Im Orange County verstehen sich Menschen darauf, Plastik in Gold zu verwandeln. Die Gegend im Süden Kaliforniens ist für Disneyland und seine Zitrusfrüchte bekannt - und berüchtigt für illegale Cannabisplantagen und eine blühende New-Age-Szene.
Dort saßen die Brüder Josh und Troy Rodarmel im Jahr 2007 in ihrer Küche und empfingen eine Eingebung, wie sie billige Plastikarmbänder für 40 Euro das Stück verkaufen können. Ihre Idee vermarkten sie seither weltweit unter dem Produktnamen Power Balance. Dabei handelt es sich um Plastikarmbänder, die zwei kleine Hologramm-Bilder enthalten, die das Markenlogo zeigen und angeblich die Leistungsfähigkeit der Träger steigern.
Laut Schätzungen haben sich bisher mindestens 2,5 Millionen Kunden weltweit von dieser Behauptung überzeugen lassen und diese moderne Version der Hasenpfote als Glücksbringer gekauft.
Die Herstellungskosten liegen laut Kritikern bei weniger als einem Euro pro Stück - das klingt nach einer phantastischen Marge. Wie kann das sein? Wie ist es den Brüdern Rodarmel gelungen, ein Produkt teuer zu verkaufen, das nachweislich keinerlei Wirkung zeigt? "Das Marketing ist genial. Wenn ich eine professionelle Betrügerin wäre, könnte ich mir wahrscheinlich nichts besseres ausdenken", schreibt die US-Medizinerin Harriet Hall in einem Beitrag im Sceptical Inquirer.
Wie man ein billiges Armband teuer verkauft, haben die Power-Balance-Gründer wohl bei Andrew Park gelernt. Der Amerikaner entdeckte 1994 am Flughafen von Barcelona einen Armreifen namens Bio-Ray, in dem ein geheimnisvoller "Biomagnetischer Regulator" stecken sollte, den ein ebenso geheimnisvoller Chiropraktiker aus Mallorca erfunden habe.
Park kupferte die Idee ab und nannte seine Armbänder Q-Ray. Er erklärte, diese könnten unter anderem bei Krebspatienten Schmerzen lindern, indem sie positive und negative Ionen im Körper ausbalancierten. Ein Gericht verurteilte Park im September 2006, Millionen Dollar an geprellte Kunden zurückzuzahlen. In einer Verhandlung räumte der Amerikaner außerdem ein, dass er die Sache mit den Ionen nur behauptet habe, weil sie gut klinge. Bis dahin hatte Park bereits Millionen von seinen Schwindelarmreifen verkauft. Er fand unzählige Nachahmer, zum Beispiel die Brüder Josh und Troy Rodarmel.
Das nebulöse Chi
"Die Power-Balance-Hersteller setzen auch auf eine Mischung aus pseudowissenschaftlichem Geschwurbel und fernöstlichem Getue", sagt der emeritierte Physikprofessor Heinz Oberhummer, der mittlerweile mit der Kabarettgruppe Sciencebusters esoterische Phänomene zerlegt. Power Balance tönt, man habe ein spezielles "Mylar-Hologramm" entwickelt, das in einem geheimen Verfahren hergestellt werde. Dieses sei so programmiert, dass es schädliche Frequenzen von seinem Träger fernhalte, dessen "natürlichen Energiefluss harmonisiere" und diesen zu Höchstleistungen befähige.
Dabei wird auch auf das nebulöse Chi verwiesen, das bei der Akupunktur, im Feng Shui sowie anderen fernöstlichen Konzepten eine Rolle spielt und als eine Art Allzweckargument in der Esoterik dient.
Das klingt phantastisch, lässt sich aber leicht entzaubern. Mylar ist ein Markenname, unter dem Plastikfolie aus Polyethylenterephthalat (PET) verkauft wird. Mylar-Hologramm klingt aber besser als Polyethylenterephthalat-Hologramm, und so oder so handelt es sich nur um ein Bildchen auf einer Plastikfolie. Die Begriffe Frequenz und Energie gehören sowieso zum New-Age-Standard-Vokabular. "Mir ist kein einziges Esoterikprodukt bekannt, das nicht mit solchen pseudowissenschaftlichen Begriffen beworben wird", sagt Oberhummer.
Was mit schädlichen Frequenzen oder der Harmonisierung des natürlichen Energiefluss überhaupt gemeint ist, wird nicht erklärt. "Das soll nur geheimnisvoll klingen", sagt Oberhummer. Dahinter stecke sicher nicht mehr, als bei der mysteriösen Balance aus positiven und negativen Ionen, mit denen Andrew Park seine Q-Ray-Armreifen verhökerte.
Energie und Harmonie - dieses Kauderwelsch überzeugte zumindest Shaquille O'Neal. Der Superstar der amerikanischen Basketballliga NBA habe als erster bekannter Sportler ein Power-Balance-Band getragen, sagt Christian Huser, Inhaber der Vertriebsrechte für die Produkte in Deutschland. Für die Firma war das ein absoluter Glücksfall. Sie vermarktet die Bändchen seither vor allem als Produkt für Sportler und hat ihr Markenimage so aus der miefigen Esoterik-Ecke geholt. Zur Markenpflege ging Power Balance auch eine Kooperation mit dem Ovarian Cancer Research Fund ein, einer Organisation, die Geld für die Krebsforschung sammelt.
Der US-Fernsehsender CNBC kürte die Bändchen kürzlich zum Sportprodukt des Jahres 2010. "Die Bänder sind zum Modetrend geworden", sagt Huser. David Beckham trägt eins, und auch der Basketballer Kobe Bryant schwört darauf, sich von Power Balance die Frequenzen frisieren zu lassen. Cristiano Ronaldo, Arjen Robben, Demi Moore, Robert De Niro, Kate Middleton und zig andere Menschen, die man in Deutschland Promis nennt, tragen ebenfalls die magischen Armbänder. Das überzeugt viele Kunden - da ist es egal, dass Sportler nicht die besten Gewährsleute für Seriosität sind: Viele Profisportler haben einen ausgewiesenen Hang zum Aberglauben. Tennisspielerin Serena Williams tritt zum Beispiel gerne so lange mit dem gleichen Paar Socken an, bis ihre Siegesserie unterbrochen ist. Der Baseballer Jason Giambi erzählt, dass er gelegentlich einen Glücks-String-Tanga trage.
Formel-1-Fahrer Rubens Barrichello tritt als "Markenbotschafter" für Power Balance auf. Sein Bild hängt an den Verkaufsständen, die in vielen Kaufhäusern aufgebaut werden. Dort demonstrieren die Verkäufer mit einem Trick die vermeintliche Wirkung der Armbänder. Dabei handele es sich um einen "unsinnigen Muskeltest", der aus der ebenso unsinnigen angewandten Kinesiologie stamme, kritisiert Harriet Hall.
Dazu stellt sich der Proband auf ein Bein und streckt beide Arme aus. Dann drückt ihm der Verkäufer auf einen Arm, bis der Proband das Gleichgewicht verliert. Beim zweiten Versuch, bei dem die Kunden dann ein Power-Balance-Armband angelegt haben oder einen Hologramm-Aufkleber in der Hand tragen, können sie meist länger die Balance auf einem Bein halten.
Auf dem Video-Portal Youtube zeigen zahlreiche Filme die ungläubigen Reaktionen der Kunden. Andere Clips liefern die Erklärung für den Trick. Zum einen halten die Testpersonen beim zweiten Versuch allein deshalb länger das Gleichgewicht, weil sie wissen, was gleich passiert - ein simpler Trainingseffekt. Der australische Skeptiker Richard Saunders führt auf Youtube eine weitere Auflösung vor: Beim ersten Versuch drücken die Verkäufer den ausgestreckten Arm senkrecht nach unten. Beim zweiten Versuch geht der Druck hingegen diagonal Richtung Körper. Das verändert den Schwerpunkt, der Kunde fällt nicht um, spürt aber keinen Unterschied.
"Das ist Betrug", sagte John Porcari von der University of Wisconsin-La Crosse der Nachrichten-Agentur AP zu den Tests der Power-Balance-Armbänder, "der Effekt hat nichts mit den Armbändern zu tun. Das spielt sich alles im Kopf ab." Der Sportwissenschaftler unterzog 42 Athleten einem Test, der dem des Herstellers nachempfunden war. Das ganze wurde dann einmal mit Power-Balance-Armbändern ausgeführt und einmal mit irgendeinem Armband aus dem lokalen Supermarkt.
Das Ergebnis war offenbar immer gleich: Beim zweiten Mal blieben die Versuchspersonen länger stehen. Genauere Informationen über seine Studie, die er im Auftrag des American Council on Exercise (ACE) durchführte, will Porcari nicht geben. Denn als Resultat strenge das ACE derzeit ein Gerichtsverfahren gegen Power Balance an, teilt er per E-Mail mit.
Auch in Australien spürt Power Balance derzeit Gegenwind. Im Dezember bekam der Hersteller Schwierigkeiten mit der Australian Competion and Consumer Commission (ACCC) wegen irreführender und unbewiesener Behauptungen. Seit dem 22. Dezember heißt es auf der australischen Power-Balance-Webseite: "Wir geben zu, dass es keine glaubwürdigen wissenschaftlichen Belege dafür gibt, die unsere Behauptungen stützen." Das Unternehmen darf nicht mehr mit dem Slogan "Performance Technology" werben und muss enttäuschten Kunden den Kaufpreis erstatten.
Die Firma agiert seitdem deutlich vorsichtiger. Die amerikanische Website reduzierte zuletzt die Werbetexte zu ihren Produkten erheblich. Der deutsche Vertriebspartner Christian Huser betont, er habe zuletzt häufig mit Anwälten gesprochen. Die Firma will die Fehler des Q-Ray-Vermarkters Andrew Park offenbar um jeden Preis vermeiden. Deshalb sagt Huser auch Sätze wie: "Es gibt de facto keinen empirischen Beleg für die Wirkung von Power Balance. Die Leute müssen das für sich selber ausprobieren." Viele Benutzer bei Facebook und in Internetforen preisen die Wirksamkeit nach dem Prinzip: "Mir hat es jedenfalls geholfen, da ist es mir egal, wenn die Wirkung nicht bewiesen ist."
Die Kraft der Einbildung
Bringen die Energie-Frequenz-Armbändchen gläubigen Trägern also doch etwas? "Wenn ein vorhandener Aberglaube aktiviert wird, kann das die Leistung eines Menschen steigern", sagt Lysann Damisch. Die Psychologin zeigte in einer Studie an der Universität Köln, wie vermeintliche Glücksbringer wirken ( Psychological Science, online). Damisch gab Probanden einen Golfball mit dem Hinweis, andere Spieler hätten damit besonders gut abgeschnitten. Tatsächlich trafen diese Testpersonen besser als Probanden, denen der Ball ohne den Hinweis überreicht wurde. "Ich könnte mir vorstellen, dass die Armbänder nach diesem Muster wirken", sagt Damisch.
Es ist also die Kraft der Einbildung. Doch ist es deshalb in Ordnung, Produkte für geschätzt den 40-fachen Herstellungspreis zu verkaufen und bewusst falsche Versprechungen zu machen? Nein. Das ehrlichste Produkt dieser Art verkauft die australische Skeptiker-Vereinigung Skeptic Bros. Es nennt sich Placebo Band. Der Slogan lautet: "The Power of Belief."