlich zu schwach" gewesen, um die Eruption des Matsches auszulösen, sagt auch Robert Mellors von der San Diego State University.

Vermutlich stand der Schlammvulkan von Java bereits unter Hochdruck, meint Mazzini. Deshalb habe ein leichtes Rütteln gereicht. Mazzini stützt diese Annahme auf Bilder des Untergrundes, die vor der Katastrophe mittels Schallwellen gemacht wurden. Darauf sind aufgewölbte Schichten zu sehen. Vermutlich handele es sich um aufgequollenen Schlamm, so Mazzini.

Andere Forscher interpretieren die Bilder jedoch anders. Ein "nennenswertes Schlammreservoir" könne er nicht erkennen, sagt Achim Kopf von der Universität Bremen.

Das Reservoir steht unter Druck

Die Schlammflut habe Zeit gebraucht, sich zusammenzubrauen, vermutet Mazzini. Das Beben habe wohl zunächst gashaltiges Wasser aus unteren Bodenschichten geschüttelt. Dann sei das Hochdruckgemisch bis in 200 Meter Tiefe aufgequollen und habe schließlich angefangen zu kochen - zwei Tage nach dem Beben sei die Brühe ausgebrochen.

"Eine schlüssige Studie", meint Achim Kopf. Auch der Bremer Geologe war zunächst überzeugt, dass die Bohrung das Desaster ausgelöst hat. Aufgrund von Mazzinis Erkenntnissen hält er die Erdbeben-Theorie nun aber für "ebenso plausibel".

Mehr als die Diskussion der Wissenschaftler verfolgen die Einheimischen die Maßnahmen, mit denen die Schlammfluten bekämpft werden. Weder Deiche noch Kanäle halten den braunen Brei auf. Auch Betonkugeln konnten den Strom nicht stoppen. Hunderte 300 Kilogramm schwere Betonbälle wurden in den Schlund der Schlammquelle gesenkt, was die Fluten jedoch nur ein paar Minuten aufhielt. Zuletzt scheiterte der Versuch, über eine neue Bohrung eine Spezialflüssigkeit in den Untergrund zu pumpen, um den Ausfluss zu bremsen.

Der Schlamm scheint unerschöpflich zu sein. Menge und Geschwindigkeit deuten darauf hin, dass das Reservoir gut gefüllt ist und unter großem Druck steht. Die Schlamm-Sintflut werde noch Jahre andauern, fürchtet Richard Davies. Vom Eingeweide befreit, sinkt nun sogar der Boden der Umgebung. Der braune See wird nicht nur immer größer, sondern auch tiefer.

© SZ vom 05.08.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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