Rohstoffvorkommen:Öl des Nordens

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Die Nordwest-Passage könnte bald eisfrei sein. Doch die Industrienationen streiten bereits jetzt um Handelsrouten und Rohstoffe.

Petra Steinberger

Im Süden war es heiß geworden; im Norden schmolz die Polkappe. Da zog die letzte große Seemacht ihre Marine zusammen und dampfte gen Norden. Der Nachbar, reich an Landmasse, aber arm an Bevölkerung, war schnell überwältigt. Oben, auf dem freien Ozean, blockierten nur noch ein paar Eisberge die Passage. Der Weg für den Handel war frei. Sogar die sonst stets missgünstigen Europäer applaudierten.

(Foto: Grafik: SZ)

Ist das Teil der zukünftigen Geschichtsschreibung: ein Krieg zwischen den USA und Kanada? Noch ist es eine militaristische Wahnvorstellung - doch jedes Jahr, wenn der arktische Sommer beginnt, liefern sich die alten Verbündeten inzwischen einen rituellen Schlagabtausch.

Diesmal verkündete Kanadas Premierminister Stephen Harper, sein Land werde sechs oder acht Patrouillenboote kaufen, um seinen Teil des Polarmeers zu überwachen. Mit den neuen Booten werde Kanada seine Souveränität über den arktischen Ozean endgültig demonstrieren - und damit auch seinen Anspruch auf die Hoheit über jene legendäre Schifffahrtsroute entlang der Nordküste Amerikas, die Atlantik und Pazifik verbindet: die Nordwest-Passage.

EU auf der Seite der USA

Den USA konnte das nicht gefallen. Gleich am nächsten Tag erklärte die US-Marine, sie werde ihre Flottenpräsenz in der Arktis ausbauen - vielleicht werde sie sogar irgendwann einen Flugzeugträger dort stationieren, sagte der zuständige Admiral. Diese Drohung bekommen sonst nur Staaten wie Iran oder Nordkorea zu hören.

Doch Washington ist der Ansicht, dass große Teile des umstrittenen Gebiets internationale Gewässer sind, die jedes Land dieser Erde befahren und nutzen darf. Um aufkommenden Antiamerikanismus zu dämpfen: Die EU steht in dieser Frage auf der Seite der USA. Schließlich geht es um Wirtschaftsvorteile, Fanggebiete, freie Wasserwege.

Sicherlich hängt diese Haltung auch damit zusammen, dass große Öl- und Gasvorkommen in der Region lagern und reiche Fischvorkommen vermutet werden. Aus diesem Grund haben auch die Russen vor einigen Tagen ein Forschungsschiff losgeschickt, das am kommenden Sonntag ein Mini-U-Boot aussetzen und eine russische Fahne auf den Meeresboden am Nordpol werfen soll.

Nach einem Motorschaden trieb die Akademik Fjodorow vor Murmansk hilflos im Meer, doch Donnerstag früh bekam die Mannschaft ihr Schiff wieder flott. Die Russen reklamieren seit einigen Jahren etwa die Hälfte des Polarmeers für sich.

Um 5000 Seemeilen kürzer

Bis vor kurzem wären solche Diskussionen nichts weiter gewesen als folgenloses Geplänkel. Wen interessiert schon eine Durchfahrt, die von einer meterdicken Eisschicht bedeckt wird? Vielleicht 100 Schiffe hatten es in den vergangenen 100 Jahren geschafft, die Nordwest-Passage zu durchqueren. 1906 war es dem dem norwegischen Entdecker Roald Amundsen mit einem kleinen Fischerboot zum ersten Mal gelungen.

Jetzt aber ist die globale Erwärmung augenscheinlich geworden, jetzt hat die US-Forschungsbehörde National Center for Atmospheric Research eine neue Studie veröffentlicht, wonach die Arktis weit schneller abschmelzen könnte als bisher angenommen. Nicht erst irgendwann in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts könnte die Seeroute im Sommer eisfrei sein. Wenn das Eis an der westlichen Einmündung abtaut, wäre die Passage schon um das Jahr 2015 befahrbar.

Das macht die Sache so interessant. Der Seeweg von Asien nach Europa, bisher rund 13.000 Seemeilen, also rund 24.000 Kilometer lang, würde sich auf 8000 Seemeilen, 14.800 Kilometer, fast halbieren, wenn Schiffe die Nordwest-Passage nutzen könnten. Supertanker, die für den Panamakanal längst zu groß geworden sind, würden sogar noch mehr einsparen.

Ein eisfreies arktisches Meer, mit der Nordwestpassage und den beiden anderen großen potentiellen Routen, der russischen Nordostpassage und der sogenannten "Arktischen Brücke" zwischen dem russischen Hafen Murmansk und dem kanadischen Eishafen Churchill würde langfristig die internationalen Handelsrouten verändern - und den internationalen Handel an sich.

Die Nordwest-Passage war ein alter Traum der Kolonialmächte. Auf der Suche nach einer nördlichen Route schickten sie zwischen 16. und 19.Jahrhundert zahlreiche Expeditionen los. Hernán Cortés beauftragte 1539 Francisco de Ulloa mit der Suche. Der kam nicht weit. Die Briten nahmen auf dem Weg nach Norden Neufundland in Besitz.

Man vergab viele Namen: Cumberland Sound, Baffin Island, Frobisher Bay. Ansonsten scheiterte man. Admiral Sir John Franklin verschwand mit seiner gesamten Expedition im Juni 1847 auf dem Eis. Amundsen, der die Nordwest-Passage schließlich durchquerte, brauchte drei Jahre - sowie nicht gerade maritime Hilfsmittel wie Schlittenhunde und Tipps der einheimischen Inuit. Es war, war man sich irgendwann einig, den Aufwand nicht wert.

Deshalb störte sich niemand sehr daran, dass die Kanadier die Passage als "internes Gewässer" bezeichneten. Etliche Teile führen schließlich zwischen unbestritten kanadischen Inseln hindurch. Das konnte allerdings nur solange gelten, solange die Straße komplett zugefroren war. Besonders die USA widersprachen dennoch dem Anspruch Ottawas. 1969 schickten sie den zum Eisbrecher aufgerüsteten Öltanker Manhattan durch die Passage, 1985 den Eisbrecher Polar Sea, jedes Mal, ohne die Kanadier um Erlaubnis zu fragen.

Eine Provokation war auch der Flug von Tom Hoeyem. Er war 1984 dänischer Minister für Grönland, und ließ sich mit einem Hubschrauber auf die 1,5 Quadratkilometer große Insel Hans im Kanal zwischen dem kanadischen Ellesmere Island und der Nordküste Grönlands bringen.

Dort trieb er eine dänische Flagge in den eisigen Boden, vergrub daneben eine Flasche Brandy und ließ ein Schild zurück mit der Aufschrift: "Willkommen auf der dänischen Insel." Die Kanadier tobten: Hans war ein Testfall, liegt es doch mitten im strategischen Zentrum der Region. Die Insel hat zwar mit Schifffahrtsrouten wenig zu tun, aber viel mit den damit zusammenhängenden Ansprüchen auf die Hoheit über das Polarmeer.

Nun sind die kanadischen Sorgen zumindest teilweise durchaus legitim. Ein Tankerunglück wie das der Exxon Valdez, die 1989 vor Küste Alaska große Mengen Rohöl verlor, würde das ökologische Gleichgewicht des Nordens vernichten - und diesmal wäre noch nicht einmal ein Hafen in der Nähe, von dem aus die Rettungsaktionen koordiniert und die Teams versorgt werden könnten. Zudem fürchten die Kanadier zu Recht Schmuggler und Drogenhändler, die aus dem eisigen Norden unkontrolliert in ihre Gewässer eindringen könnten. Und dann ist da eben der Anspruch, in der Arktis nach Öl bohren zu dürfen.

Ein Gebirge unter Wasser

Da die Grenzen und Zufahrtsrechte im hohen Norden nun tatsächlich eine Bedeutung bekommen, zeigt sich, wie wenig geregelt sie sind. Nach dem UN-Seerechtsübereinkommen von 1982, der United Nations Convention on the Law of the Sea (UNCLOS), kann ein Staat eine 200-Seemeilen-Zone vor seiner Küste als exklusive Wirtschaftszone beanspruchen. Darüber hinaus hängt sein Recht auf Teile des Ozeans von der Ausdehnung seines Kontinentalsockels unterhalb der Wasserlinie ab.

Doch in der Arktis ist es, aufgrund von Eis, Kälte und Tiefe extrem kompliziert, das Ende des Kontinents und den Beginn des Ozeans genau festzulegen. In den vergangenen Jahren haben deswegen die interessierten Staaten eine Reihe von Forschungsexpeditionen ausgeschickt, um den Meeresgrund zu vermessen - mit Bohrungen, gezielten Explosionen und Sonargeräten, die jedoch durch das Geräusch des brechenden Eises oft irregeführt werden.

Bislang ist Russland dabei führend. 2001 hatte das Land Anspruch auf 1,2 Millionen Quadratkilometer des arktischen Territoriums angemeldet, immerhin die Hälfte des Ozeanbeckens einschließlich des Nordpols. Die Forderung, zunächst wegen fehlender Daten abgelehnt, ist noch in der Schwebe. Die Russen stützen sich auf die Ausdehnung eines untermeerischen Gebirges, des Lomonossow-Rückens, der ihrem Festlandsockel entspringe. Die momentane Expedition soll harte Daten liefern.

Forscher sind sich einiger als Politiker

Kanadische Geologen wiederum glauben, dass ihr eigener Kontinentalsockel unter dem Wasser das Staatsterritorium um "die Größe von drei Prärieprovinzen" erweitern könnte. Dabei stützen sie sich, mangels eigener Forschungsschiffe, in großen Teilen auf die Ergebnisse amerikanischer Untersuchungen. Die US-Amerikaner wiederum haben es bisher abgelehnt, das UN-Seerechtsabkommen zu ratifizieren. Trotzdem haben sie in den vergangenen Jahren Forschungsteams in das Chukchi-Meer nördlich von Alaska entsandt, nur für den Fall.

Grundsätzlich arbeitet man in der Forschungsgemeinde recht gut zusammen, politische Reibereien hin oder her. Dänen und Kanadier planen eine auf zehn Jahre angelegte Erkundung des Lomonosov-Rückens. Nach einer Bohrung des aus 14 Nationen bestehenden Acex-Konsortiums hatten Geologen schon 2004 auf gewaltige Ölvorkommen geschlossen.

Vielleicht, denken sich nun manche Kanadier, hätten sie in den achtziger Jahren, nicht die einzige militärische Einheit abschaffen sollen, die dafür ausgebildet war, in der Kälte und auf dem Eis zu operieren.

© SZ vom 27.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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