PR für Ärzte:Angst vor dem Aufschrei

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Chirurgen sind mit ihrem Negativ-Image in den Medien unzufrieden und setzen sich notgedrungen mit Öffentlichkeitsarbeit auseinander.

Werner Bartens

Auch Chirurgen brauchen ein bisschen Lob. Für Ihren Mut und für die Wege, die sie manchmal beschreiten. 2005 hatten sie sich nach ihrer Jahrestagung beispielsweise weitaus mehr Anerkennung erhofft. Damals widmeten sich die Operateure dem Thema Komplikationen, Kunstfehler und Patientensicherheit und diskutierten öffentlich über Risiken sowie unerwünschte Nebenwirkungen ihres Berufs. Das war neu, das hatte bisher kaum eine medizinische Fachdisziplin so offensiv betrieben.

Angst vor dem medialen Aufschrei - Chirurgen setzen sich auf ihrer Tagung mit Öffentlichkeitsarbeit auseinander. (Foto: Foto: dpa)

"Aber statt dass jemand schrieb: ,Prima, habt Ihr gut gemacht - endlich stellt ihr euch diesem heiklen Bereich', gab es einen Aufschrei", erinnert sich Markus Büchler, Direktor der Chirurgie an der Universitätsklinik Heidelberg. "Es wurde fast nur reißerisch und unsachlich über unseren Vorstoß berichtet." Besonders störte die Chirurgen seinerzeit, dass auch Artikel in seriösen Zeitungen mit Überschriften wie "Mehr Tote in der Medizin als im Straßenverkehr" versehen waren.

Chirurgen sind empfindlich, wenn es um die Folgen ihres Tuns geht - auch wenn sie keine Schuld trifft. Denn falsch waren die Überschriften nicht: Im Straßenverkehr sterben jährlich in Deutschland weniger als 7000 Menschen. In der Medizin ist hingegen vorsichtigen Schätzungen zufolge hierzulande jährlich mit mindestens 16000 Toten durch Zwischenfälle oder Fehler zu rechnen. Das hat in den seltensten Fällen mit Pfusch zu tun. Häufig sind Wechselwirkungen von Medikamenten oder auch Dosierungsfehler, die auf Ärzte wie Patienten zurückgehen können, die Ursache.

Mediale Torturen

Würde man Zahlen aus Norwegen, Großbritannien und den USA auf Deutschland übertragen, käme man sogar auf 50000 bis 60000 Todesfälle in der Medizin. Genauere Erhebungen gibt es nicht. Die Chirurgen waren über das Echo jedoch empört, das ihr Bemühen um mehr Transparenz und die öffentliche Suche nach Fehlern auslöste. Beim diesjährigen Chirurgenkongress vergangene Woche in Berlin wurde das heikle Thema deshalb nicht so dominant behandelt. Die entsprechende Sitzung wurde zurückhaltend "Öffentlichkeitsarbeit in der Chirurgie" genannt.

Markus Büchler illustrierte die medialen Torturen, denen Mediziner ausgesetzt sein können. Büchler stand als Chefarzt der Chirurgie in Heidelberg vergangenes Jahr im Kreuzfeuer vieler Medien. An der dortigen Universitätsklinik war einem Patienten die Leber einer Frau transplantiert worden, die sich kurz vor ihrem Tod in Indien mit Tollwut infiziert hatte, ohne dass die Ärzte dies erkennen konnten. Zudem bekamen Patienten in Marburg, Mainz und Hannover die Organe mit dem Tollwut-Virus und erkrankten schwer, zwei starben.

Obwohl Büchler schnell über den dramatischen Zwischenfall aufklärte, schrieben einige Zeitungen vom Heidelberger "Transplantationsskandal". Als sich Tage später herausstellte, dass es kaum möglich gewesen wäre, die Tollwutinfektion vor der Organverpflanzung zu entdecken, "wurde der vermeintliche Skandal der Chirurgen in den Boulevardmedien zu einem persönlichen Drama des Patienten". Schließlich zeigte sich, dass die Chirurgen alles zur Aufklärung des Falls wie auch zur Rettung des Patienten unternommen hatten, der sechs Wochen später gesund entlassen werden konnte.

Büchler empfiehlt seinen chirurgischen Kollegen ein schnelles und transparentes Vorgehen für den Fall, dass es zu einer "medizinischen Krise" kommen sollte. Unabhängig davon, ob damit eine Komplikation, die ohne schuldhaftes Handeln aufgetreten ist oder ein Kunstfehler gemeint sei. "Innerhalb von 48 Stunden muss man die Öffentlichkeit über das Problem informieren", so Büchler. "Sonst spricht sich das anderweitig herum, und das ist immer schlecht."

Auf die Information folge zwar innerhalb der nächsten zwölf Stunden ein "medialer Aufschrei", aber das sei nicht schlimm. Denn durch Transparenz und rasches Handeln gehe die "mediale Kaskade" - zumindest nach Büchlers Zeitplan - schnell in eine sachliche Diskussion über.

Wird auf die Krise hingegen verzögert und intransparent reagiert - Büchler nannte hier den Fall einer Patientin am Universitätsspital Zürich, der ein Herz von einer Spenderin mit einer anderen Blutgruppe übertragen wurde, "wird aus dem medialen Aufschrei binnen kurzem die mediale Katastrophe". Zu dieser kann es auch kommen, so Büchler, wenn die Chirurgen fachlich zwar nicht falsch gehandelt haben, aber auf eine schicksalhafte Nebenwirkung oder Komplikation "abwiegelnd, negierend, arrogant und intransparent reagieren".

Idealtypische Ärzte

"Die Patienten wünschen sich, beteiligt zu werden", sagt David Klemperer, Sozialmediziner aus Regensburg und Sprecher des Fachbereichs Patienteninformation und Patientenbeteiligung im Netzwerk Evidenzbasierte Medizin. "Dafür haben sie mittlerweile Fähigkeiten entwickelt, dafür informieren sie sich und sie wollen, dass dies respektiert wird." Klemperer hält es für ratsam, immer anzunehmen, dass man einen gut ausgebildeten und informierten Patienten vor sich habe, der sich alle fachlichen Informationen selbst besorgen könne.

"Dazu gehört auch, dass Mediziner Wahrscheinlichkeiten richtig vermitteln", so Klemperer. Wenn bei einem Eingriff von 10000 nur noch 1000 statt 2000 Patienten sterben, sei das zwar eine relative Risikominderung um 50 Prozent, obwohl die Wahrscheinlichkeit einer Komplikation immer noch sehr hoch bleibe. Stürbe nur noch einer statt zwei von 10000 Patienten, betrüge die relative Risikominderung ebenfalls 50 Prozent. Die Gefahr einer Komplikation sei dann aber insgesamt sehr gering. Deshalb müssen Patienten die Informationen transparent und exakt vermittelt werden. Nur dann können sie die Wahrscheinlichkeit von Nebenwirkungen realistisch bewerten.

Hartwig Bauer, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und lange Jahre Chefarzt in Altötting, bezweifelte, dass sich völlige Transparenz der Chirurgen sowie eine differenzierte Wahrnehmung der Chancen und Risiken einer medizinischen Intervention von Seiten der Kranken erreichen lasse. "Das erfordert idealtypische Ärzte und idealtypische Patienten", so Bauer. "Beides bleibt in vielen Fällen leider hinter der Realität zurück."

© SZ vom 10.5.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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