Regen statt Schnee, Plus- statt Minusgrade:Das Märchen vom Winter

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Kirschblüte und Krokuspracht: Wegen der ungewöhnlich milden Temperaturen spielt die Natur verrückt - doch nicht alle Menschen sind begeistert vom Frühling mitten im Januar.

Moritz Koch

Viele Spaziergänger, die in diesen Tagen am Botanischen Garten in Bonn vorbeigehen, bleiben staunend vor dem Eingang stehen. In voller Blütenpracht präsentiert sich dort ein Wildkirschbaum, der zu dieser Jahreszeit normalerweise kahle Äste in den Himmel streckt.

Ein ungewöhnliches Spektakel - auch für Direktor Wilhelm Barthlott: ,,Einfach unglaublich'', sagt er. ,,Dieser Baum erblüht sonst frühestens Mitte Februar.''

Kein Schnee, kaum Frost - dafür mildes Regenwetter: Der ausbleibende Winter und Temperaturen bis zu 15 Grad bringen den Biorhythmus einiger Pflanzen gehörig durcheinander.

Das Jahr ist kaum älter als eine Woche, und schon ragen die ersten Krokusse aus dem schlammigen Böden der städtischen Grünflächen, pralle Blüten zieren mattgrüne Rosensträucher, und auf einigen Wiesen und Lichtungen zeigen sich bereits die ersten Gänseblümchen.

Auch auf die Tierwelt wirkt sich das milde Wetter aus. Bären in Wildparks finden keine Ruhe, und Meisen und Amseln zwitschern bereits ihre Frühlingsmelodien.

Den Landwirten bereitet der Frühlingseinbruch große Sorgen

Friedrich Wulf, Biologe bei der Naturschutzorganisation BUND, erwartet, dass der milde Winter Trends verstärken wird, die sich als Folgen des Klimawandels seit Jahren abzeichneten. ,,Mediterrane Vogel- und Insektenarten wandern vermehrt in Deutschland ein'', sagt Wulf. ,,Zugleich bleiben heimische Vögel wie der Star, den es früher im Winter südwärts zog, dauerhaft bei uns.''

Vor allem den Landwirten bereitet der winterliche Frühlingseinbruch Sorgen: Schädlinge wie Mäuse, Schnecken und Würmer kommen bei milden Temperaturen besser durch den Winter. ,,Mit denen werden wir im Frühling Probleme bekommen'', prophezeit Jens Radmacher vom Bauernverband. Welche direkten Auswirkungen das ungewöhnliche Wetter auf das Wintergetreide hat, sei derzeit aber noch nicht abzusehen.

,,Erst wenn auch die kommenden Wochen mild werden, lassen sich die möglichen Gefahren abschätzen'', so Radmacher. Derzeit wächst das Getreide einfach weiter, anstatt wie gewöhnlich in eine Winterstarre zu verfallen. ,,Eine Ruhepause würde den Ackerkulturen sicherlich gut tun'', sagt Radmacher. ,,Umso mehr Kraft hätten sie später, um ihre Früchte auszubilden. Wir wollen ja kein Stroh, sondern Körner ernten.''

Das größte Risiko für die Landwirte ist aber eine anhaltende Wärmeperiode mit einem plötzlichen Kälteeinbruch im späten Februar oder im März. Bis dahin hätten Roggen, Gerste, Weizen und Raps bereits voll ausgetrieben, und der Frost würde die Winterernte zerstören.

,,Das wäre ein Katastrophenszenario'', sagt auch Botaniker Wilhelm Barthlott. Bisher allerdings gebe es keinen Grund zur Panik. ,,Pflanzen steuern ihr Verhalten nicht nur nach der Temperatur, sondern auch nach der Tageslänge.'' Das heißt: Die untypischen Temperaturen allein veranlassen viele Arten noch nicht, auszutreiben. Sie beginnen erst zu knospen, wenn die Tage wieder deutlich länger werden.

Bei vielen Tieren richtet sich der Biorhythmus ebenfalls nach einer inneren Uhr. Trotz des milden Wetters, berichtet Wulf vom BUND, dass Igel, Fledermäuse und Amphibien, die in diesem Herbst ungewöhnlich lange aktiv waren, inzwischen ihre Winterquartiere bezogen hätten.

Auch für verfrühte Blüher wie die Gänseblümchen ist der milde Winter nicht gefährlich. ,,Gänseblümchen sind botanische Opportunisten - sie blühen immer dann, wenn sich Gelegenheit bietet'', erläutert Barthlott. Den vielen Exoten, die in deutschen Gärten heimisch geworden sind, kommt das milde Wetter ohnehin gelegen. ,,Rosen etwa stammen aus dem Orient und blühen dort das ganze Jahr'', sagt Barthlott. ,,Nun zeigen sie auch in Deutschland ihr normales Verhalten.''

Doch so schön die winterlichen Rosen- und Kirschbaumblüten auch sind - der Frühling 2007 wird wohl weit weniger prächtig als im vergangenen Jahr. ,,Wir werden dieses Mal einen schleichenden Frühling erleben'', sagt Barthlott. ,,In Zeiten der Klimaänderung werden wir uns daran wohl gewöhnen müssen.''

© SZ vom 9.1.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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