Raumstation ISS:Alarm im All

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Pannen, Querelen, Finanzprobleme: Die Zukunft der Internationalen Raumstation ist gefährdet.

Von Christopher Schrader

Und da waren es wieder nur zwei. Um zwanzig Minuten nach Mitternacht (deutscher Zeit) sollte sich vergangene Nacht ein Sojus-Raumschiff von der Internationalen Raumstation ISS lösen, um gut drei Stunden später, kurz nach Sonnenaufgang, an großen Fallschirmen hängend, in der Steppe Kasachstans zu landen.

An Bord ein spanischer, ein amerikanischer und ein russischer Raumfahrer. Ihnen nachwinken konnten aus den Fenstern der ISS der Amerikaner Michael Foale und der Russe Alexander Kaleri.

Sie bleiben zurück in einem Außenposten der Menschheit, der in 400 Kilometern Höhe die Erde alle 90 Minuten umkreist. Sie bleiben zurück, während die Weltraumagenturen in Amerika, Russland und Europa debattieren, wie es denn eigentlich mit der ISS weitergehen soll. Seit dem Absturz des Space Shuttle Columbia im Februar dieses Jahres sind alle Pläne gründlich durcheinander geraten.

Zwei, drei oder gar sieben Raumfahrer?

Und nun mehren sich weitere Alarmzeichen: Vor etlichen Wochen hatte der Nasa-Chef Sean O'Keefe die internationalen Partner mit der Bemerkung verunsichert, die ISS lasse sich auch mit zwei Mann Besatzung gut betreiben. Zuvor galten drei Astronauten als Minimum, um auch nur die Wartungsaufgaben im Orbit zu bewältigen. Vor allem die Europäer drängen seit langem darauf, dass die ISS möglichst bald mit sechs oder sieben Astronauten besetzt wird.

Den augenblicklichen Plänen zufolge wird der Shuttle wahrscheinlich erst im Herbst 2004 wieder starten. Im Frühjahr 2005 kann die Raumfähre dann, wenn auf den Testflügen alles klappt, neue Bauteile in die Umlaufbahn heben, um die ISS durch Labors aus Japan und Europa zu ergänzen. Kaum war am vergangenen Samstag eine Sojus-Rakete zur ISS gestartet, da klagte Jurij Semjonow, Chef des russischen Raketenbau-Konzerns Energija, über Finanzsorgen. Die russische Regierung habe seit Monaten nicht mehr für die Ausrüstung der Raumschiffe bezahlt, und auch von den Amerikanern seien keine Zusatzmittel zu bekommen.

Vor dem Start der neuen Besatzung der ISS vor zehn Tagen hatten zwei Nasa-Manager Bedenken geäußert, ob die Gesundheit der beiden Astronauten Foale und Kaleri bis zum geplanten Austausch der Crew im kommenden April gewährleistet sei.

Zwei Systeme, eine Station

Besonders diese Bedenken, die zuerst die Washington Post veröffentlicht hatte, zeigen den Zustand der internationalen Kooperation, in der das Vertrauen noch nicht so weit reicht wie vorgegeben: Der Wohn- und Arbeitsbereich der ISS besteht im Wesentlichen aus vier Modulen, zwei amerikanischer und zwei russischer Herkunft. Auch die Monitor-Systeme für Luft- und Wasserqualität sind getrennt. "Es gibt da zwei Wassersysteme mit zwei verschiedenen Wasserzusammensetzungen", sagt Jörg Feustel- Büechl, Raumfahrt-Direktor bei der Europäischen Weltraumagentur Esa. "Die unterscheiden sich ungefähr so wie Evian und Vittel."

Außerdem wird sowohl bei den Russen wie bei den Amerikaner die Luft kontrolliert: Einerseits mit Instrumenten, die laufend den Gehalt von Sauerstoff, Kohlendioxid und -monoxid messen, andererseits mit Filtern: Sie schließen Proben ein, die auf der Erde detailliert untersucht werden sollen. "Die Russen messen die Qualität und haben auch ihre Filterkartuschen mitgebracht. Da ist alles okay", sagt Feustel-Büechl.

"Aber die amerikanischen Geräte sind nicht so robust, außerdem hatte die Nasa keine Möglichkeit mehr, ihre Kartuschen runterzubringen." Das habe die Bedenken der Nasa-Manager ausgelöst. Dabei war bereits klar, dass der spanische Esa-Astronaut Pedro Duque, der jetzt zurückkommt, zwei Experimente machen sollte, um die Luftqualität zu messen. Doch zufrieden waren die amerikanischen Experten erst, als vereinbart wurde, dass die Sojus-Kapsel eine amerikanische Kartusche zur Erde mitbringen sollte.

Astronauten betreten Station, aber Besatzung wechselt nicht

Die Startverzögerung des Shuttle bringt auch die Ausbaupläne der ISS erheblich durcheinander. Bei seinem Besuch in Baikonur zum Start der neuen Besatzung wollte sich Nasa-Chef Sean O'Keefe nicht auf einen genauen Termin für den ersten Shuttle-Start festlegen. Auf Nachfragen bestätigte er, dass der Raumgleiter "im späten Sommer oder frühen Herbst 2004 startet und auch an der ISS andocken wird".

Internen Vereinbarungen zwischen den Raumfahrtagenturen zufolge ist dies frühestens am 16. September 2004 zu erwarten. Dabei werden dann zwar Astronauten die Station betreten, aber die Besatzung wird nicht ausgetauscht. Und in seiner Ladebucht wird der Raumgleiter nach O'Keefes Worten Vorräte für die Station, ein Reparaturkit für seine Hitzekacheln und ein Fracht-Modell zu Demonstrationszwecken mitbringen - also kein Ausbauteil für die Station.

Die geplanten Labors können frühestens im Frühjahr 2005 ins Orbit transportiert werden: Als Erstes das Kopplungsstück Node-2, dann wohl das japanische Labor Kibo und schließlich das europäische Labor Columbus. Auch bei Verwendung russischer Raketen vom Typ Proton ließen sich die Module nicht früher auf den Weg bringen: Erstens sind sie für den Start im Shuttle ausgelegt und müssten für die Proton umgebaut werden. Zweitens fehlte beim Start mit der unbemannten russischen Rakete die Besatzung, um die Labors im Orbit zu montieren.

"Natürlich sind wir Juniorpartner"

In der Verzögerung des Ausbauplans will O'Keefe sogar einen Vorteil erkennen. "Wir können das europäische Columbus-Labor ebenso wie das Node-2 und das japanische Labor, die beide schon nach Florida geliefert worden sind, gründlicher testen", sagte er in Baikonur nach dem Start der Sojus-Rakete. In diesem Moment stand Jean-Jacques Dordain, der Generaldirektor der Esa, neben ihm und schien säuerlich zu lächeln.

Denn die Europäer haben sehr deutlich zu spüren bekommen, welche Position sie im Raumfahrt-Geschäft haben. "Wir besitzen keine eigenen Raketen, um Astronauten zu transportieren, und wir geben längst nicht so viel Geld für den bemannten Raumflug aus - natürlich sind wir Juniorpartner", sagt Dordain.

Die Esa hatte im vergangenen April den Start von Pedro Duque zur ISS um sechs Monate verschoben, damit die Amerikaner den Platz in der Sojus für einen ihrer Astronauten nutzen konnten. "Wir waren froh, dass damals alle Partner zugestimmt haben, dass noch zwei Europäer auf die ISS fliegen können", sagte Dordain der Süddeutschen Zeitung in Baikonur. Nach Pedro Duque soll im kommenden April der Holländer André Kuipers für zehn Tage zur ISS starten.

Experimente kommen zurzeit - notgedrungen - zu kurz

Diese Kurztrips ins All betrachtet die Esa auch als Training für ihre Astronauten, die vielleicht einmal Monate am Stück im Orbit bleiben könnten. Doch die Gelegenheit dazu liegt noch weit in der Ferne. Im vergangenen Dezember, also noch vor dem Absturz der Columbia, hatten die Weltraumagenturen bei einem Treffen in Tokio beschlossen, dass ab 2006 sechs Astronauten ständig auf der ISS arbeiten sollen. "Das ist Ende Juli noch einmal im Grundsatz bestätigt worden", sagt Esa-Direktor Feustel-Büechl. "Doch der Zeitplan könnte sich noch um ein Jahr verschieben."

Die Frage der Besatzung ist den Europäern vor allem deshalb wichtig, weil es nicht viel Sinn macht, ihr Columbus-Labor an die ISS zu schrauben, wenn dann niemand darin forscht. Die Bemerkung O'Keefes, mit zwei Mann lasse sich die Station ja auch gut betreiben, hat daher bei der Esa internes Gegrummel ausgelöst. Offiziell jedoch geben die Manager dem Nasa-Chef Recht: "Wir können froh sein, dass die Station so gut funktioniert, dass zwei Mann sie aufrechterhalten können", sagt Feustel-Büechl. "Die haben ja sogar ein bisschen Zeit für Forschung - so zehn bis zwanzig Prozent."

Für Wissenschaft, die in die Lücken im Zeitplan passt, aber ist die ISS nicht gebaut und mit etwa 30 Milliarden US-Dollar bezahlt worden. Die Experimente in der Schwerelosigkeit aber kommen zurzeit - notgedrungen - zu kurz. Ein Indiz dafür: Die jetzt abgelösten Astronauten haben auf der ISS in sechs Monaten 21 Experimente gemacht, aber Pedro Duque allein war während seiner acht Tage im Orbit für 24 Versuche verantwortlich.

Die Russen schicken Touristen ins All, die anderen debattieren

Dieses Mindestmaß an Forschung ist nur wegen der internationalen Kooperation in der ISS möglich. Die Zusammenarbeit wird von allen Partnern wortreich gelobt, hängt aber zurzeit an einem seidenen Faden: den Finanzen der Russen, die zurzeit allein für den Transport zur ISS verantwortlich sind. Der Chef des Sojus-Herstellers Energija, Jurij Semjonow, drohte gar: "Wenn die Mittel nicht in nächster Zeit eintreffen, könnte die russische Seite das Feld verlassen."

Und auch Rosaviakosmos, die russische Raumagentur, könnte die Debatte um das Schicksal der ISS aus Geldmangel plötzlich umschlagen lassen. Nach augenblicklicher Planung ist für den geplanten Start einer Sojus-Rakete im Oktober 2004 noch ein Platz frei. Die Europäer haben eine Option, einen ihrer Astronauten mitzuschicken, werden sie aber nach den Worten des Esa-Chefs Dordain wahrscheinlich nicht nutzen.

Daher könnten die Russen den Platz einem Weltraumtouristen verkaufen - während Europäer und Amerikaner debattieren, ob genügend Profis ins All starten. Auf entsprechende Fragen westlicher Journalisten gab der Rosaviakosmos-Sprecher Sergej Gorbunow in Baikonur mit vielen Worten keine Antwort.

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