Raumfahrt:Endstation Titan

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Am Samstag beginnt die europäische Sonde "Huygens" den Anflug auf den Saturnmond.

Von Thomas Bührke

Grau, kalt und stürmisch - das ist im Augenblick die Wettervorhersage für den Saturnmond Titan. Viel genauer wissen es die Planetenforscher nicht, und gerade deswegen soll Mitte Januar zum ersten Mal ein Raumschiff von der Erde in diese unwirtliche Welt eintauchen und sie eingehend untersuchen.

Künstlerische Darstellung im Computerbild zeigt die Huygens-Landesonde am Fallschirm beim Herabschweben auf die Oberfläche des Saturn-Mond Titan. Rechts das Cassini-Mutterschiff, von dem die Sonde am 25. Dezember 2004 augesetzt werden soll. (Foto: Foto: dpa)

Am ersten Weihnachtstag macht sich die Kapsel Huygens auf die letzte Etappe ihrer Reise, dann wird sie von der amerikanisch-europäischen Sonde Cassini, die den Saturn umkreist, abgesprengt. Titan ist der einzige Mond im Sonnensystem, der von einer dichten Atmosphäre umgeben ist.

Und in deren chemischer Zusammensetzung vermuten Wissenschaftler ein Modell für die Uratmosphäre der Erde. Ob aber die Expedition der europäischen Instrumentenkapsel Huygens gelingt, hängt wesentlich davon ab, ob sie sich am Samstag wie geplant von ihrer amerikanischen Muttersonde Cassini löst und den richtigen Kurs einschlägt.

In den vergangenen Wochen haben die Planetenforscher schon viel mehr über Titan erfahren als in den 350 Jahren seit seiner Entdeckung durch den holländischen Physiker Christian Huygens.

Cassini ist zweimal in nur 12.000 Kilometer Abstand an dem Mond vorbeigeflogen und hat die bislang genauesten Bilder zur Erde gefunkt.

Zwar verbirgt eine 400 Kilometer hohe Dunstglocke normalerweise den Blick auf die Oberfläche. In manchen Bereichen des Infrarot aber ist dieser Schleier durchlässig. Auf solchen Bildern erkennt man ausgedehnte dunkle und helle Oberflächenstrukturen, deren Natur umstritten ist.

Oberfläche erneuert sich

Auf jeden Fall aber scheint es kaum große Einschlagskrater zu geben, wie sie sonst fast alle anderen Monde aufweisen. Dies ist ein Anzeichen dafür, dass sich Titans Oberfläche auf irgendeine Weise erneuert.

Jüngste Radaraufnahmen, die Cassini am 13. Dezember gemacht hat, scheinen dies zu bestätigen. Sie zeigen längliche Formationen, die aussehen, "als gäbe es dort eine Art von Cryovulkanismus, bei dem geschmolzenes Eis über die Oberfläche kriecht", sagt Ralph Lorenz vom Radarteam der Sonde.

Doch was Huygens beim Eintauchen in die Atmosphäre und dem Kontakt mit der Oberfläche wirklich erwartet, kann niemand vorhersagen. Seit längerem wissen die Forscher, dass die Titan-Atmosphäre fast ausschließlich aus Stickstoff und Methan besteht.

Am Boden erreicht sie einen Druck von etwa 1,5 Atmosphären. Bei den dort herrschenden Temperaturen von fast minus 180 Grad Celsius könnte Methan eine ähnliche Rolle spielen wie Wasser auf der Erde.

Computerbild zeigt die Abtrennung der Huygens-Landesonde (li) vom Cassini-Mutterschiff (re. (Foto: Foto: dpa)

So scheint es möglich, dass sich in der Atmosphäre Methan-Wolken befinden, aus denen organische Substanzen wie Ethan und Propan zu Boden rieseln, wo sie sich in einer mehrere hundert Meter dicken, dunklen Schicht abgelagert haben.

Aufnahmen von Cassini offenbaren jedoch sowohl dunkle als auch helle Oberflächenstrukturen. Bei letzteren handelt es sich womöglich um riesige Eisfelder. Das würde jedenfalls zu einer Entdeckung passen, die ein Team um Caitlin Griffith von der Universität in Tucson, Arizona, gemacht hat.

Mit einem Teleskop auf Hawaii fanden die Astronomen im infraroten Wellenlängenbereich Anzeichen für Wassereis. Es könnte ihrer Meinung nach ein Drittel der Oberfläche bedecken.

Methan-Meere denkbar

Einige Planetenforscher halten es auch für denkbar, dass es auf Titans Oberfläche ausgedehnte Methan-Meere gibt. John Zarnecki von der britischen Open University in Milton Keynes und Kollegen haben kürzlich in einem Computer die dortigen Verhältnisse simuliert.

Da die Schwerkraft nur etwa ein Siebtel der irdischen beträgt, können starke Winde in einem solchen Ozean bis zu 70 Meter hohe Wellen aufpeitschen. Dafür bewegen diese sich aber wesentlich langsamer und sind weiter auseinander gezogen als in irdischen Meeren.

Es ist also nicht ausgeschlossen, dass Huygens auf hoher See niedergeht. Dann wird die Sonde zumindest einige Minuten schwimmen und Bilder sowie Messdaten übermitteln, nehmen Fachleute der Europäischen Weltraumbehörde Esa an.

Bevor es so weit ist, muss Huygens erst auf Kurs gebracht werden. Zurzeit reist die Sonde noch Huckepack auf dem Mutterschiff Cassini um den Saturn. Mit einem Gewicht von 5,6 Tonnen und den Ausmaßen eines Omnibusses ist Cassini/Huygens die schwerste und größte interplanetare Sonde, die jemals gebaut wurde, und mit insgesamt 2,6 Milliarden Euro auch die teuerste. Deutschland ist mit rund 115 Millionen Euro beteiligt.

Am 25. Dezember um etwa fünf Uhr deutscher Zeit wird Huygens mit einer mechanischen Feder von Cassini abgestoßen. Dann entfernen sich beide etwa einen Kilometer pro Stunde voneinander.

Freier Fall

Huygens hat keinen eigenen Antrieb, sondern wird im freien Fall auf Titan zurasen. Nach weiteren fast vier Millionen Kilometern erreicht sie am 14. Januar den Saturn-Mond und soll in einem Rechteck von 360 mal 66 Kilometer Kantenlänge auftreffen.

Ein Golfer, der so genau sein wollte, müsste seinen Ball 200 Meter weit schlagen und dabei auf einen Zentimeter genau platzieren. Wahrscheinlich werden die Raumfahrer von der Esa den anvisierten Zielpunkt sogar erheblich genauer treffen.

"Die Ungenauigkeit im Federmechanismus ist die hauptsächliche Fehlerquelle, für die wir die pessimistischsten Werte angenommen haben," sagt Michael Khan vom europäischen Satellitenkontrollzentrum Esoc in Darmstadt.

Erst wenige Stunden vor der Ankunft am Titan wird Huygens aktiviert. Um 11.15 Uhr deutscher Zeit am 14. Januar tritt die 340 Kilogramm schwere Sonde mit der Form einer fliegenden Untertasse in die Atmosphäre ein. Dann kommt die Stunde der Wahrheit, denn die gesamte Landesequenz muss vollautomatisch ablaufen, weil Funksignale mehr als eine Stunde bis zur Erde benötigen.

Mit 22.000 Kilometern pro Stunde rast die Sonde auf den Mond zu. Beim Sturz durch die Atmosphäre erhitzt sich der Schutzschild bis auf 1800 Grad Celsius.

Wie sich Huygens dabei in einen glühenden Meteor verwandelt, wollen Astronomen mit großen Teleskopen von der Erde aus beobachten. Rund 170 Kilometer über der Oberfläche öffnet sich zunächst der Hauptfallschirm, in etwa hundert Kilometern Höhe wird er abgesprengt und ein kleinerer Fallschirm entfaltet sich, an dem die Sonde zu Boden schwebt.

Der Abstieg dauert voraussichtlich zweieinhalb Stunden. Während dieser Phase werden sechs Instrumente, an deren Bau deutsche Institute wesentlich beteiligt waren, die physikalischen und chemischen Verhältnisse in der Atmosphäre messen und das Verhalten der Wolken und Dunstschichten untersuchen.

Hinzu werden rund tausend Bilder einer Kamera kommen. Huygens funkt die Daten zur Muttersonde Cassini, die sie dann zur Erde übermittelt.

Sollte Huygens den Aufprall auf der Oberfläche "überleben", könnte sie theoretisch noch weitere zwei Stunden lang Daten übermitteln. Dann bricht ihr Kontakt zu Cassini ab.

© SZ vom 24.12.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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