Russische Zeitzeugen:Geliebte Raketen

Die Raketen des russischen Raumfahrtprogramms sollten eigentlich Wasserstoff-Bomben nach Amerika tragen können.

Wladimir Isatschenkow/AP

Jede dieser Raketen war wie eine geliebte Frau für uns", sagt Boris Tschertok. Der 95-Jährige ist einer der wenigen überlebenden Zeugen jener Zeit, als sowjetischen Ingenieure die Welt verblüfften.

Sergei Koroljow (r.) mit Juri Gagarin, dem ersten Mann im All. (Foto: Foto: AP)

Die Raketen, an denen Tschertok und sein Chef, der Leiter des Raumfahrtprogramms Sergei Koroljow, arbeiteten, sollten eigentlich Wasserstoff-Bomben nach Amerika tragen können.

Weil niemand wusste, wie schwer ein Sprengkopf werden könnte, wurde die Rakete R-7 mit einem Übermaß an Schub konstruiert, "viel mehr Kraft als alles, was die Amerikaner hatten", erinnert sich Georgi Gretschko, ein heute 76-jähriger Raketeningenieur und Kosmonaut.

Als die Entwicklung des Sprengkopfs ins Stocken geriet, ergriff Koroljow seine Chance: Er überredete den Kreml, einen Satelliten zu starten. Die Generäle waren dagegen, sagt Gretschko. "Sie behandelten den Satelliten als Spielzeug, als fixe Idee von Koroljow."

Davon unbeeindruckt, ordnete dieser die Konstruktion eines primitiven Raumfahrzeugs an. Gretschko, der die Bahn des Sputnik berechnete, drängte mit anderen Ingenieuren darauf, einige wissenschaftliche Instrumente einzubauen, doch Koroljow lehnte aus Zeitmangel ab. "Hätte er auf uns gehört, hätten womöglich die Amerikaner das Weltraumzeitalter eröffnet", räumt Gretschko heute ein.

Der Programmleiter entschied auch über das Design des Satelliten. "Die Erde ist eine Kugel, darum muss Sputnik auch eine Kugel sein", waren sein Worte, sagt Tschertok.

Und obwohl die Außenhülle aus poliertem Aluminium das Sonnenlicht reflektierte, war Sputnik niemals mit bloßen Auge zu sehen, so der Zeitzeuge. Das Licht, das die Menschen über den Nachthimmel eilen sahen, stammte von der ausgebrannten zweiten Stufe der Rakete.

© SZ vom 4.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: